Gesunde Arbeit

Soziale Aspekte im europäischen Straßenverkehr – Binnenmarkt vs. ArbeitnehmerInnenschutz?

Kann das von der EU-Kommission vorgestellte Mobilitätspaket einen Beitrag dazu leisten, Sozialdumping zu vermeiden und für bessere Arbeitsbedingungen auf Europas Straßen zu sorgen? Dies wurde im Rahmen einer von AK EUROPA, ÖGB und DGB organisierten Podiumsdiskussion am 21. Juni 2017 intensiv diskutiert.

Das von der Kommission am 31. Mai 2017 vorgestellte Mobilitätspaket enthält zahlreiche Neuerungen, die den Straßenverkehr in Europa fairer und nachhaltiger gestalten soll. Gerade die vorgeschlagenen Änderungen hinsichtlich der Kabotage und der Entsendung von BerufskraftfahrerInnen bedeuten maßgebliche Neuerungen für alle Beschäftigten im Straßentransportsektor, die nun in Brüssel diskutiert werden. Ob das Maßnahmenpaket aber tatsächlich einen Beitrag dazu leisten kann, Sozialdumping zu vermeiden und für bessere Arbeitsbedingungen auf Europas Straßen zu sorgen, wurde im Rahmen einer von AK EUROPA, ÖGB und DGB organisierten Podiumsdiskussion am 21. Juni 2017 intensiv diskutiert.

Die Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Lucy Anderson, bedauerte, dass innerhalb des Mobilitätspakets kaum Ansätze zu finden seien, die Sozialdumping wirksam bekämpfen würden. Vor allem bemängelte sie das Fehlen einer europäischen Straßenverkehrsagentur, mit der die Umsetzung der EU-rechtlichen Bestimmungen im Straßenverkehr und die Kontrollen innerhalb der Mitgliedstaaten sichergestellt würden. Sie hob hervor, wie dringlich Maßnahmen gegen Sozialdumping auf Europas Straßen sind und verwies dabei auch auf die Demonstration der ETF und ihrer Mitgliedsgewerkschaften, die im April 2017 in Brüssel stattfand. Sie zeigte sich darüber hinaus enttäuscht, dass der Vorschlag der Kommission keine Maßnahmen hinsichtlich der Probleme im Taxigewerbe umfasst.

Auch Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des DGB, kritisierte die fehlende soziale Dimension des Mobilitätspakets. Er betonte, dass es sich bei den ca. 5 Millionen ArbeitnehmerInnen im Straßenverkehr nicht um eine Randgruppe handle, sondern um einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Beschäftigten in Europa. Er warnte vor einer Spirale nach unten, die ausgehend von den vorgeschlagenen Neuerungen im Straßenverkehr in weiterer Folge auch für den Schienen- und Schiffsverkehr zu befürchten seien. Außerdem kritisierte er die Kommission scharf, da ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich, Deutschland und Frankreich wegen der vermeintlich zu strengen Anwendung der Entsenderichtlinie im Straßenverkehr anhängig ist.

Die Leiterin der Abteilung Umwelt und Verkehr der Arbeiterkammer Wien, Sylvia Leodolter, kam in ihrer Analyse zum selben Schluss. Viele der vorliegenden Vorschläge bedeuten eine Schlechterstellung des Status Quo, weshalb sich die Gefahr des Sozialdumpings vergrößert. Hierzu zählt vor allem die Änderung der Kabotageregelung, also dem innerstaatlichen Transport durch ein ausländisches Unternehmen. Während bisher drei Kabotagefahrten innerhalb von sieben Tagen zulässig waren, sollen in Zukunft unbegrenzt viele Kabotagefahrten innerhalb von fünf aufeinanderfolgenden Tagen möglich sein. Außerdem betonte sie die Notwendigkeit, dass die Entsenderichtlinie auch im grenzüberschreitenden Verkehr für alle BerufskraftfahrerInnen ab dem ersten Tag zu gelten habe, und nicht erst ab dem vierten Tag gemäß Kommissionsentwurf. Zwar gebe es auch positive Aspekte innerhalb des Pakets, beispielsweise in Hinblick auf Briefkastenfirmen oder die Unterbringung von FahrerInnen an Wochenenden, insgesamt habe die Kommission die Anliegen der Bürgerinitiative „Fair Transport“ aber zu wenig aufgenommen.

Der Leiter der Abteilung für Soziale Angelegenheiten der International Road Transport Union, Jan Nemec, sieht das Mobilitätspaket als grundsätzlich gute Diskussionsbasis. Doch auch aus seiner Sicht seien noch Nachbesserungen notwendig. Auch er fand, dass die vorgeschlagene Kabotageregelung zu viele Fragen offen lasse. Das Problem bei der bisherigen Regelung lag nicht an der Beschränkung der Fahrten selbst, sondern an der unzureichenden Kontrolle und Vollzug. Die Klarstellung, dass ArbeitgeberInnen für Übernachtungsmöglichkeiten in Zusammenhang mit der wöchentlichen Ruhezeit zu sorgen haben, bewertete er als „nobles Ziel“, wies jedoch darauf hin, dass in vielen Teilen Europas entlang der Autobahnen keine ausreichende Zahl an Hotels zur Verfügung stehen würde. Er hob auch positiv hervor, dass die Kommission im Vorfeld umfangreiche Konsultationen und Gespräche mit InteressenvertreterInnen geführt hatte.

Eddy Liégeois, Referatsleiter der DG Move, verteidigte das von der Kommission vorgelegte Paket als ausgewogenen Entwurf mit dem Ziel, einfachere Regeln vorzugeben, die in der Folge auch leichter kontrollierbar seien. Aus Sicht der Kommission handle es sich bei den vorgeschlagenen Änderungen zur Kabotage nicht um eine Ausdehnung der Fahrten, sondern um einen leichter kontrollierbaren neuen Ansatz. Er betonte gleichzeitig, dass es sich um eine Diskussionsgrundlage zum Meinungsbildungsprozess handle und die Kommission Änderungen von Seiten des Parlaments und des Rates offen gegenüberstehe.

Stanislava Rupp, die im Rahmen des Projektes „Fair Mobility“ LKW-FahrerInnen berät und Befragungen durchführt, gab den Anwesenden im Laufe der Diskussion einen näheren Einblick über die Probleme der FahrerInnen auf Deutschlands Autobahnen. Während die LKW-LenkerInnen über die geltenden Bestimmungen bezüglich Lenk- und Ruhezeit sehr gut Bescheid wüssten, mangle es ihnen an Informationen über ihre Rechte in Hinblick auf Mindestlohn und soziale Standards. So würden die BerufskraftfahrerInnen immer wieder schildern, dass die Zeiten für das Tanken sowie Be- und Entladen der LKWs von ihren ArbeitgeberInnen nicht vergütet würden.

In der abschließenden Diskussionsrunde meldete sich aus dem Publikum der Europaabgeordnete Michael Cramer zu Wort und wies darauf hin, dass Sozialdumping durch Einführen des digitalen Tachographen wesentlich besser kontrolliert werden könnte. Allerdings sieht ihn der Kommissionsentwurf erst ab 2034 für alle LKW verpflichtend vor. Eddy Liégeois entgegnete darauf, dass für neue LKW diese neueste Generation an Tachographen bereits ab 2019 vorgeschrieben seien, es aber keine Verpflichtung zur Nachrüstung gebe, wodurch sich diese lange Übergangsfrist ergebe.

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