Gesunde Arbeit

Reportage: Mitten in Brüssel

Hildegard Weinke, Redakteurin der Gesunden Arbeit und Mitarbeiterin der AK Wien, arbeitete im Frühling 2018 einen Monat lang in Brüssel. In ihrem Bericht schildert sie ihre Eindrücke und Erfahrungen aus dem Herzen der EU.
Hildegard Weinke im Gespräch mit Evelyn Regner, Abgeordnete im Europaparlament.
Hildegard Weinke mitten in Brüssel.
Hildegard Weinke im Gespräch mit Evelyn Regner, Abgeordnete im Europaparlament. Hildegard Weinke im Gespräch mit Evelyn Regner, Abgeordnete im Europaparlament.
Hildegard Weinke in Brüssel Hildegard Weinke mitten in Brüssel.

Es wird gebohrt, gehämmert, geschraubt. Im Gebäude der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU werden Eingangsbereich und einzelne Stockwerke auf Vordermann gebracht, denn Österreichs EU-Ratsvorsitz steht bevor. Die österreichischen Sozialpartner teilen sich die Räume im zweiten Stock: Arbeiterkammer und Österreichischer Gewerkschaftsbund, Wirtschaftskammer und Landwirtschaftskammer rücken hier räumlich zusammen. In den Büros geht das Arbeitsleben seinen gewohnten Gang.

Lobbying für ArbeitnehmerInnen
Amir Ghoreishi, Leiter des AK-Büros, und Oliver Röpke, Leiter des ÖGB-Büros in Brüssel, werden nicht müde zu erklären, wie schwer Lobbyingarbeit für die Interessen der ArbeitnehmerInnen in Brüssel ist. „Lobbyismus muss transparent und ausgewogen sein. Derzeit ist dies jedoch alles andere als der Fall“, so die beiden vor einer Besuchergruppe österreichischer BetriebsrätInnen Anfang Mai. Im EU-Transparenzregister ist dieses Ungleichgewicht erkennbar. Die Zahl der Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen, der Zivilgesellschaft und Umweltorganisationen steht im Verhältnis 1 zu 65 zu VertreterInnen von Wirtschaftsinteressen. Laut Schätzungen ist das Ungleichgewicht noch größer, da sich nicht alle Organisationen im Transparenzregister eintragen oder für Unternehmen versteckt als Thinktank lobbyieren. „Professionelle LobbyistInnen lobbyieren einmal für Öl, dann für Tabak und dann für etwas komplett anderes“, erklärt Amir Ghoreishi. Die ArbeitnehmerInnen-Interessen zu vertreten, das ist bei diesem Ungleichgewicht nicht einfach, aber möglich. Evelyn Regner, Abgeordnete im Europaparlament, betont, wie sehr das Know-how von AK und ÖGB in Brüssel gefragt ist. „Dafür werden wir von vielen KollegInnen aus anderen Ländern beneidet. Wir wissen, dass Daten, Zahlen und Einschätzungen, die uns von AK und ÖGB geliefert werden, zuverlässig sind. Das Hirnschmalz von AK und ÖGB hat politischen Einfluss.“

Stark vertreten
Amir Ghoreishi gibt zu bedenken: „Nur wer daheim stark ist, kann auch in Brüssel stark sein.“ Damit ist auch die Diskussion um die AK-Mitgliedschaft gemeint. Es wäre brandgefährlich, wenn die AK-Beiträge gekürzt würden. „Eine Kürzung würde die Interessenvertretung der AK sowohl in Österreich als auch in Brüssel massiv erschweren.“ Schließlich müssen die ExpertInnen im AK-Europabüro und im ÖGB-Europabüro derzeit schon mehrere Themengebiete gleichzeitig betreuen. AK und ÖGB kämpfen also auch in Brüssel gemeinsam an einer Front. „Thematisch und personell arbeiten wir eng zusammen. Ansonsten wäre eine sinnvolle Vertretung unmöglich“, so Oliver Röpke.

Ein Europa, das schützt?
Nicht unerwähnt bleibt das Motto Österreichs für den Vorsitz im Rat der Europäischen Union (EU-Ratsvorsitz) im zweiten Halbjahr 2018: „Ein Europa, das schützt“. Dass damit nicht der ArbeitnehmerInnenschutz gemeint ist, lässt sich aus der bisherigen Themensetzung der Regierung erkennen. Schutzmaßnahmen, wie zum Beispiel Grenzwerte für krebserzeugende Arbeitsstoffe zu senken oder Grenzwerte bei der manuellen Bewegung von Lasten zu fixieren, sind nicht geplant. Hier hat Österreich noch Aufholbedarf. Aber auch die EU hat Schwierigkeiten, Arbeit und Soziales, ArbeitnehmerInnenschutz und ähnliche Themen mehr in den Vordergrund zu stellen. Dies lässt sich unter anderem auf die politische Landschaft in Europa zurückführen.

Soziale Säule
Die Soziale Säule in Europa muss gestärkt werden. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat dies erkannt. Denn: Viele Menschen sind von der EU enttäuscht. Immer wieder wird mit EU-Austritten geliebäugelt. Was das bedeutet, ist vielen nicht klar. Nach dem „Yes“ zum Brexit wird bezweifelt, dass Großbritannien einen Aufschwung erlebt. Firmen siedeln von Großbritannien in EU-Länder, um weiter in der EU tätig zu sein. Auch für die Europäische Arbeitsbehörde (ELA, European Labour Authority) wird ein Standort überlegt. „Wien würde sich aufgrund der Nähe zu den Oststaaten und der guten Infrastruktur anbieten“, meint Evelyn Regner. Der soziale Schutz für ArbeitnehmerInnen und Selbstständige bei grenzüberschreitendem Arbeiten muss gewährleistet sein. Werden ArbeitnehmerInnen in einem anderen EU-Land eingesetzt, dann soll die ELA die Möglichkeit haben, die Arbeitsbedingungen zu überwachen und zu kontrollieren, um Missbrauch und Betrug zu verhindern.

Rückschritte in Österreich
Dass Österreich generell Standards zum Nachteil der ArbeitnehmerInnen heruntersetzen möchte, wird mit größter Skepsis betrachtet. Österreich würde dann nur noch die von der EU vorgegebenen Mindeststandards erfüllen. Das bedeutet für Österreich Rückschritte in unterschiedlichsten Bereichen (z. B. KonsumentInnenschutz, Umweltschutz etc.).

Fazit
Dass ArbeitnehmerInnenvertretung auch auf dem Brüsseler Parkett stattfindet, ist wichtig. Einerseits geht es dabei darum, dem Wirtschaftslobbyismus nicht das Feld zu überlassen und immer wieder den notwendigen Schutz und die Rechte von ArbeitnehmerInnen und Zivilgesellschaft einzufordern. Andererseits wird hier versucht, die nationalen und europaweiten Bedingungen stetig zu verbessern.
Wer gerne die Ausrede „Die EU ist schuld“ annimmt oder gar Austrittsfantasien hat, sollte nochmals über die Intentionen der Gründung der EU nachdenken. Wer die Geschichte der Europäischen Union kennt, der weiß um die Bedeutung der Europäischen Union als friedenssicherndes Projekt und Wirtschaftsgemeinschaft.

Weiterführende Informationen:

Broschüre der AK „Lobbying in Brüssel“:
https://tinyurl.com/lobbying318
Transparenz-Register:
https://tinyurl.com/transparenz318
Europäische Arbeitsbehörde geplant:
https://tinyurl.com/ela318

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