Gesunde Arbeit

Gemeinsam Maßstäbe setzen

Abseits von entbehrlichen „Übererfüllungsdiskussionen“, Bürokratiekritik und langwierigen Prozessen zur Entscheidungsfindung: So manche Verbesserung beim ArbeitnehmerInnenschutz kam auch hierzulande erst durch EU-Richtlinien zustande.
Gemeinsam Maßstäbe setzen
Christa Sedlatschek: „Krebs ist nach wie vor die häufigste Ursache arbeitsbedingter Todesfälle in der EU.“
Gemeinsam stark – Gesund arbeiten in der EU
Bild zur Coverstory des Magazins Gesunde Arbeit, Ausgabe 3/2018 Gemeinsam Maßstäbe setzen
EU-OSHA-Direktorin Dr.in Christa Sedlatschek Christa Sedlatschek: „Krebs ist nach wie vor die häufigste Ursache arbeitsbedingter Todesfälle in der EU.“
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Die erste entscheidende Weiterentwicklung erfolgte gleich beim EU-Beitritt. Am 1. Jänner 1995 trat das Bundesgesetz über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (ASchG) in Kraft. Mit dieser Angleichung der österreichischen ArbeitnehmerInnenschutzvorschriften an EU-Recht wurde eine EG-Arbeitnehmerschutz-Rahmenrichtlinie von 1989 umgesetzt. Dadurch gab es drei große Verbesserungen: erstens die Einführung der verpflichtenden Arbeitsplatzevaluierung, zweitens die Aufwertung der Sicherheitsvertrauenspersonen (SVP) und drittens die verpflichtende Bestellung von ArbeitsmedizinerInnen und Sicherheitsfachkräften (SFK). Davor lag die Grenze für die Bestellung bei 250 Beschäftigten – das betraf österreichweit nur rund 1.000 Unternehmen.

Vorreiterrolle
An sich gilt Österreich als Sozialstaat mit hohen Standards. So entstand hier etwa 2002 der europaweit erste Kollektivvertrag für die Arbeitskräfteüberlassung. Trotzdem waren 2012 infolge einer EU-Richtlinie aus 2008 Anpassungen erforderlich (z. B. betriebliche Sonderleistungen auch für LeiharbeiterInnen).
Folgerichtig kann auch AK-Expertin Julia Nedjelik-Lischka der EU viel Positives abgewinnen: „Entscheidend ist, dass Österreich am Gesetzgebungsprozess beteiligt ist. Europaweite Standards bedeuten gleiche Voraussetzungen für alle, zum Beispiel weniger Lohn- und Sozialdumping.“
Organisationen wie die EU-OSHA schaffen Bewusstsein für spezielle Risikogruppen, aktuelle Themen und Entwicklungen. Groß angelegte Umfragen ermöglichen den Vergleich und Erfahrungsaustausch mit anderen Ländern. So ergab etwa die Erhebung ESENER-2, dass in Österreich in puncto Evaluierung Aufholbedarf besteht. Nur 56 Prozent der hiesigen Unternehmen führen regelmäßig Arbeitsplatzevaluierungen durch, im EU-Durchschnitt sind es 76 Prozent.

Richtlinien für die Sicherheit
Es gibt derzeit zwei Arten von EU-Rechtsakten: Richtlinien und Verordnungen. Richtlinien sind Rahmengesetze der EU. Sie stellen politische Forderungen dar und müssen von den Parlamenten der Mitgliedstaaten innerhalb einer bestimmten Frist in nationales Recht umgesetzt werden. Verordnungen sind dagegen EU-Gesetze, die sofort in allen Mitgliedstaaten gelten.
Neben den EU-Einrichtungen und EU-Organisationen spielen auch diverse Interessenvertretungen eine wichtige Rolle. Sämtliche österreichische Sozialpartner haben ihre Büros in der Ständigen Vertretung Österreichs in der EU. Doch in der Praxis sind ArbeitnehmerInneninteressen in Brüssel stark unterrepräsentiert. Das Tagesgeschäft wird durch Lobbying von Großunternehmen und Unternehmensverbänden dominiert. Trotz Transparenzregister ist die Situation weiterhin unausgeglichen, die AK fordert daher klare Regeln für die ausgewogene Besetzung von ExpertInnengruppen.

Aktuelle Themen

  • Im April startete die Kampagne „Gesunde Arbeitsplätze – Gefährliche Arbeitsstoffe erkennen und handhaben“ der EU-OSHA. Zahlreiche Online-Tools und Leitfäden – viele davon auch auf Deutsch – sollen bei der Bewertung von und beim Umgang mit Arbeitsstoffen helfen. Das interaktive Online-Tool OiRA etwa ermöglicht es, in allen EU-Sprachen einfach und standardisiert branchenspezifische Werkzeuge für die Arbeitsplatzevaluierung zu erstellen.
  • Durch ESENER-2 hat sich herausgestellt, dass das Management von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit für Klein(st)unternehmen (KKU) eine Herausforderung darstellen kann. Nicht selten fand sich die Auffassung, dass „gesunder Menschenverstand“ eine ausreichende Sicherheits- und Gesundheitsmaßnahme am Arbeitsplatz darstellt, sowie die Überzeugung, dass Risiken „Teil des Jobs“ sind. Es wurden aber auch Beispiele für gute praktische Lösungen gefunden. Details und Ergebnisse des KKU-Projektes sind in der Publikation „Sicherheit und Gesundheitsschutz in Kleinst- und Kleinunternehmen in der EU: Von der Politik zur Praxis – Beschreibung von Beispielen bewährter Verfahrensweisen“ (in englischer Sprache) nachzulesen.
  • Dritte Tranche der Änderung der Karzinogene-Richtlinie: Vier der von der Kommission vorgeschlagenen Grenzwerte gehen für die AK über ein „akzeptables“ Krebsrisiko hinaus (u. a. bei Cadmium, Beryllium und Arsensäure). Bei der Verwendung von krebserzeugenden Arbeitsstoffen gibt es meist keine gesundheitlich unbedenkliche Konzentration. In Deutschland werden Grenzwerte für krebserzeugende Arbeitsstoffe so festgelegt, dass bei einer beruflichen Exposition über 40 Berufsjahre ein maximales Krebsrisiko von vier zu 100.000 bestehen darf. Dies sollte auch auf europäischer Ebene ein Ziel sein. In der Praxis müssen Grenzwerte stets so weit wie möglich unterschritten werden. Wirtschaftliche Erwägungen sollten nicht zu höheren Risiken führen. „Die Verhandlungen über die Änderung der Richtlinie über Karzinogene sollen noch während des österreichischen Ratsvorsitzes zum Abschluss gebracht werden“, fordert auch EU-OSHA-Direktorin Dr.in Christa Sedlatschek. „Denn Krebs ist nach wie vor die häufigste Ursache arbeitsbedingter Todesfälle in der EU.“

Kein Abbau von Schutzstandards
Die „Übererfüllung“ von EU-Richtlinien („Gold-Plating“) sorgt in mehreren Bereichen für Diskussionen. So schließt etwa die österreichische Verordnung zum Schutz der ArbeitnehmerInnen vor Verletzungen durch scharfe oder spitze medizinische Instrumente auch das Veterinärwesen und Labors mit ein – im Gegensatz zur entsprechenden EU-Richtlinie. Frank Ey, AK-Europaexperte, erklärt die aktuelle Rechtslage zur „Übererfüllung“: „Eine Verschlechterung nationaler Gesetze und Regelungen durch EU-Richtlinien ist prinzipiell möglich – außer wenn es im jeweiligen EU-Rechtsakt eine sogenannte Nichtrückschrittsklausel gibt. In der EU-Arbeitszeitrichtlinie ist das der Fall und eine Schlechterstellung (bezüglich Urlaub) ist nicht erlaubt. Ein derartiger Passus fehlt aber leider sehr oft im EU-Recht.“ Für Alexander Heider, Leiter der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit der AK Wien, ist die Sache klar: „Die Rahmenrichtlinie aus 1989 sieht in Artikel 1 Abs. 3 ein Günstigkeitsprinzip vor. Das erlaubt uns, jederzeit günstigere nationale Schutzbestimmungen zu erlassen. EU-Richtlinien sind daher Mindestvorschriften, die sich an den Ländern mit den größten Schwierigkeiten orientieren. Von Österreich als einem der reichsten Länder der Welt wird mehr erwartet.“

Online-Tools zur aktuellen EU-OSHA-Kampagne:
https://healthy-workplaces.eu/de/practical-tools
Broschüre der AK „Lobbying in Brüssel“:
https://tinyurl.com/lobbying318
AK-Positionspapier zur Änderung der Karzinogene-Richtlinie:
https://tinyurl.com/position318

EU inside - Infos & Fakten

ACSH (Advisory Committee for Safety and Health at Work):
Der Beratende Ausschuss für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz ist ein Gremium, das sich aus drei Vollmitgliedern pro Mitgliedstaat zusammensetzt: je einem Vertreter der nationalen Regierungen, der ArbeitnehmerInnen- und der ArbeitgeberInnenorganisationen. Er hat die Aufgabe, die EU-Kommission bei der Entscheidungsfindung auf dem Gebiet der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz zu unterstützen.

ESENER (European Survey of Enterprises on New and Emerging Risks):
Die erste Europäische Unternehmenserhebung über neue und aufkommende Risiken ESENER-1 umfasste 2009 knapp 36.000 Befragungen von Gesundheits- und Sicherheitsbeauftragten sowie ManagerInnen des privaten und öffentlichen Sektors. Beteiligt waren alle EU-Mitgliedstaaten sowie die Türkei, Norwegen und die Schweiz – insgesamt also 31 Länder. In Ergänzung zu den 2010 veröffentlichten Hauptergebnissen erfolgten danach vertiefende Sekundäranalysen zu speziellen Themen. ESENER-2 startete 2014 mit fünf weiteren Ländern und erstmals wurden auch Kleinstunternehmen (fünf bis zehn Beschäftigte) miteinbezogen. ESENER-3 ist für 2019 geplant.

EU-OSHA (European Agency for Safety and Health at Work):
Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz mit Sitz in Bilbao, Spanien. In Verwaltungsrat und Vorstand der EU-OSHA arbeiten Arbeitnehmer-, Arbeitgeber- und RegierungsvertreterInnen aller Mitgliedstaaten sowie VertreterInnen der EU-Kommission. Die Kurzbezeichnung OSHA entstand in Anlehnung an die 1971 gegründete Occupational Safety and Health Administration in den USA. Die EU-OSHA organisiert in den 28 Mitgliedstaaten sowie in den EFTA-, Beitritts- und Kandidatenländern Informationskampagnen zu wichtigen Themen im ArbeitnehmerInnenschutz. Außerdem findet zum jeweils aktuellen Kampagnenthema auch der Europäische Wettbewerb für gute praktische Lösungen statt.

Focal Point:
Nationale Vertretung von EU-Organisationen; Focal Point von EU-OSHA in Österreich ist das Sozialministerium bzw. das Zentral-Arbeitsinspektorat. Der nationale Focal Point ist verpflichtet, den Standpunkt der Sozialpartner auf internationaler Ebene zu berücksichtigen.

Rahmenvereinbarungen:
Sozialpartnervereinbarungen auf europäischer Ebene (seit 1999 möglich); damit können die europäischen Sozialpartner einvernehmlich ursprünglich dem Rat zukommende Regelungskompetenzen an sich ziehen. Rahmenvereinbarungen können allerdings nicht als Euro-KV bezeichnet werden, da sie keine unmittelbare normative Wirkung haben. Für ihre Umsetzung gibt es zwei Möglichkeiten: Die Vereinbarung dient nur als unverbindliche Anregung bzw. Zielvorgabe für die nationale Gesetzgebung bzw. die Sozialpartner. Oder die Sozialpartner beantragen einen Ratsbeschluss, wodurch die Vereinbarung rechtsverbindlich wird.

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