Mehr Respekt für die Handelsbeschäftigten
Die COVID-19-Pandemie hat den Handel 2020 vor enorme Herausforderungen gestellt. Für die rund 560.000 Beschäftigten, davon rund 300.000 im Einzelhandel, bedeutet das hohe Belastungen. Mit der aktuellen Teuerung sind die Handelsbeschäftigten erneut direkt an der Frontlinie einer großen Krise. Dazu AK Präsidentin Renate Anderl: „Rund die Hälfte der Handelsbeschäftigten gelten als systemrelevant. Es reicht nicht aus, für sie zu klatschen. Sie verdienen die dauerhafte Anerkennung, die ihnen wirklich zusteht: faire Arbeitsbedingungen, angemessene Bezahlung und die Einhaltung von geltendem Arbeitsrecht.“
Die Studie von WIFO und IFES im Auftrag der AK Wien zeigt auf: Die Beschäftigten im Handel stehen unter immer stärkerem Druck. Die Vereinbarung von Beruf und Familie hat sich seit Pandemiebeginn verschlechtert: 6 von 10 Handelsbeschäftigten arbeiten bis zu 10 Tage im Quartal länger als 10 Stunden pro Tag. Seit Pandemiebeginn wird immer häufiger trotz Krankheit gearbeitet. Kein Wunder, dass die Arbeitszufriedenheit deutlich zurückgegangen ist. Das spiegelt sich auch in der Arbeitsrechtsberatung der AK Wien wider. Dort ist der Handel auf Platz zwei jener Branchen, aus denen sich die meisten Beschäftigten an die AK wenden.
Für GPA Vorsitzende Barbara Teiber ist klar: „Schon jetzt haben wir 20.000 offene Stellen im Handel. Nur durch bessere Arbeitsbedingungen kann der Personalknappheit entgegengewirkt werden. Die Betriebe müssen ihren Beschäftigten mehr Flexibilität beim Ausmaß und bei der Lage der Arbeitszeit einräumen, etwa mit Öffnungszeiten, die Rücksicht auf die Beschäftigten nehmen. Und indem die Betriebe viel mehr auf die Wunscharbeitszeiten der Arbeitnehmer:innen eingehen.“
Wunscharbeitszeit und tatsächlich geleistete Arbeit klaffen immer weiter auseinander Die Differenz zwischen Wunscharbeitszeit und tatsächlich geleisteter Arbeitszeit wird immer größer. Immer mehr Vollzeitarbeitskräfte wollen weniger arbeiten als noch vor der Pandemie. Selbst die Teuerung hat das wenig geändert. Der Druck in der Arbeit für Vollzeitkräfte ist oft so hoch, dass diese auch Einkommenseinbußen in Kauf nehmen würden. Anders dagegen die Teilzeitarbeitskräfte: Etwa jede und jeder Vierte würde gerne aufstocken. Hier macht sich die Teuerung bemerkbar.
Gesundheitliche Belastungen steigen an Langes Stehen in Zwangshaltung steht mit verschiedenen gravierenden Gesundheitsproblemen wie Schmerzen im unteren Rücken oder in den Beinen, Fuß- und Fersenbeschwerden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Ermüdungserscheinungen in Verbindung. Beschwerden aufgrund von langem Stehen in Zwangshaltung können bereits auftreten, wenn Beschäftigte täglich 15 Minuten oder länger stehen. Kein Wunder, dass Handelsbeschäftigte häufiger als andere Beschäftigungsgruppen an solchen Beschwerden laborieren.
Die Wahrnehmung von (sehr) starken Belastungen hat allgemein zugenommen: Diese Belastungen entstehen im Handel v. a. durch schwere körperliche Anstrengung, stehende Tätigkeit oder ständig künstliches Licht (jeweils ca. 1/5). Hier heben sich v.a. der Einzelhandel und der Bereich KFZ/Reparatur hervor. Im Großhandel hingegen, sind Beschäftigte eher Belastungen durch Bildschirmarbeit ausgesetzt (ca. 1/3).
Subjektives Gesundheitsempfinden hat sich verschlechtert Handelsbeschäftigte klagen weniger häufig über Einschlafstörungen, Erschöpfungszustände und Nervosität. Allerdings ist bei dieser Art von Beschwerden allgemein eine sehr starke Zunahme seit Beginn der Pandemie zu verzeichnen. Teilweise haben sich die Anteile von Personen, die zumindest selten an diesen Beschwerden leiden, verdoppelt. Vor allem Beschwerden wie Kreuzschmerzen, Muskelverspannungen und Erschöpfung werden von betroffenen Handelsbeschäftigten auf ihre Arbeit zurückgeführt.
Nicht-Abschalten-Können, Depressivität, Gereiztheit, Entfremdung, Stressempfinden und Resignation sind in allen Branchen stark gestiegen. Der Handel liegt hier im Trend. Auffällig ist der Großhandel: Die Werte liegen meist deutlich negativer als in den anderen Bereichen.
Psychischer Stress und Präsentismus gestiegen Die Belastung durch Zeitdruck liegt im Handel mittlerweile auf einem ähnlichen Niveau wie in den anderen Branchen, ist im Vergleich zum Vorkrisenniveau aber wesentlich stärker angestiegen. Während vor der Krise 2018/2019 sich 17 Prozent der Handelsbeschäftigten (stark) belastet fühlten, berichten dies seit Pandemiebeginn bereits 27 Prozent.
Die Zahl der Tage, an denen Beschäftigte gearbeitet haben, obwohl sie krank waren (Präsentismus), hat seit der Pandemie erheblich zugenommen. Haben vor der Pandemie Handelsbeschäftigte im Schnitt 2,3 Tage trotz Krankheit gearbeitet, so ist dieser Wert auf 10,7 Tage geradezu explodiert. Das lässt darauf schließen, dass viele Handelsbeschäftigte die hohen Personalausfälle durch Covid-Infektionen dadurch kompensiert haben, dass sie bei anderen Erkrankungen als Covid arbeiten gegangen sind.
IFES-WIFO-Studie Im Auftrag der AK Wien haben das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und das Institut für empirische Sozialforschung (IFES) die Lage der Handelsbranche und die Situation ihrer unselbständig Beschäftigten im Kontext der Pandemie bis zum 1. Halbjahr 2022 untersucht. Die Studie zeigt Entwicklungen bei der Wirtschaftsleistung der Branche sowie die Situation der Beschäftigten, ihren Arbeitszeitlagen, Arbeitszufriedenheit und beruflichen Belastungsfaktoren.