Gesunde Arbeit

„Die Arbeitsinspektion erlebt derzeit einen Generationenwechsel“

Nach 10 Jahren als Leiterin der Sektion Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft wurde Anna Ritzberger-Moser erneut wiederbestellt. Im Gespräch mit Gesunde Arbeit geht sie auf den bevorstehenden Generationenwechsel in der Arbeitsinspektion ein und verrät, was in nächster Zeit mit Blick auf den Arbeitnehmer:innenschutz zu erwarten ist.
Anna Ritzberger-Moser: „Mit der gesetzlichen Verpflichtung zur Evaluierung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Gesundheit am Arbeitsplatz gelungen.“
„In Zeiten des Fachkräftemangels stellen sichere und gesunde Arbeitsbedingungen einen Wettbewerbsvorteil dar.“ Anna Ritzberger-Moser, Leiterin der Sektion Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat im BMAW
Anna Ritzberger-Moser Anna Ritzberger-Moser: „Mit der gesetzlichen Verpflichtung zur Evaluierung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Gesundheit am Arbeitsplatz gelungen.“
Anna Ritzberger-Moser „In Zeiten des Fachkräftemangels stellen sichere und gesunde Arbeitsbedingungen einen Wettbewerbsvorteil dar.“ Anna Ritzberger-Moser, Leiterin der Sektion Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat im BMAW

Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Fortschritte im Arbeitnehmer:innenschutz in den letzten 10 Jahren? Die Arbeitssicherheit ist gestiegen: Die Arbeitsunfallquote hat sich seit dem Jahr 2000 fast halbiert, in den letzten 10 Jahren ist sie um 16 % gesunken – von 325 Arbeitsunfällen pro 100.000 Arbeitnehmer:innen im Jahr 2011 auf 273 im Jahr 2021. Mit der vor 10 Jahren wirksam gewordenen expliziten gesetzlichen Verpflichtung, nicht nur physische, sondern auch psychische Belastungen bei der Arbeitsplatzevaluierung zu berücksichtigen, ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Gesundheit am Arbeitsplatz gelungen.

Was wird konkret getan, um mehr Arbeitsinspektor:innen aufzunehmen und damit mehr Kontrollen in den Betrieben zu ermöglichen? Es gab zwar früher Einsparungsvorgaben für den öffentlichen Dienst. Diese betrafen auch die Arbeitsinspektion insgesamt, sie wurden dort aber nur in der Administration umgesetzt und nicht bei den Arbeitsinspektor:innen. Dies zeigt auch die Entwicklung der Planstellen für Arbeitsinspektor:innen, deren Zahl von 305 im Jahr 2013 auf 310 für 2023 gestiegen ist. Seit drei Jahren können alle frei werdenden Planstellen nachbesetzt werden.
Die Arbeitsinspektion erlebt derzeit einen Generationenwechsel. Es gehen sehr viele erfahrene Kolleg:innen in Pension, und wir müssen uns um qualifizierte neue Mitarbeiter:innen bemühen. Allein in den letzten eineinhalb Jahren wurden rund 50 neue Arbeitsinspektor:innen für diese wichtige Tätigkeit gewonnen, was eine große Herausforderung auch für deren Einschulung mit sich bringt.
Zudem werden die Arbeitsinspektorate dabei unterstützt, die Effizienz ihrer Kontroll- und Beratungstätigkeit zu steigern: Das reicht von Prioritätensetzung über gemeinsame Schwerpunktaktionen, die auf aktuelle Problemstellungen im Arbeitnehmer:innenschutz fokussieren, bis hin zur Erleichterung der Arbeit der Arbeitsinspektor:innen durch digitale Hilfsmittel.

Arbeitsbedingte Muskel- und Skeletterkrankungen zählen zu den häufigsten arbeitsbedingten Erkrankungen. Was macht das Arbeitsministerium in diesem Bereich? Wird es in absehbarer Zeit eine Verordnung für manuelle Lastenhandhabung geben? Muskel- und Skeletterkrankungen (MSE) nehmen trotz verbesserter technischer und ergonomischer Arbeitsbedingungen zu, die Prävention muss daher speziell in diesem Bereich verstärkt werden. Die Ursachen für MSE sind vielfältig, daher ist ein ganzheitlicher Präventionsansatz wesentlich, der physische, organisatorische und psychosoziale Risiken berücksichtigt. Eine Verordnung nur zur manuellen Lastenhandhabung ist aber derzeit nicht geplant.
In den Jahren 2021 und 2022 hat die Arbeitsinspektion einen Kontroll- und Beratungsschwerpunkt zur Prävention von MSE bei Jugendlichen und jungen Arbeitnehmer:innen durchgeführt. Begleitend dazu wurde eine breit angelegte Beratungsoffensive zu MSE allgemein gestartet, die auch 2023 in Form von Fokustagen fortgesetzt werden wird. An diesen vier Fokustagen wird das Thema MSE durch die gesamte Arbeitsinspektion in vier Branchen – Einzelhandel, Bau, Sozialwesen, Logistik – mit jeweils spezifischen Belastungsfaktoren vertieft behandelt.

Österreich hinkt im Vergleich zu Deutschland bei den Grenzwerten für gesundheitsschädigende Arbeitsstoffe den wissenschaftlichen Erkenntnissen nach. Deutschland hat ein System risikobasierter Grenzwerte, welches das Krebsrisiko auf ein gerade noch akzeptables Maß reduzieren soll. Können wir mit der Einführung risikobasierter Grenzwerte auch in Österreich rechnen? Risikobasierte Grenzwerte sind grundsätzlich eine sinnvolle und transparente Methode, um Grenzwerte für jene Arbeitsstoffe festzulegen, für die kein sicherer Schwellenwert definiert werden kann, unterhalb dessen keine Gesundheitsgefahr besteht. Wir haben dazu auf fachlicher Ebene bereits Gespräche mit Stakeholdern geführt und werden dieses Thema auch in Zukunft weiterverfolgen.

Welche Herausforderungen sehen Sie für den Arbeitnehmer:innenschutz in der Klimakrise? Die Arbeitsbelastungen werden sich verändern – wie etwa mehr Hitzetage im Sommer – und die Diskussion über geeignete Schutzmaßnahmen im wahrsten Sinne des Wortes „befeuern“.
Dazu kommt, dass sich Dienstleistungen, Produkte und Berufsbilder verändern. Dadurch ändern sich auch damit einhergehende Risiken. Ein Beispiel ist etwa die Wartung und Reparatur von E-Autos, die in Kfz-Werkstätten neue Gefährdungen durch den Umgang mit Batterien bringen. In der Folge werden Anpassungen in der Arbeitsplatzevaluierung, Unterweisung und so weiter notwendig sein. Sie werden Arbeitgeber:innen, Beschäftigte und auch die Arbeitsinspektion vor neue Aufgaben und Herausforderungen stellen.

Was erwartet uns sonst noch in den nächsten Jahren im Arbeitnehmer:innenschutz? Auf neue Arbeitsformen, bei denen die klassische Rollenverteilung zwischen Arbeitgeber:in und Arbeitnehmer:in verschwimmt, wird das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, das sich ja primär an Arbeitgeber:innen richtet, reagieren müssen. Bei der grenzüberschreitenden Beschäftigung von Arbeitnehmer:innen geht es darum, die Einhaltung von Schutzvorschriften für Arbeitnehmer:innen effektiver durchzusetzen. Auch die Vernetzung zwischen den Stakeholdern – Sozialpartner, Unfallversicherungsträger und Arbeitsinspektion – wird wichtiger werden, um Betriebe und Beschäftigte vom Nutzen des Arbeitnehmer:innenschutzes insgesamt zu überzeugen. Nicht zuletzt stellen gesunde und sichere Arbeitsbedingungen in Zeiten des Fachkräftemangels einen Wettbewerbsvorteil dar.

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