Die Welt des Buchhandels in Zeiten von Corona
Beim Betreten strömt einem der Geruch von Wissen in die Nase – Millionen weiser Worte gebündelt an einem Ort. Für BuchliebhaberInnen ein kleines Paradies, das zur Entdeckung unzähliger Welten einlädt. Dennoch darf nicht vergessen werden: Dieser Ort ist auch ein Arbeitsplatz. Und wie an jedem anderen Arbeitsplatz lauern auch hier Gefahren bzw. Belastungen für die ArbeitnehmerInnen – körperlicher und psychischer Natur –, die es im Sinne des ArbeitnehmerInnenschutzes bestmöglich einzudämmen gilt.
Buchhandel und Corona
Wie ist das eigentlich mit Corona im Buchhandel? Noch vor einem Jahr hätte eine solche Pandemie lediglich in dystopischen Romanen ihren Platz gehabt. Doch nun ist sie bereits über ein halbes Jahr gelebte Realität. Wie so vielerorts fragt man sich auch in der Buchhandlung, wie es weitergehen wird.
Wer liest denn eigentlich noch Bücher? „Man lebt, aber Erfolgsstory ist es keine“, so Martin Müllauer, Vorsitzender im Bundesausschuss Handel der GPA-djp, über die allgemeine Lage im Buchhandel der letzten Jahre. Doch dann ist etwas Unerwartetes passiert: Leute sind während des Corona-Lockdowns wieder auf die Idee gekommen, Bücher zu lesen. „Totgesagte leben länger“, merkt Müllauer mit einem Augenzwinkern an. Doch wie sieht der Arbeitsalltag im Buchhandel aus? Was hat sich geändert? Welchen Belastungen sind ArbeitnehmerInnen ausgesetzt und welche sind durch Corona neu hinzugekommen?
Psychische Belastungen
Zunächst nennt Müllauer den Faktor Stress. Corona-bedingt arbeiten weniger Personen auf der Verkaufsfläche und haben dementsprechend auch mehrere Aufgaben, die oft gleichzeitig erledigt werden müssen und rasch zu Überforderung führen können: neu angelieferte Bücher, die aus dem Lager geholt und in die Regale einsortiert werden müssen, Kundenbetreuung vor Ort, manchmal warten bereits weitere KundInnen und bilden eine Schlange, Kassatätigkeiten, Anfragen per Telefon und dazwischen eingeworfene Fragen à la „Haben Sie das?“ oder „Wo finde ich das?“. Im Hinblick auf das bevorstehende Weihnachtsgeschäft wird sich diese Situation noch zuspitzen, denn dann heißt es: noch mehr Ware, noch mehr KundInnen, noch mehr Anfragen. Auch die KundInnen bekommen diese Engpässe zu spüren. So berichtet eine Arbeitnehmerin, dass sie am Stock nur zu zweit arbeiten. Wenn da eine/einer ins Lager geht, um neue Kisten zu holen und ein Kunde/eine Kundin am anderen Ende des Stockwerks steht, sieht er/sie kein Verkaufspersonal. Guter KundInnenservice sieht anders aus. Nicht selten hört sie Sätze wie „Ah, da sind Sie!“ oder „Ich hab schon geglaubt, das ist ein Selbstbedienungsladen“.
Dazu kommen Existenzängste, die in den Köpfen der ArbeitnehmerInnen herumschwirren. Viele von ihnen fürchten um ihren Arbeitsplatz. Denn wenn die letzten Wochen und Monate eines gezeigt haben, dann dass es anscheinend auch mit weniger Personal geht. Die Umsätze sind sogar gestiegen – oft wird nur das gesehen. Doch all die Engpässe, die sich durch Mittagspausen, Urlaube, Krankenstände und vor allem durch den zusätzlichen Stress ergeben, gehen oft unter. Ebenso die Tatsache, dass es immer schwieriger wird, die Pausen überhaupt einzuhalten. Denn dem gegenüber steht der Druck, neue Waren möglichst schnell wegzuräumen und die Regale jederzeit aufzustocken, damit sich der Verkaufsraum den KundInnen gut präsentiert. Man will gute Verkaufszahlen erreichen, um den eigenen Arbeitsplatz behalten zu können. Denn die große Frage, die immer mitschwingt, lautet: Wie viel Personal wird reduziert?
Unverständnis der KundInnen
Besonders betroffen von psychischer Belastung waren jene Beschäftigten, die sich um den Online-Shop kümmerten. Sie waren vor allem in der Lockdown-Phase mit vielen KundInnenbeschwerden über längere Lieferzeiten oder mit Unverständnis dafür, dass Filialen geschlossen haben, konfrontiert. Nicht selten kam es dabei auch zu Beschimpfungen. Und auch wenn 90 Prozent der KundInneninteraktionen normal verlaufen, „es sind die 10 Prozent, die einem im Gedächtnis bleiben“, gibt Müllauer zu bedenken. Das spitzt sich bei der Kommunikation per E-Mail nochmals zu: Da werden die 10 Prozent, die unzufrieden waren, zu 100 Prozent, denn die restlichen 90 Prozent, die eigentlich zufrieden waren, teilen dies meist nicht mit. Ein im Online-Handel beschäftigter Mitarbeiter berichtete von „Beschwerdemails im dreistelligen Bereich“ – und das täglich. „Trotz der nachvollziehbaren Corona-Umstände waren viele Kunden sehr rücksichtslos, wenn es etwas länger dauerte.“
Physische Belastungen
Zu den psychischen Belastungen kommen auch noch die physischen hinzu. So ist es beispielsweise körperlich anstrengend, pro Tag viele Kisten Bücher auszuräumen. Eine Beschäftigte erzählt, dass sie an einem Tag 21 Kisten ausräumen musste – allein, da weniger Personal vor Ort war – und danach „total ausgepowert“ war.
In Zeiten von Corona kommt noch eine weitere physische Belastung hinzu: der Mund-Nasen-Schutz. „Für die betroffenen ArbeitnehmerInnen bedeutet das, dass sie schlechter Luft bekommen und es unter der Maske sehr heiß werden kann – die Arbeit wird dadurch noch anstrengender“, gibt Peter Leinfellner aus dem Team der ÖGB-Kommunikation zu bedenken. Daher wird die Forderung nach bezahlter Maskenpause immer lauter: Alle zwei Stunden soll es für 15 Minuten eine Masken-Auszeit geben, fordern die Gewerkschaften GPA-djp und vida.
Die Zukunft im Buchhandel
Personal zu reduzieren, um Personalkosten zu sparen, ist sehr kurzfristig gedacht. Denn was passiert, wenn jemand krank wird, Urlaub nimmt oder einen freien Tag hat? Oder auch bei täglich auftretenden Unterbrechungen wie Pausen oder Zeiten, in denen sich ArbeitnehmerInnen nicht auf der Verkaufsfläche, sondern beispielsweise im Lager befinden? Dann wird aus der service- und kundenorientierten Buchhandlung ganz schnell wieder der bereits erwähnte „Selbstbedienungsladen“. Und wenn KundInnenbedürfnisse nicht gedeckt sind, hat dies schnell eine Negativwirkung. Ganz zu schweigen von der Überarbeitung der ArbeitnehmerInnen durch die Mehrfachbelastungen, die rasch wieder zu mehr Krankenständen führen können und sich auf Dauer zu einem Teufelskreis entwickeln. Für Martin Müllauer ist daher klar, dass es ein heikler Balanceakt ist: „Gesunde KollegInnen und Wirtschaftlichkeit – es braucht beides.“