Gesunde Arbeit

Aufreger ArbeitnehmerInnenschutz

Die Mär von der schikanösen Arbeitsinspektion – und die andere Seite

Waxing-Studios und die Enthaarung in mehr oder weniger intimer Umgebung beschäftigen nicht nur die Medien, sondern auch Ao. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Strejcek. Er griff in seinem Kommentar „Arbeiterschutz als Grundrechtseingriff“ im Standard reißerische Berichte auf und legte diese sogleich mit dem Grundrecht der Erwerbsausübung in die Waagschale. Nur eine Seite zu hören ohne der anderen Seite Gehör zu schenken, entspricht leider weder journalistischen  noch juristischen Grundregeln.

Vorweg: Kernaufgabe des Arbeitsinspektorats ist die Überwachung und Durchsetzung des ArbeitnehmerInnenschutzes, sie bietet aber auch Beratung. Die kolportierten Fälle – dass InspektorInnen in einem Wiener Kosmetiksalon Enthaarungen in der Auslage angeordnet oder das Aufstellen von Obstschalen verboten hätten – waren ein gefundenes Fressen für jene, die die Kontrollfunktion des Arbeitsinspektorats gerne abgeschwächt sähen. Tatsächlich ist es aber so, dass das Arbeitsinspektorat  zumeist berät und schriftliche Aufforderungen ausstellt, bevor es Strafanträge stellt: Laut Tätigkeitsbericht für das Jahr 2015 mündeten von 116.481 festgestellten Übertretungen nur 1.996 (also 1,7%) in Strafanzeigen.

Strejcek stellte anlässlich zweier Einzelfälle die Verletzung von Grundrechten durch das Arbeitsinspektoriat in den Raum. Von „Ferndiagnosen“ über die Beschaffenheit von Arbeitsräumen und Arbeitsplätzen auf Grundlage einseitiger Darstellungen ist abzuraten.  Strejcek ergriff Partei für die Betreiberin eines Kosmetiksalons. Diese hatte in sozialen Medien lanciert, dass nach einer Rüge des Arbeitsinspektorats intime Behandlungen nunmehr im Erdgeschoß vor Schaufenstern durchgeführt werden müssten. Grund war eine schriftliche Aufforderung des AI, wonach bestehende Arbeitsplätze keinen Sichtkontakt mit der äußeren Umgebung ermöglichten.
Die weitaus weniger verbreitete Stellungnahme des Zentral-Arbeitsinspektorats: Im Obergeschoß müsse in kleinen Kojen ohne Sichtkontakt ins Freie, ohne Be- und Entlüftung gearbeitet werden. Ein ausreichender Notausgang fehle ebenso wie ein – ab zwölf ArbeitnehmerInnen vorgeschriebener – Aufenthaltsraum für die über 30 Beschäftigten. Unterlagen zur verpflichtenden Evaluierung der Gefahren im Betrieb seien nicht vorhanden gewesen. Für eine Sichtverbindung ins Freie stünden neben einer Auslage auch gelindere Mittel wie ein Lichtband in passender Höhe oder ein Fenster fernab der Kundschaft zur Wahl.

Aus der Stellungnahme geht nicht hervor, ob die vorgeschriebenen Begehungen durch Sicherheitsfachkraft (von Strejcek als „Sicherheitsbeauftragter“ bezeichnet) und ArbeitsmedizinerIn stattgefunden haben. Diese ExpertInnen stehen ArbeitgeberInnen zur Seite und können rechtskonforme Maßnahmen vorschlagen, bevor das Arbeitsinspektorat kommt. Eine seriöse Beurteilung des Falles ist an Hand der Medienberichte nicht möglich. So fehlt es u.a. an Informationen, ob die Kojen ständige Arbeitsplätze sind oder dort nur kurzfristige Arbeiten durchgeführt werden.  Zur rechtlichen Beurteilung bezog sich Strejcek auf § 22 Abs 6 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG), irrtümlich bezeichnet als § 23 Abs 6 ASG (dessen Stammfassung ist auch nicht das BGBl. 405 sondern 450/1994). § 22 Abs 6 ASchG ist freilich in Zusammenschau mit der leider nicht erwähnten Arbeitsstättenverordnung zu lesen, deren § 1 Abs 4 und § 25 weiteres Licht ins Dunkel brächten.

Der zweite von Strejcek erwähnte „Aufreger“: Das Arbeitsinspektorat soll in einem Unternehmen Obstkörbe verboten haben, weil sie niemand auf faule Früchte kontrollierte. Dass diese Geschichte solche weiten Kreise zieht, ist absurd, denn das Tatsachensubstrat ist nicht überprüfbar. Die anonymen Behauptungen finden sich in einer parlamentarischen Anfrage vom 27.04.2016 (Nr. 9063/J), eingebracht u.a. von Dr. Kathrin Nachbaur (ÖVP, vormals Team Stronach). Mangels Angaben zum Betrieb oder zuständigem Arbeitsinspektorats unterblieb eine Stellungnahme des Sozialministeriums.

Traurig ist, dass mit dem Wunsch, möglichst plakativ zu wirken, Kritik an Behördenhandeln mit dem legitimen Zweck von Vorschriften vermengt wurde. So riss Strejcek die VfGH-Judikatur an, wonach Vorschriften, „die den Gesundheitsschutz nur vorschoben“ als unverhältnismäßiger Eingriff ins Grundrecht der Erwerbsausübung erkannt wurden: Das zitierte „Werbeverbot für KontaktlinsenoptikerInnen“ (VfSlg 10.718/1985) war zur Wahrung des Gesundheitsschutzes nicht geeignet. Der Zusammenhang mit dem ASchG erschließt sich nicht, denn dieses schiebt den Gesundheitsschutz nicht vor! Sein Zweck ist ja gerade Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu gewährleisten. Liegt der Gesundheitsschutz als Gewicht in der Waagschale, verdient er eine sorgfältige Auseinandersetzung.

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