Was uns systemrelevante Berufe (nicht) wert sind
Letztes Frühjahr standen plötzlich Beschäftigte im Mittelpunkt, deren Arbeitsleistung davor zumeist nur wenig Ansehen genoss. Waren es 2008 die Banken, die als „systemrelevant“ eingestuft wurden, brachte die Coronapandemie die Unverzichtbarkeit von u. a. PflegerInnen und Beschäftigten im Gesundheitswesen, aber auch Supermarktangestellten, Reinigungskräften, ZustellerInnen oder BerufsfahrerInnen zum Vorschein. Ihnen wurde vor einem Jahr breitenwirksam Lob von jenen entgegengeklatscht, die ihre Arbeit im vergleichsweise sicheren Homeoffice verrichten konnten.
Systemrelevanz geht mit hohen Belastungen einher
61 Prozent aller Pflegebeschäftigten sagen, dass sie es für unwahrscheinlich halten, ihren Beruf bis zur Pension auszuüben. Häufiges Arbeiten im Stehen, schweres Heben und Tragen, Zeitdruck und Arbeitsverdichtung, emotional schwierige Situationen und Übergriffe seitens PatientInnen gehören für viele zum Arbeitsalltag. Aber auch in anderen systemrelevanten Berufen zeigen sich hohe Belastungen: BerufsfahrerInnen klagen noch häufiger über Zeitdruck, Handwerksberufe über schlechte Gesundheitsbedingungen und Unfall- und Verletzungsgefahr, Supermarktbeschäftigte über ständigen Arbeitsdruck ohne Zeit für Pausen. Hinzu kommt, dass es in vielen dieser Berufsgruppen akuten Personalmangel gibt, was die psychosozialen und körperlichen Belastungen weiter steigen lässt.
Angst vor Ansteckung als neue Form der Belastung
Abseits der erwähnten Arbeitsbelastungen waren viele dieser Beschäftigten einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Ein Fünftel musste letztes Jahr trotz Angst vor einer Ansteckung zur Arbeit, ein Viertel fühlte sich von seinen ArbeitgeberInnen nicht ausreichend geschützt und ein Drittel ist der Meinung, dass die getroffenen Maßnahmen zum Schutz der ArbeitnehmerInnen in Österreich zu wenig weitreichend waren.
Bonuszahlungen lösen Klatschen ab?
Die Mehrheit der Beschäftigten in systemrelevanten Berufen sind Frauen, viele davon mit Migrationshintergrund. Zwei Drittel der „SystemerhalterInnen“ arbeiten in der Produktionsarbeit oder in nicht akademischen Dienstleistungsberufen. In beiden Arbeitssegmenten überwiegen hohe Arbeitsbelastungen bei einem gleichzeitig unterdurchschnittlichen Einkommen. Die jetzt beschlossenen einmaligen Bonuszahlungen von 500 Euro nicht nur für ÄrztInnen, sondern auch für Pflegekräfte und Reinigungskräfte in Krankenhäusern sind zwar „teurer“ als die Balkongesänge letztes Jahr, jedoch nicht weniger symbolisch zu bewerten, da sie weder als nachhaltige Aufwertung dieser Berufe noch als dauerhafte Verbesserung der Arbeitsbedingungen gelten können.