Frauenarbeitswelt: Frauen arbeiten anders!
Frauen und Männer arbeiten anders – sie sind oftmals in unterschiedlichen Berufsfeldern beschäftigt und üben unterschiedliche Tätigkeiten aus. Damit sind sie auch mit unterschiedlichen Gefahren und Belastungen konfrontiert, was andere Anforderungen an Präventionsmaßnahmen stellt. Nicht immer erhalten diese jedoch im Zuge des ArbeitnehmerInnenschutzes dieselbe Aufmerksamkeit und werden bei der Ressourcenverteilung nicht gleichermaßen berücksichtigt. Dass die Ressourcen des ArbeitnehmerInnenschutzes nicht geschlechtergerecht verteilt sind, stellt auch Antonia Wenzl in ihrer vom Johann-Böhm-Fonds des ÖGB geförderten Masterarbeit „Genderaspekte in der Gefahrenevaluierung am Arbeitsplatz nach § 4 ASchG“ fest. Aber warum ist das so?
„Frauenberufe“
Zunächst ist es so, dass Frauen häufig in anderen Branchen und Berufen arbeiten als Männer: Zwei Drittel der Frauen arbeiten in sogenannten Frauenberufen, also in Berufen mit über 50 Prozent Frauenanteil. Das gilt beispielsweise für Elementarpädagoginnen, Lehrkräfte in Volks- und Sonderschulen, Gesundheitsfachkräfte wie diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerinnen, Hebammen und Pflegerinnen sowie Tätigkeiten in Dienstleistungsberufen, wozu Verkäuferinnen, Sekretärinnen, Buchhalterinnen, Friseurinnen, Kellnerinnen, Reinigungskräfte und Kassiererinnen zählen.
Weil Frauen und Männer in verschiedenen Berufen arbeiten, sind sie unterschiedlichen Arbeitsumgebungen und Formen von Anforderungen ausgesetzt, was andere Gefahren und Belastungen bedeutet und Auswirkungen auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz hat.
Doch auch wenn Frauen und Männer in derselben Branche arbeiten, können bei ihren Tätigkeiten dennoch geschlechtsspezifische Unterschiede bemerkt werden. Das führt dazu, dass bestimmte Arbeiten als „typisch weiblich“ oder „typisch männlich“ angesehen werden, wie der „Leitfaden für Reinigungskräfte, Objektleiterinnen/Objektleiter und Auftraggeberinnen/Auftraggeber“ der Arbeitsinspektion feststellt. „Das bringt abhängig von den durchzuführenden Arbeiten auch unterschiedliche Sicherheitsrisiken und Gesundheitsgefahren für Frauen und für Männer mit sich und kann daher unterschiedliche Schutzmaßnahmen erfordern“, heißt es darin. Das im Leitfaden angeführte Beispiel der Gebäudereinigung zeigt sehr deutlich auf, dass beispielsweise unter „typisch männliche“ Reinigungstätigkeiten die Fensterreinigung, die Bodenreinigung mit selbstfahrenden Reinigungsmaschinen sowie die Grund-, Fassaden- und Grobreinigung fallen. Die häufigsten Gefährdungen, denen Männer bei diesen Tätigkeiten ausgesetzt sind, betreffen vor allem das Risiko von Sturz und Fall. „Typisch weibliche“ Reinigungstätigkeiten sind hingegen die Unterhaltsreinigung, das Nachfüllen von Handtuch- und Seifenspendern, das Entleeren von Abfallbehältern oder die Sanitärreinigung. Das bringt für Frauen in der Reinigungsbranche komplett andere Gefahren und Belastungen mit sich, die im ArbeitnehmerInnenschutz oft weniger Beachtung finden. Darunter fallen beispielsweise die ständige Feuchtarbeit, Ausrutschen und Stolpern, Schnitt- und Stichverletzungen beim Leeren von Behältern, aber auch psychische Belastungen wie Angst vor Übergriffen, Alleinarbeit, Zeitdruck. Hinzu kommen oftmals unzureichende Schutzausrüstung oder fehlender Hautschutz. Die Arbeitsplatzevaluierungen müssten für einen geschlechtergerechten ArbeitnehmerInnenschutz daher entsprechend angepasst werden.
Historische Entwicklung
Bei der Entwicklung des ArbeitnehmerInnenschutzes in den letzten 150 Jahren lag der Fokus zunächst darauf, Arbeitsunfälle zu vermeiden bzw. Gesundheitsgefahren wie Lärm, Vergiftung, körperliche Schwerarbeit, Hitze- und Kälteeinwirkungen zu verringern, schreibt Wenzl. Doch in der Zwischenzeit haben sich die Arbeitsumgebungen und die Arbeitsbedingungen inklusive der damit verbundenen Belastungen und Gefahren oft verändert. Dazu kommt, dass immer mehr Menschen – zu einem großen Teil Frauen – beispielsweise im Dienstleistungssektor beschäftigt sind. Doch die Arbeitsfelder im Dienstleistungssektor galten und gelten nach wie vor als körperlich wenig anstrengend, sauber und nicht gesundheitsschädigend, weshalb ihnen im ArbeitnehmerInnenschutz nicht dieselben Ressourcen wie anderen Bereichen zukommen.
Technische Hilfsmittel
Wie sieht es nun aber mit technischen Hilfsmitteln aus, wenn es darum geht, Belastungen im Arbeitsalltag zu reduzieren? Diesbezüglich hat Wenzl festgestellt, dass der Einsatz von technischen Hilfsmitteln zur Verringerung von Gefahren und Belastungen in frauendominierten Branchen nicht ausreichend erfolgt. Dieser Umstand wird auch in der Arbeitsplatzevaluierung nicht hinreichend thematisiert.
Korinna Schumann, Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende des ÖGB, betont: „Frauen sind auch von körperlicher Arbeit ganz stark betroffen. Man sieht körperliche Arbeit oft sehr stark auf Männer fokussiert. Das ist aber nicht der Fall, Frauen arbeiten unglaublich viel, auch beim Heben von Lasten. Allein wenn man an Kassiererinnen im Supermarkt denkt, was da gehoben wird, oder wenn man an die Pflegekräfte denkt, die Menschen umbetten müssen.“ Das wiederholte Heben eines kleineren Gewichts an der Supermarktkasse ist zwar von der Belastung her anders als das kurzzeitige Tragen sehr großer Lasten, es kann aber ebenso zu gesundheitlichen Schäden führen wie das Heben einer schwereren Last in der Bauwirtschaft.
In der Industrie werden Hebe- und Tragehilfen wie beispielsweise Scherenhubtische zwar sehr häufig verwendet, im Einzelhandel jedoch für das Einschlichten der Waren in Regale nicht. Auch in den Pflegeberufen werden technische Hilfsmittel wie Hebehilfen nicht ausreichend genützt, vor allem in der mobilen Pflege. Das liegt zu einem großen Teil auch daran, dass es in der Regel mehr Zeit in Anspruch nimmt, technische Hilfsmittel einzusetzen. Oft ist es – vor allem unter Zeitdruck – schneller, die Tätigkeiten händisch auszuüben.
„Versteckte“ Belastungen
Zudem werden viele Belastungen gar nicht als solche gesehen oder gesellschaftlich als solche wahrgenommen bzw. wird ihnen nicht so viel Beachtung geschenkt. In diesem Zusammenhang kann von „versteckten“ Belastungen gesprochen werden. Diese treten beispielsweise im (Lebensmittel-)Einzelhandel auf, in der Gastronomie und Hotellerie, im Tourismus, im Service, bei Arbeiten in der Küche, aber auch in der Pflege – alles Berufe, in denen der Frauenanteil sehr hoch ist. Doch auch wenn sie nicht gesehen werden, stellen sie dennoch körperliche Belastungen dar.
Ein weiteres Beispiel betrifft die Elementarpädagogik, wo ein hoher Lärmpegel sowie das Heben von Kindern Belastungen für ArbeitnehmerInnen – sehr häufig Frauen – darstellen.
„Haushaltsnahe“ Tätigkeiten
Wenzl sieht als weitere Ursache für die nicht geschlechtergerecht verteilten Ressourcen im ArbeitnehmerInnenschutz die Tatsache, dass frauendominierte Berufsfelder oft als „haushaltsnahe“ Tätigkeiten gelten und deshalb als nicht belastend und nicht gefährlich eingestuft werden. Als Beispiele führt sie hier Branchen wie den Handel, aber auch Gesundheits- und Pflegeberufe an. Daraus folgend werden die Gefahren und Belastungen in frauendominierten Branchen tendenziell unterbewertet.
Arbeiten, die Frauen auch zu Hause verrichten, wie beispielsweise reinigen, kochen, Familienangehörige pflegen oder Kinder erziehen, sind oft vergleichbar mit jenen Tätigkeiten, die Frauen im Dienstleistungssektor ausführen. Sie werden daher als nicht so belastend eingestuft, denn sie sind ja Teil des „Alltagsgeschehens“.
Dies hat sich auch in Zeiten der Pandemie gezeigt: Frauen, die im Homeoffice gearbeitet haben oder nach wie vor arbeiten, waren bzw. sind oft mit sehr schwierigen Bedingungen konfrontiert, etwa beim neben der Arbeit zu erledigenden Homeschooling und bei der Kinderbetreuung. Für Schumann ergibt sich hier eine Reihe an gesundheitlichen Fragen, besonders durch die psychische Beanspruchung aufgrund der Doppelbelastung. Homeoffice und Kinderbetreuung? „Das kann nicht die Lösung sein, Homeoffice kann nicht die Kinderbetreuung ersetzen. Es braucht – und zwar ganz dringend – den raschen Ausbau der Kinderbildungseinrichtungen, flächendeckend, leistbar und vor allen Dingen mit Vollzeitarbeit vereinbar“, so Schumann. Nur so kann die Doppelbelastung, der viele Frauen seit Beginn der Coronakrise ausgesetzt sind, in Zukunft verhindert werden.
Geschlechtsneutral ≠ geschlechtergerecht
All die angeführten Beispiele zeigen, dass Frauen anders arbeiten: Oftmals sind es andere Branchen, andere Tätigkeiten und damit verbunden auch andere Gefahren und Belastungen als bei Männern. Viele Belastungen von Frauen werden gar nicht als solche erkannt. Auch wenn der ArbeitnehmerInnenschutz geschlechtsneutral ist, bedeutet dies nicht, dass er deswegen geschlechtergerecht ist. Um die Ressourcen im ArbeitnehmerInnenschutz geschlechtergerecht zu verteilen, muss einerseits anerkannt werden, dass Frauen vielfach anders arbeiten als Männer, und andererseits muss den Belastungen von Frauen und Männern die gleiche Aufmerksamkeit zukommen.