Gesunde Arbeit

Psychoterror am Arbeitsplatz

Knapp sieben Prozent aller österreichischen Erwerbstätigen sind Opfer von Mobbing, Belästigung oder Gewalt. Betroffene sollten sich frühzeitig Unterstützung holen.
Stopp!
Bossing: Wenn Mobbing durch Vorgesetzte ausgeübt wird.
Mobbing: Oft fängt es mit Tuscheln hinter dem Rücken der Betroffenen an.
Stopp! Mobbing, Belästigung, Gewalt
Symbolbild: Stopp! Gegen Belästigung am Arbeitsplatz Stopp!
Illustration zum Thema Bossing Bossing: Wenn Mobbing durch Vorgesetzte ausgeübt wird.
Illustration zum Thema Mobbing Mobbing: Oft fängt es mit Tuscheln hinter dem Rücken der Betroffenen an.
Magazin Gesunde Arbeit, Stamm-Ausgabe 4/2016 Stopp! Mobbing, Belästigung, Gewalt

Seit rund acht Monaten arbeitet Yvonne F. im Supermarkt ganz in der Nähe ihrer Wohnung. Mit den KundInnen kommt sie gut zurecht, die Arbeit macht ihr Spaß. Es wäre geradezu ideal, wenn die Probleme mit ihren Kolleginnen nicht wären. Nichts kann sie den beiden Älteren recht machen. Wenn Yvonne bei einer großen Lieferung fragt, ob sie helfen kann, kommt als Antwort „Glaubst, ich schaff das nicht mehr?“. Hilft sie nicht, dann beschweren sie sich über das unkollegiale Verhalten „der Neuen“. Sobald sich Yvonne an einem Gespräch der beiden beteiligen will, werden vielsagende Blicke getauscht: „Wir müssen jetzt wieder weitermachen“. Seit Kurzem hat Yvonne das Gefühl, dass im Pausenraum über sie getuschelt wird. Sie versteht sich zwar mit den meisten KollegInnen gut, doch sie merkt, dass sie von manchen mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen gemustert wird. Ihr Mann, dem sie fast täglich ihr Leid klagt, hat ihr geraten, sich an den Filialleiter zu wenden. Doch Yvonne will nicht als Petze dastehen …

Begriffsklärung
Circa sieben Prozent aller österreichischen Erwerbstätigen sind von Mobbing, Belästigung oder Gewalt(androhungen) betroffen. Während Gewalt oder Drohungen hauptsächlich von KundInnen bzw. KlientInnen ausgehen, kann (sexuelle) Belästigung sowohl von außen als auch durch KollegInnen erfolgen.

Als
Mobbing bezeichnet man das systematische, gegen eine bestimmte Person gerichtete Vorgehen durch einzelne oder mehrere KollegInnen und/oder Vorgesetzte. Mobbing erfolgt immer über einen längeren Zeitraum. Die Handlungen haben das Ziel, die Betroffenen zu isolieren und zu schwächen, letztendlich vom Arbeitsplatz hinauszudrängen. Sämtliche dieser Phänomene können sich auch in Form (anonymer) Postings im Internet äußern.

Bossing nennt man das Mobbing durch Vorgesetzte. Fast genauso belastend für die Gemobbten ist es, wenn der/die Vorgesetzte vor den Mobbing-Attacken die Augen verschließt oder diese als Überempfindlichkeit abtut.

Als
Staffing wird das Mobbing von Beschäftigten gegen Vorgesetzte bezeichnet.

Belästigung: Verhaltensweisen, die die Würde der betroffenen Personen verletzen (sollen), die für die/den Betroffene/n unangebracht oder anstößig sind, mit dem Effekt, ein einschüchterndes, feindseliges Umfeld zu schaffen. Dazu zählt auch Diskriminierung nach dem Gleichbehandlungsgesetz. Belästigungen wegen einer Behinderung fallen unter das Behinderteneinstellungsgesetz.

Sexuelle Belästigung kommt nicht nur im Gastgewerbe unter Alkoholeinfluss öfter vor, sondern auch im Pflegebereich – wo durch die körperliche Nähe die Gelegenheiten reichlich vorhanden und die Grenzen manchmal fließend sind. Das Gesetz jedenfalls bezeichnet es bereits als sexuelle Belästigung, „wenn ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten gesetzt wird, das die Würde einer Person beeinträchtigt, für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist und eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt für die betroffene Person schafft“.

Stalking: Wiederholtes Verfolgen oder Belästigen, sodass sich die Betroffenen bedroht fühlen. Dazu zählen u. a. ständige unerwünschte Kontaktaufnahme per SMS oder Mail, Telefonterror, unerwünschtes Zusenden von Gegenständen, Bestellen von Waren unter dem Namen der Zielperson.

Stressreaktionen
Betroffen von Mobbing und Co. sind nicht nur die direkten Zielpersonen. Auch TäterInnen sowie „MitläuferInnen“ und ZuschauerInnen werden dadurch gestresst. Jede/r, die/der am Arbeitsplatz mit Angriff oder Verteidigung beschäftigt ist statt mit beruflichen Fragestellungen, ist weniger leistungsfähig, öfter unkonzentriert, weniger kreativ und macht mehr Fehler. Durch schlechtes Betriebsklima sinkt das Qualitätsbewusstsein, Beschäftigte achten außerdem weniger auf Standards und Leitlinien.
Während kurzfristige Konflikte oder Reibereien zum normalen Alltag gehören und im besten Fall Chancen für positive Veränderungen bieten, gefährden lang andauernde (unterschwellige) Konflikte und Sticheleien, aber auch die Angst vor (sexueller) Belästigung und Gewalt nicht nur das Betriebsklima, sondern auch die Gesundheit. Der permanente Stress führt zu den typischen Beschwerden wie Schlafstörungen, Rücken- und Kopfschmerzen, Bluthochdruck etc. Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, steigt bei Mobbing-Opfern auf das Vierfache. Auch wenn sie keine sichtbaren Wunden hinterlässt, aktiviert Ausgrenzung im Gehirn dieselben Schmerzmechanismen wie körperliche Gewalt. Dementsprechend lassen die unerfreulichen Auswirkungen auf das Unternehmen nicht lange auf sich warten: vermehrte Krankenstände, höhere Fluktuation und Präsentismus (Beschäftigte kommen krank und/oder trotz Schmerzen zur Arbeit), innere Kündigung.


Prävention
Gewalt, Belästigung oder Mobbing am Arbeitsplatz sind kein Kavaliersdelikt oder unvermeidliches Symptom, sondern können durch gezielte Maßnahmen weitgehend verhindert oder zumindest frühzeitig erkannt werden. Eine mangelhafte Unternehmenskultur mit unklaren Kompetenzen und Hierarchien, Intransparenz, Konkurrenzdenken, mangelnde Führungskompetenz etc. schaffen den idealen Nährboden für Mobbing. Denn wo Beschäftigte ständig Angst um ihren Arbeitsplatz haben, Konflikte nicht offen ausgetragen werden etc., ist das Risiko, dass jahrelang hinuntergeschluckte Kränkungen in Aggressionen münden oder ein/e MitarbeiterIn als Sündenbock für das gestörte Betriebsklima herhalten muss, relativ groß.

Welche
Maßnahmen können im Betrieb gegen Mobbing gesetzt werden:

  • Führungskräfte-Trainings, vor allem auch der unteren und mittleren Ebene, in Konfliktbewältigung, Kommunikation, Beschwerdemanagement etc. ermöglichen eine offene Gesprächskultur und können das Betriebsklima verbessern. Der/Die ideale Vorgesetzte erkennt die typischen Frühwarnzeichen wie Klagen über Schlafstörungen, häufige Auseinandersetzungen und Sticheleien, mehr Krankenstände, Rückzug von sozialen Betriebsevents.
  • Erforderlich ist aber auch die Schulung aller Beschäftigten in Kommunikation, Kritikfähigkeit, Umgang mit Gewalt am Arbeitsplatz, Deeskalationstrainings für Branchen mit KundInnen-/KlientInnenkontakt u. Ä.
  • Mobbing und (sexuelle) Belästigung sollten im Unternehmen prinzipiell als unerwünschtes Fehlverhalten thematisiert werden.
  • Entscheidend ist, dass sich Betroffene nicht mit ihren Problemen und Anliegen alleingelassen fühlen. Beobachtung und Dokumentation von Gewalthandlungen sowie Angebote für juristische Beratung, Coaching und Supervision sollten selbstverständlich sein.
  • Ob Mobbingbeauftragter, Konfliktlotsin oder PersonalvertreterIn, eine entsprechend geschulte Ansprechperson sollte es in jedem Betrieb geben – und alle Beschäftigten sollten diese auch kennen.
  • Manchmal helfen auch relativ einfache (architektonische) Veränderungen: So hat es sich etwa bewährt, Wartende tatsächlich in Schlangenlinien anstellen zu lassen. Denn so haben die Beschäftigten nicht ständig das Gefühl, den wütend-kontrollierenden Blicken aller Wartenden ausgesetzt zu sein.

Im Fall des Falles
Sowohl bei Mobbing als auch bei (sexueller) Belästigung oder Gewalt(androhungen) muss der/die ArbeitgeberIn seiner/ihrer Fürsorgepflicht nachkommen und umgehend entsprechende Maßnahmen ergreifen. Je nach Lage der Dinge können sich Betroffene direkt an Vorgesetzte, den Betriebsrat oder etwa Behindertenvertrauenspersonen wenden.

BetriebsrätInnen, SVPs etc. können sowohl bei der Prävention als auch im Akutfall viel bewirken. Besonders bei Mobbing-Anschuldigungen empfiehlt es sich für BelegschaftsvertreterInnen, prinzipiell Anteilnahme zu zeigen, aber keine Partei zu ergreifen. Denn meist ist der Sachverhalt komplizierter, als er sich auf den ersten Blick darstellt.

  • In jedem Fall sollten BetriebsrätInnen den/die DienstgeberIn nachdrücklich auf seine/ihre Fürsorgepflicht aufmerksam machen.
  • Entsprechende Maßnahmen (Gefährdungsbeurteilung, Beiziehen externer BeraterInnen etc.) sind umgehend in die Wege zu leiten.
  • Sanktionen für schädliches Verhalten sollten nicht nur angedroht, sondern auch tatsächlich gesetzt werden, z. B. Hausverbote bei externer Gewalt.

Was Betroffene selbst tun können:

  • Konflikte sofort ansprechen
  • Mobbingtagebuch führen
  • Gezielt positiven Ausgleich im Privatleben schaffen
  • Möglichkeiten zur Unterstützung durch KollegInnen, Familie und FreundInnen nützen.

Nicht tatenlos zusehen
Wer bei Belästigung, Mobbing und Co. Zeuge oder Zeugin wird, sollte nicht diskret verschwinden oder schweigen, sondern

  • möglichst sofort reagieren, z. B. „Ich finde das nicht lustig“ oder „Ich finde das nicht in Ordnung, hinter dem Rücken von anderen so zu reden“.
  • ZuschauerInnen gezielt ansprechen: „Was meinst du dazu?“
  • Den Betroffenen deutlich Solidarität signalisieren.

Ilse Reichart, Expertin in der ÖGB-Mobbingberatung, rät allen Betroffenen, sich möglichst frühzeitig Unterstützung zu holen. Denn es geht auch darum, „dass Betroffene nicht irgendwann entnervt alles hinschmeißen und nach 34 Jahren auf alles verzichten“.

Es gibt auch Unternehmen, die eine Betriebsvereinbarung zur Förderung friedlicher Konfliktbewältigung verfasst haben, häufig initiiert durch BetriebsrätInnen, die einen KonfliktlotsInnen-Lehrgang absolviert haben. „Vor allem Großunternehmen widmen sich der Thematik in ihren eigenen Codes of Conduct“, weiß Ingrid Reifinger, ÖGB-Expertin für ArbeitnehmerInnenschutz. „Das klingt gut, bringt für die Beschäftigten aber nur dann etwas, wenn konkrete Maßnahmen folgen. So wäre es im Rahmen der Fürsorgepflicht durchaus auch Aufgabe der ArbeitgeberInnen, spezielle Ansprechpersonen auszubilden.“

Yvonne F. hat sich schließlich doch dem Filialleiter anvertraut. In moderierten Gesprächen mit allen Beteiligten wurde rasch klar, dass die zwei Mobberinnen Angst hatten, „zum alten Eisen“ zu zählen und ihren Job zu verlieren. Nach einigen Treffen war die Situation bereits etwas entspannter und letztendlich wechselte eine der beiden in eine für sie günstiger gelegene Filiale.

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