Gesunde Arbeit

„Gesundheit als Grundpfeiler der Gewerkschaftsbewegung“

„Gesunde Arbeit“ im Gespräch mit ÖGB-Präsident Erich Foglar über die Herausforderungen im ArbeitnehmerInnenschutz.
ÖGB-Präsident Erich Foglar
Erich Foglar im Gespräch mit Ingrid Reifinger
Foto von ÖGB-Präsident Erich Foglar ÖGB-Präsident Erich Foglar
Foto von ÖGB-Präsident Erich Foglar und Ingrid Reifinger im Gespräch Erich Foglar im Gespräch mit Ingrid Reifinger

Du warst früher Betriebsrat bei Philips in Wien. Welche Probleme im ArbeitnehmerInnenschutz haben euch damals in den Achtzigerjahren beschäftigt?
Foglar: Die Arbeitswelt hat sich seit den Achtzigerjahren massiv verändert. Insbesondere in der Industrie sind die Auswirkungen des digitalen Wandels stark zu spüren. Früher gab es einfach keinen vergleichbaren Einsatz von Robotern und intelligenten Maschinen. Die Informations- und Kommunikationstechnologie steckte vor rund 30 Jahren noch in den Kinderschuhen. Insofern gab es keine derart starke Arbeitsverdichtung, wie wir sie heute erleben. Zusätzlich haben sich die Arbeitszeitmodelle in der Industrie stark flexibilisiert. Auf der anderen Seite waren die damaligen Sicherheitsbestimmungen sicherlich nicht mit heutigen Standards zu vergleichen. So gesehen waren wir in der industriellen Arbeitswelt der Achtzigerjahre noch stärker damit beschäftigt, die Gesundheit und Sicherheit der ArbeitnehmerInnen im Umgang mit den eingesetzten Maschinen zu erhöhen, während heutzutage der stärkere Zeitdruck aufgrund der Digitalisierung zur größten Herausforderung zählt.

Wir haben in den letzten Wochen einen Feldzug gegen die Arbeitsinspektion und das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz erlebt. Wie siehst du diese Ereignisse?
Foglar: Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) hat seit seiner Einführung dafür gesorgt, dass die Zahl der Arbeitsunfälle stark zurückgegangen ist. Es ist also ein äußerst sinnvolles Instrument für die Arbeitsinspektorate zur Durchsetzung hoher Standards in Fragen von Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Leider wurde in den vergangenen Monaten medial ein völlig verzerrtes Bild der wichtigen Tätigkeit der Arbeitsinspektorate dargelegt. Hier waren einige PolitikerInnen und UnternehmerInnen offensichtlich der Meinung, mit billiger Polemik die Arbeitsinspektionen schlechtreden zu müssen. Insbesondere die Art und Weise der öffentlichen Debatte war aus meiner Sicht untergriffig und entbehrlich. Schließlich zeigt nicht zuletzt ein Vergleich mit anderen EU-Mitgliedstaaten eindeutig: Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz und Kontrollen durch die Arbeitsinspektion sind Österreichs effektivste Mittel für gesunde und sichere Arbeitsverhältnisse. Sollten gewisse Bestimmungen nicht mehr notwendig sein, dann kann man etwaige Adaptierungen vornehmen. Eine Reform des ASchG darf jedoch die Sicherheit und Gesundheit der ArbeitnehmerInnen nicht gefährden!

Welchen Stellenwert hat Gesundheit am Arbeitsplatz in der Gewerkschaftspolitik?
Foglar: Am Beginn der Gewerkschaftsbewegung standen Menschen, die unter den zutiefst unmenschlichen Arbeitsbedingungen gelitten haben. So gesehen war der Ursprungsgedanke der Wille der ArbeiterInnen, gemeinsam für gesunde und sichere Arbeitsverhältnisse einzutreten. Gesundheit am Arbeitsplatz ist eine der unumstößlichen Grundsäulen unserer gewerkschaftlichen Mission. In der mehr als 170 Jahre alten Geschichte der Gewerkschaften hat sich daran nichts geändert, wenngleich die Herausforderungen heutzutage sicherlich anderer Natur sind als Mitte des 19. Jahrhunderts. Gesunde und sichere Arbeitsverhältnisse bleiben unser Anspruch als Gewerkschaftsbewegung. Dazu zählt auch ein sozialer Wohlfahrtsstaat, der all jenen Unterstützung gewährt, die aufgrund von Unfällen, Krankheiten, Arbeitslosigkeit oder Alter aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Unsere solidarischen Sicherheitssysteme basieren im Wesentlichen auf Steuern und Abgaben auf Erwerbsarbeit. Durch den digitalen Wandel werden sich diese klassischen Erwerbsarbeitsverhältnisse verändern, weshalb wir über neue Finanzierungsmodelle unseres Sozialstaats nachdenken müssen. Es braucht hier eine ehrliche Debatte ohne ideologische Scheuklappen.

Welche Herausforderungen siehst du im ArbeitnehmerInnenschutz für die Zukunft?
Foglar: Wir müssen noch stärker auf psychische Belastungen am Arbeitsplatz schauen. Die Digitalisierung der Arbeitswelt stellt uns vor große Herausforderungen. So erhöhen beispielsweise die ständige Erreichbarkeit via Smartphone und die grundsätzlich zunehmende Arbeitsverdichtung den Druck auf die ArbeitnehmerInnen. Diese Entwicklungen beeinträchtigen langfristig die Gesundheit der Beschäftigten und führen auch zu hohen volkswirtschaftlichen Folgekosten für die Gesamtgesellschaft. Es darf nicht sein, dass Unternehmen ihre MitarbeiterInnen unter konstant hohen Arbeitsdruck setzen und die negativen Auswirkungen einfach auf die Gesamtgesellschaft abwälzen. In Fragen der Gestaltung der digitalen Arbeitswelt sind uns darüber hinaus die Mitbestimmungsrechte auf betrieblicher Ebene ein großes Anliegen.

Welche Tipps würdest du BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen, JugendvertrauensrätInnen und Sicherheitsvertrauenspersonen für die betriebliche Praxis geben?
Foglar: Sie müssen stets ein offenes Ohr für die Wünsche und Sorgen aller KollegInnen haben, weshalb vor allem der ständige und unmittelbare Austausch mit der Belegschaft am wichtigsten ist. Um dann in Gesprächen und Verhandlungen die Gesundheitsinteressen der KollegInnen gegenüber der Geschäftsführung bestmöglich vertreten zu können, braucht es das entsprechende „Rüstzeug“. Regelmäßige Weiterbildung ist der Schlüssel dafür, dieses zu erwerben. Denn hervorragend geschulte BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen, JugendvertrauensrätInnen und Sicherheitsvertrauenspersonen sind das Rückgrat unserer Gewerkschaftsbewegung. Daher bietet der Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB) gemeinsam mit den Arbeiterkammern ein umfassendes Kursangebot an, in dem nicht zuletzt auch die Fragen des digitalen Wandels in der Wirtschaft und Arbeitswelt Berücksichtigung finden.

Ich danke für das Gespräch!
Interview: Ingrid Reifinger, ÖGB

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