Neue Studie zeigt: Schutz für Arbeitnehmer:innen am Arbeitsplatz ist mangelhaft!
Die Studie „Arbeitnehmer:innenschutz in Österreich: Eine Bestandsaufnahme – mit Zukunft“ ist eine Analyse der Wirkungsgeschichte des ArbeitnehmerInnenschutzgeseztes sowie eine Bestandsaufnahme der Entwicklung des Arbeitnehmer:innenschutzes in Österreich seit den 1990er Jahren. Sie liefert Schlussfolgerungen im Hinblick auf notwendige Weiterentwicklungen zum Schutz der Arbeitnehmer:innen vor psychischen und körperlichen Gefahren am Arbeitsplatz.
Die Studie bestand aus:
- einer extensiven Literaturanalyse,
- Interviews mit Expert:innen aus themenrelevanten Berufsfeldern,
- einer Online-Erhebung unter Betriebsratsvorsitzenden in Österreich und Sicherheitsvertrauenspersonen in Wien und
- branchenspezifischen Schwerpunktanalysen anhand von Betriebsfallstudien.
Die wichtigsten Ergebnisse der Studie zusammengefasst:
Körperliche und psychische Risiken und Gefahren am Arbeitsplatz haben sich verändert
Vor dem Hintergrund der sich in den letzten 30 Jahren veränderten Arbeitswelt verschieben sich Risiken und Gefahren am Arbeitsplatz. Bestimmte Risiken und Gefahren im Bereich der Mensch-Maschine-Beziehung haben an Relevanz verloren, gleichzeitig bestehen ergonomische Risiken weiter (z. B. sich wiederholende Bewegungen, Bewegung schwerer Lasten, langes Verharren in starren Positionen (Sitzen). Die Bedeutung psychischer Risiken und Gefahren nimmt zu. In Österreich sind lt. Statistik Austria rund 3,7 Mio. Erwerbstätige am Arbeitsplatz zumindest einem körperlichen und/oder psychischen Risikofaktor ausgesetzt, das entspricht rund 86,4 % aller Erwerbstätigen – 80 % zumindest einem körperlichen und 60 % zumindest einem psychischen.
Viele Arbeitgeber:innen sind hinsichtlich der Implementierung bzw. Umsetzung von Bestimmungen des ASchG säumig
Die Online-Befragung v. a. unter Betriebsratsvorsitzenden in ganz Österreich, aber auch jene unter den Sicherheitsvertrauenspersonen in Wien, zeigt: Versäumnisse und Unzulänglichkeiten in der gesetzeskonformen Umsetzung der Arbeitnehmer:innenschutzbestimmungen durch viele Arbeitgeber:innen. Die Antworten der Betriebsratsvorsitzenden zeigen, dass
- 30 % der Betriebe die Arbeit (eher) nicht so gestalten, dass sie bis zur Pensionierung der Beschäftigten von diesen sicher und gesund ausgeführt werden kann;
- in fast 30 % der Betriebe keine regelmäßige Ermittlung körperlicher und psychischer Belastungen stattfindet und damit auch keine Schutzmaßnahmen für die Arbeitnehmer:innen gesetzt werden; bei Betrieben mit 21 bis 50 Beschäftigten liegt dieser Anteil bei rd. 40 %;
- in rund 20 % der Betriebe (eher) keine Unterweisung der Beschäftigten im Umgang mit Restgefahren und in Fragen des sicheren und gesunden Arbeitens erfolgt;
- in 79 % der Betriebe, die Homeoffice ermöglichen, keine Evaluierung der Homeoffice-Arbeitsplätze durchgeführt wird.
Mehr präventive Maßnahmen zum Schutz vor arbeitsbedingten Erkrankungen notwendig
Muskel-Skelett-Erkrankungen, arbeitsbedingter Krebs und arbeitsbedingte psychische Erkrankungen verursachen häufig lange Krankenstände. Damit verbunden ist nicht nur viel individuelles Leid, sondern auch höhere Kosten verglichen mit Arbeitsunfällen. Gemäß einer WIFO-Studie verursachten Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen im Jahr 2015 Gesamtkosten von etwa 9,9 Mrd. Euro. 8,1 Mrd. Euro (82 %) davon werden durch arbeitsbedingte Erkrankungen verursacht, 1,8 Mrd. Euro (18 %) fallen auf Arbeitsunfälle. Präventivmaßnahmen wären hier lt. den Studienautor:innen aus ethischer und volkswirtschaftlicher Sicht besonders wichtig und effektiv.
Verstärkter Schutz vor arbeitsbedingtem Krebs erforderlich
Arbeitsbedingter Krebs ist nach wie vor die mit Abstand häufigste Todesursache am Arbeitsplatz. Die hohe Sterblichkeit ist auf die ungenügenden Vorschriften zur höchstzulässigen Dosis krebserzeugender Stoffe in der Luft am Arbeitsplatz zurückzuführen. Bei diesen Grenzwerten hat Österreich, auch im Vergleich mit Deutschland, akuten Nachholbedarf. Darüber hinaus sind nach wie vor viele Formen von arbeitsbedingtem Krebs nicht in die Berufskrankheitenliste aufgenommen. Dies betrifft auch arbeitsbedingte Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparats sowie psychische Erkrankungen. Damit sind viele durch die Arbeit erkrankte Personen unzureichend abgesichert.
Mehr Schutz vor Hitze am Arbeitsplatz für die Arbeitnehmer:innen sicherstellen
Der durchschnittliche Temperaturanstieg über die letzten Jahrzehnte hat die Klimakrise am Arbeitsplatz deutlich verschärft. Bei Anstrengung durch Arbeit kann unter Hitzebedingungen die für den Menschen notwendige ausgeglichene Wärmebilanz des Körpers gefährdet werden. Dies ist gesundheitsbedrohlich durch die Belastung des Herz-Kreislauf-Systems, und durch übermäßiges Schwitzen (Flüssigkeitsverlust) können innere Organe wie das Herz, die Nieren und das Hirn geschädigt werden. Damit steigen auch Fehlerhäufigkeit und Unfallrisiko an. Der:die Arbeitgeber:in sorgt oft nicht für genügend Schutz vor Hitze am Arbeitsplatz. Das unterstreicht auch die im Rahmen der Studie durchgeführte Online-Befragung: Befragte, deren Betriebe im Sommer von zunehmender Hitze betroffen sind (61%), geben zu 40 % an, dass ihr:e Arbeitgeber:in (eher) keine Schutzmaßnahmen für die Beschäftigen vor Hitze setzt. ArbeitgeberInnen sind jedoch verpflichtet, Vorkehrungen zu treffen, um eine Gefährdung der Gesundheit der Arbeitnehmer:innen durch Hitze zu verhindern. Die gesetzlichen Regelungen enthalten allerdings keine konkreten Handlungsanordnungen für den:die Arbeitgeber:in. Diese wären zum Schutz der Beschäftigten vor übermäßiger Hitze und den damit verbundenen Gefahren dringend notwendig.
Verbesserter Schutz vor psychischen Gefahren der Arbeitswelt notwendig
Psychische Risiken/Gefahren am Arbeitsplatz nehmen zu. Laut Statistik Austria fühlen sich 60 % der Erwerbstätigen am Arbeitsplatz mindestens einem psychischem Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Laut ArbeitnehnmerInnenschutzgesetz sind Arbeitgeber:innen auch für die psychische Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer:innen verantwortlich. Sie müssen psychische Arbeitsbelastungen ermitteln, beurteilen und bei psychischen Gefahren wirksame Schutzmaßnahmen setzen (Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen). Die Online-Befragung unter den Betriebsratsvorsitzenden zeigt:
- Die Evaluierung psychischer Belastungen findet, wenn überhaupt, zumeist nur mangelhaft statt. In Kleinbetrieben bis 50 Beschäftigten führt fast die Hälfte und in Betrieben mit 51 bis 250 Beschäftigten fast ein Viertel keine Evaluierung psychischer Belastungen durch.
- Die Einbindung von Arbeits- und Organisationspsycholog:innen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Evaluierung im Gesamten durchgeführt wird.
- In Betrieben, die von Problemen der Digitalisierung der Arbeit (Entgrenzung der Arbeit, Informationsflut, ständige Erreichbarkeit etc.) betroffen sind (68 %), werden lt. den befragten Betriebsratsvorsitzenden zu fast zwei Dritteln (64 %) keine wirksamen Schutzmaßnahmen gesetzt.
- Dasselbe lässt sich für Probleme im Zusammenhang mit körperlicher (z .B. körperliche Übergriffe, sexuelle Belästigung) und psychischer Gewalt (z. B. Beleidigen, Anschreien, Beschimpfen) am Arbeitsplatz feststellen (18 %), wobei hier 54 % der Befragten in betroffenen Betrieben dem:der Arbeitgeber:in Säumigkeit beim Gewaltschutz attestieren.
Den Arbeitgeber:innen fehlt in der Regel eigenes Know-how sowie die Expertise der Expert:innen in diesem Feld. Diesbezüglich sind Arbeits- und Organisationspsycholog:innen wichtige Ressourcen und diese sollten verstärkt in den betrieblichen Sicherheits- und Gesundheitsschutz eingebunden werden. Auch im Hinblick auf Gewalt(androhung) am Arbeitsplatz müssen die Arbeitgeber:innen verstärkt sensibilisiert werden und das Thema Gewalt muss verstärkt in der Arbeitsplatzevaluierung berücksichtigt werden.
Arbeitsinspektion benötigt mehr Ressourcen
Österreich erfüllt die Mindeststandards der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) hinsichtlich der personellen Ausstattung der Arbeitsinspektion nicht. Die ILO empfiehlt für Österreich wie für alle Industrienationen einen Schlüssel von mindestens einem bzw. einer Arbeitsinspektor:in zu je 10.000 Arbeitnehmer:innen. Im Jahr 2022 betrug das Verhältnis in Österreich etwa 1 zu 13.176. Was darüber hinaus über den Zeitraum der letzten drei Jahrzehnte auffällt, ist eine Tendenz in Richtung Beratungstätigkeit der Arbeitsinspektion statt Strafanzeigen bzw. Sanktionierungen im Fall von schwerwiegenden Übertretungen der Arbeitnehmer:innenschutzbestimmungen.