Gesunde Arbeit

„In Sachen Sicherheit gibt es immer Luft nach oben!“

Im Interview spricht sich die Leitende ÖGB-Sekretärin Ingrid Reischl für Verbesserungen bei Berufskrankheiten und mehr Prävention aus. Der Schutz der ArbeitnehmerInnen hat für sie in Zeiten von Corona, aber auch danach höchste Priorität.
Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB
Ingrid Reischl: „Jeder in Prävention investierte Euro bringt dem Betrieb im Schnitt mehr als das Doppelte zurück.“
Ingrid Reischl Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB
Ingrid Reischl Ingrid Reischl: „Jeder in Prävention investierte Euro bringt dem Betrieb im Schnitt mehr als das Doppelte zurück.“

Zu Beginn wollen wir kurz auf das Thema eingehen, das unser Leben umfassend verändert hat: das Coronavirus. Was waren die größten Herausforderungen?
Es gab für uns im ÖGB plötzlich mehrere Baustellen gleichzeitig. Unser wichtigstes Ziel ist es, so viele Menschen wie möglich in Beschäftigung zu halten. Mit dem neuen Corona-Kurzarbeitsmodell haben wir da ein sehr gutes Angebot geschaffen. Zum anderen ist der Schutz der ArbeitnehmerInnen in Zeiten einer Pandemie besonders wichtig. Und in Krisenzeiten leider besonders schwierig.

Wie gestaltet sich in diesen Zeiten der Schutz der ArbeitnehmerInnen?
Das ist eine gleichermaßen wichtige wie auch schwierige Frage. Das oberste Ziel ist es, das Ansteckungsrisiko zu reduzieren, egal in welchem Bereich. Dafür gibt es aber nicht den einen Weg, sondern der unterscheidet sich von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz.

Überall gilt: Grundlegende Vorsichtsmaßnahmen müssen eingehalten werden. Wie zum Beispiel regelmäßiges Händewaschen, notwendige Abstände oder der Einsatz von Desinfektionsmitteln. Darüber hinaus sorgen die Gewerkschaften gerade Branche für Branche für Regelungen, um ArbeitnehmerInnen bestmöglich zu schützen.


Welche Ziele hast du dir für den Bereich Prävention in der AUVA gesetzt?
Auch abseits von Corona müssen wir handeln. Ich denke beispielsweise an 1.800 Krebstote, die in Österreich jährlich auf arbeitsbedingte Erkrankungen zurückzuführen sind. Nur ein kleiner Teil davon zählt zu den Berufskrankheiten laut ASVG. Wir müssen Verbesserungen bei Meldungen sowie der Weiterentwicklung und Anpassung der gelisteten Berufskrankheiten angehen.

Intensiv beschäftigt uns auch die Digitalisierung in der Arbeitswelt. Wir wollen Chancen und Risiken der Digitalisierung schnell aufspüren, um die richtigen Maßnahmen zur Prävention zu entwickeln. Dabei dürfen wir aber auf keinen Fall auf bestehende Risiken vergessen.


Wir haben gehört, dass AUVAsicher personell durchaus ausbaufähig wäre, weil besonders neue Betriebe oft lange auf eine Betreuung warten müssen?
In Sachen Sicherheit gibt es immer Luft nach oben. Momentan sind circa 115.000 Arbeitsstätten mit 1 bis 50 ArbeitnehmerInnen bei AUVAsicher angemeldet. Wir betreuen damit mehr als eine Million Beschäftigte. Tag für Tag sind für AUVAsicher österreichweit etwa 280 Präventivfachkräfte für sicherheitstechnische und gesundheitliche Fragen im Einsatz. Sie unterstützen ArbeitgeberInnen dabei, ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen. Mehr Fachkräfte in diesem Bereich wären natürlich wünschenswert.

Prävention rechnet sich, das investierte Geld kommt ja wieder zurück. Warum investiert die AUVA nicht mehr in Prävention?
Der Unfallversicherungsbeitrag wurde in den letzten sechs Jahren sukzessive von 1,4 % auf derzeit 1,2 % gekürzt. Die Diskussion über eine Reduktion auf 0,8 % stand im Raum. Damit zeigt sich: Die Arbeitgebervertreter sind derzeit nicht bereit, mehr in die Leistungen und die Prävention der AUVA zu investieren. Es stellt sich somit auch die Frage, ob mit diesem Vorgehen das Haftungsprivileg der Dienstgeber noch aufrechterhalten werden kann.

Es ist erfreulich, dass die Arbeitsunfallrate in den letzten Jahrzehnten stetig gesunken ist und damit sichtbar wird, dass die präventiven Maßnahmen greifen. Die Ableitung, nun weniger in Prävention zu investieren, wäre aber fatal, sowohl moralisch als auch wirtschaftlich gesehen. Internationale Studien zeigen uns, dass jeder investierte Euro in Prävention dem Betrieb im Durchschnitt mehr als das Doppelte zurückbringt.


Warum kümmert sich die AUVA nicht umfassend um arbeitsbedingte Erkrankungen?
Die umfassende Zuständigkeit für arbeitsbedingte Erkrankungen ist eine wichtige Forderung der Gewerkschaft. Dazu braucht es allerdings den Gesetzgeber. Ich werde mich bei der Bundesregierung für dieses wichtige Anliegen starkmachen.

Die Berufskrankheitenliste soll gemäß Regierungsprogramm modernisiert werden. Welchen Handlungsbedarf siehst du in diesem Bereich?
Wie bereits gesagt, halte ich es für wichtig, die Liste der Berufskrankheiten anzupassen. Wir haben heute Erkenntnisse über Arbeitsstoffe, die uns vor einigen Jahren noch nicht zur Verfügung gestanden sind. Viele Krebserkrankungen sind damit eindeutig auf berufliche Expositionen zurückzuführen. Hier müssen wir handeln. Das zeigt uns auch der Vergleich mit der Berufskrankheitenliste in Deutschland.

Denken wir an Asbest, der aufgrund seiner Eigenschaften nach wie vor ein besonderer Arbeitsstoff ist. Die Risiken im Umgang mit Asbest wurden aber viel zu lange ignoriert. Es geht aber nicht immer nur um Arbeitsstoffe. Die Forschung hat heute die Möglichkeit, Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates genauer zu untersuchen. Dabei können die Zusammenhänge mit der Berufstätigkeit hergestellt werden. Wir wollen damit zielgerichtete Präventionsmaßnahmen erarbeiten, die das Entstehen arbeitsbedingter Erkrankungen verhindern. Denn wie immer gilt: Prävention ist günstiger als die spätere Behandlung.

Von der Regierung fordern wir schon lange die Einrichtung eines ExpertInnenstabes. Dieser soll Belastungen und ihre gesundheitlichen Auswirkungen in der Arbeitswelt laufend beobachten und analysieren. Ziel sind verbindliche Empfehlungen.


Welchen Tipp würdest du BetriebsrätInnen und Sicherheitsvertrauenspersonen mit auf den Weg geben, wenn es um Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz geht?
Macht Sicherheit und Gesundheit zu euren Themen! Wir alle wollen jeden Tag wieder gesund nach Hause kommen. Psychischer und physischer Stress haben einen negativen Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit. Richtige Zeiteinteilung für eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist wichtig und wirkt positiv.

Interview: Ingrid Reifinger, ÖGB

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