Unsere Vertretung in Brüssel
Was machen ÖGB und AK mitten in Brüssel?
Ghoreishi/Röpke: AK und ÖGB arbeiten gemeinsam an der Durchsetzung der Interessen der österreichischen ArbeitnehmerInnen. Wir arbeiten eng mit europäischen Gewerkschaften und NGOs zusammen. Unser Engagement für ein soziales Europa ist nicht neu. Bereits vor Österreichs EU-Beitritt waren wir in Brüssel vertreten. Heute sind wir Teil von Österreichs Ständiger Vertretung in Brüssel. In dieser EU-Botschaft Österreichs sind alle Ministerien und die Sozialpartner vertreten. Dass wir in der österreichischen EU-Botschaft unsere Büros haben, ist europaweit einzigartig und hat viele Vorteile. Täglich versuchen wir, unsere Expertise in Brüssel bestmöglich an die richtigen Stellen in der EU-Kommission und im EU-Parlament zu bringen. Wir veranstalten regelmäßig Diskussionen in Brüssel zu Themen, die für ArbeitnehmerInnen wichtig sind, und wir beteiligen uns an europaweiten Kampagnen. Gemeinsam ist es uns gelungen, ein fixer Bestandteil der europäischen Gewerkschaftsbewegung zu werden.
Die Abkürzung REFIT geistert herum. Ein Schlagwort, das uns erschlägt?
Ghoreishi/Röpke: Unter dem Schlagwort „Bessere Rechtsetzung“ arbeitet die EU-Kommission seit 2001 daran, Gesetze zu vereinfachen und Bürokratie abzubauen. REFIT (Regulatory Fitness and Performance) ist ein heikler Kernbestandteil dieser Initiative. Vor dem ArbeitnehmerInnenschutz wird dabei nicht haltgemacht. 2014 hat die Juncker-Kommission die „Bessere Rechtsetzung“ zu einer ihrer wichtigsten Aufgaben erklärt. Erste Entwürfe sahen massive Verschlechterungen für ArbeitnehmerInnen vor und beunruhigten AK, Gewerkschaften und NGOs. Geplant waren die Abschaffung von Sozialpartner-Konsultationen, ein Gold-Plating-Verbot (keine EU-Mindeststandards, dafür aber verpflichtende einheitliche Höchststandards) und Ausnahmen für KMU beim ArbeitnehmerInnenschutz. Dies wurde durch unseren gemeinsamen Druck auf die Kommission abgewehrt.
Ein EU-Thema sind Grenzwerte für Karzinogene. Das geht sehr träge voran. Wo bleibt der den vielen Todesfällen geschuldete Aufschrei zum raschen Handeln?
Ghoreishi/Röpke: Gesundheit am Arbeitsplatz muss mehr wiegen als die Interessen der Lobbyisten! Die Kommission hat vorgeschlagen, die Karzinogene-Richtlinie bei der Arbeit zu ändern. Ihr Geltungsbereich soll erweitert und für 13 Karzinogene und Mutagene sollen Expositionsgrenzwerte am Arbeitsplatz eingeführt bzw. bestehende Werte geändert werden. Im Juni 2017 erzielten Parlament und Rat eine vorläufige Einigung über den Vorschlag, seit Mai 2018 laufen Trilogverhandlungen. Knackpunkt der aktuellen Verhandlungen ist die Forderung des EU-Parlaments, Dieselmotoremissionen als krebserzeugend in den Richtlinienentwurf aufzunehmen.
Käme ein Verbot des sogenannten Gold-Plating, würde das Mindeste genügen. Da wird kurz gesagt das Mindeste zum Feind des Guten. Verlieren wir unser Schutzniveau?
Ghoreishi/Röpke: Mit dem Kampfbegriff Gold-Plating versucht die Industrielobby seit Jahren, alles als überflüssig zu diskreditieren, was über den europäischen Mindeststandards liegt. Eine „Liste der Grauslichkeiten“ mit rund 500 Wünschen der Wirtschaft liegt bereits bei der Bundesregierung. Würden sie Wirklichkeit, müsste zum Beispiel der Jahresurlaub in Österreich von fünf auf vier Wochen reduziert werden.
Diese Ideologie, der auch die gegenwärtige Bundesregierung folgt, ist ein Anschlag auf die in Jahrzehnten erkämpften Rechte der ArbeitnehmerInnen. Es läuft auf ein Ende des sozialen Europas hinaus. Soziale Mindeststandards auf EU-Ebene würden zum Maximalniveau, ein Wettlauf um die niedrigsten sozialen Standards würde starten. Die IV, Teile der WKÖ und der europäische Industrieverband Business Europe wollen einen Rückbau der EU zu einem Binnenmarkt, der nur noch den Interessen der Wirtschaft dient.
Einer solchen EU sind wir nicht beigetreten. AK und ÖGB werden ein solches Europa niemals akzeptieren. Massiver Widerstand gegen diese Ideologie, zum Beispiel unsere Kampagne gegen den 12-Stunden-Tag, ist wichtig. Dies scheint jedoch nur der Auftakt zu einer Serie von Regierungsvorhaben zu sein, die das soziale Gleichgewicht in Österreich massiv zulasten der ArbeitnehmerInnen verschieben sollen.
Man gewinnt den Eindruck, dass die Wirtschaft dominiert. Die soziale Säule ist geschwächt. Sollte die EU die Schieflage nicht angehen und sozialer werden?
Ghoreishi/Röpke: Auf jeden Fall, das ist ja die langjährige Kernforderung von ÖGB und AK. Gemeinsam mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund werden wir den Druck auf Kommission und EU-Parlament erhöhen. Tatsächlich gibt es Fortschritte: Die neue Europäische Säule sozialer Rechte wurde im Herbst 2017 in Göteborg proklamiert. Das ist die erste grundlegende sozialpolitische Initiative seit Jahren. Jedoch fehlen konkrete Taten, zum Beispiel eine europäische Arbeitsbehörde, die grenzüberschreitendes Lohn- und Sozialdumping bekämpft und Strafen gegen Betrugsfirmen in deren Ländern vollzieht. Die Kommission hat einen Vorschlag gemacht, die Mitgliedstaaten bremsen, allen voran die österreichische Bundesregierung. In Brüssel herrscht nur noch Kopfschütteln über diese österreichische EU-Politik. Gerade wir würden von einer solchen Agentur am meisten profitieren – am besten, wenn sie in Österreich angesiedelt wäre.
Ich danke für das Gespräch!
Interview: Hildegard Weinke, AK Wien
Oliver Röpke ist Büroleiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel. Seine Bereiche sind Sozialpolitik, Binnenmarkt, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) und Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB).
Amir Ghoreishi ist Büroleiter des AK-Europabüros in Brüssel. Er ist für die Bereiche Binnenmarkt, Wettbewerbspolitik und Steuerpolitik zuständig.