Gesunde Arbeit

Das Arbeit­nehmer­Innen­schutz­gesetz: Eine Erfolgsstory?

Alexander Heider, AK Wien, im Interview mit gesundearbeit.at

Das 1995 EU-konforme in Kraft getretene ArbeitnehmerInnenschutzgesetz brachte eine Reihe von Verbesserungen für den Schutz des Lebens und der Gesundheit der ArbeitnehmerInnen. Im Interview mit gesundearbeit.at erklärt Alexander Heider von der AK Wien, warum das Gesetz seither eine Erfolgsstory ist und was zur gesunden Arbeit noch fehlt.
Alexander Heider, Leiter der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit, AK Wien
"Das ASchG ist ein voller Erfolg bei der Unfall­verhütung."
Alexander Heider, Leiter der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit, AK Wien
Symbolfoto ArbeitnehmerInnenschutz "Das ASchG ist ein voller Erfolg bei der Unfall­verhütung."

Woran kann der Erfolg des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes gemessen werden?

Heider: Seit Inkrafttreten des EU-konformen ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) mit 1. Jänner 1995 sinken die gemeldeten Arbeitsunfälle deutlich. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt verzeichnete im Jahre 1994 noch 164.469 Arbeitsunfälle. Im Jahr 2012 wurde mit 107.710 Arbeitsunfällen ein historischer Tiefststand erreicht. Gemessen an 1994 konnten binnen 18 Jahren insgesamt 686.318 Arbeitsunfälle vermieden werden. Von 1995 bis 2012 ersparten sich die österreichischen Betriebe Kosten für nicht eingetretene Arbeitsunfälle in Höhe von 2,4 Milliarden Euro, was auch ihre Wettbewerbsfähigkeit steigerte. Und der volkswirtschaftliche Schaden wurde in diesem Zeitraum kumuliert um rund 9,3 Milliarden Euro reduziert. Man sieht, die betriebliche Arbeit der Präventivfachkräfte, Sicherheitsvertrauenspersonen und Betriebsräte macht sich bezahlt.

Sind Arbeitsunfälle nicht nur ein kleiner Teil von gesunder Arbeit?

Heider:
Ja, Arbeitsunfälle machen weniger als 10% aller Krankenstandstage aus. Gewerkschaften und Arbeiterkammern zeigen seit längerer Zeit auf, dass mehr zur Bekämpfung arbeitsbedingter Erkrankungen getan werden muss. Arbeitsbelastungen fügen den Arbeitnehmer/innen gesundheitliche Schäden und damit oft großes menschliches Leid zu. Die Krankmacher kosten außerdem enorm viel Geld, ergab eine WIFO-Studie: Alleine sechs zentrale körperliche Belastungsfaktoren – also ohne Berücksichtigung psychischer Krankmacher wie Stress und Arbeiten unter Zeitdruck – verursachen 2,8 Milliarden Euro jährlich an gesamtwirtschaftlichen Kosten.

Warum wird dann die Prävention oft vernachlässigt?


Heider: Wenn Betriebe ihre „Hausaufgaben“ im Arbeitnehmer/innenschutz nicht glaubwürdig machen, hat Prävention einen schweren Stand. Oft wird Prävention einseitig und wenig wirksam auf der Verhaltensebene gemacht. Die viel wirksamere und nachhaltige Verhältnisprävention bleibt da auf der Strecke. Die Betriebe brauchen hier mehr Information und Unterstützung.

Was wäre also für mehr Prävention wichtig?

Heider:
Es braucht eine Präventionsoffensive und die Erarbeitung eines österreichischen Präventionskonzeptes. Vordringlich zu fordern ist die gesetzliche Regelung zur Prävention „arbeitsbezogener Gesundheitsgefahren“ als Pflichtaufgabe der Unfallversicherungsträger. Die Kompetenzerweiterung der AUVA auf die Vermeidung arbeitsbezogener Gesundheitsgefahren wäre ein wichtiger Schritt, statt wie derzeit nur auf Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten eingeschränkt zu sein. Dadurch würde ein umfassendes Schulungs-, Informations- und Betreuungsangebot an Betriebe sowie Forschung und Dokumentation auf hohem Niveau ermöglicht. Übrigens sind die deutschen Berufsgenossenschaften seit langer Zeit mit dieser umfassenden Präventionskompetenz ausgestattet. Ergänzend braucht die betriebliche Gesundheitsförderung mehr Angebote der Krankenversicherungsträger. Schließlich könnte die überbetriebliche Herangehensweise durch im ganzen Bundesgebiet zugängliche Kompetenzzentren für Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung die Qualität der Arbeitsbedingungen massiv verbessern.

Psychische Belastungen breiten sich in der Arbeitswelt aus. Wie kann diese Fehlentwicklung eingedämmt werden?


Heider:
Übermäßige psychische Arbeitsbelastungen machen Arbeitnehmer/innen nachweislich krank. Sie verursachen nicht nur psychische Störungen, sondern verstärken auch andere Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Muskel-Skelett-Erkrankungen, Magenbeschwerden, Schlafstörungen, Diabetes. In den letzten Jahren stiegen psychiatrische Krankheiten drastisch an. Diese liegen bereits an 3. Stelle bei der Anzahl der Krankenstandstage und damit sogar vor den Arbeitsunfällen. Krankenstände aufgrund arbeitsbedingter psychischer Belastungen dauern deutlich länger und die gesamtwirtschaftlichen Kosten belaufen sich auf rund 3,3 Milliarden Euro jährlich. Bekanntlich regelt seit 1. Jänner 2013 das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) klar und verbindlich die Ermittlung und Beurteilung psychischer Belastungen und Gefährdungen am Arbeitsplatz. Das ist zweifelsohne ein bedeutender sozialpolitischer Fortschritt. Trotzdem sind weiterführende Maßnahmen unerlässlich. So sind Arbeits- und Organisationspsycholog/innen im ASchG als gleichberechtigte Präventivfachkräfte zu verankern.

Und sind die Betriebe darauf schon eingestellt?


Heider:
Gewerkschaften und Arbeiterkammern erreichen täglich Anfragen zu diesen Themenkomplex. Viele Betriebe haben die Vorteile bereits für sich erkannt und wollen die Vorgaben erfüllen. Sie sind entweder in der Phase der Vorbereitung und Planung der psychischen Arbeitsplatzevaluierung, holen Angebote von Arbeits- und Organisationspsycholog/innen ein oder sind in der Erhebungsphase. Manche können schon Ergebnisse vorweisen. Die Umsetzungsaktivitäten sind eine erfreuliche Entwicklung. Entscheidend ist, welche geeigneten Maßnahmen getroffen und welche Wirkungen an den Arbeitsplätzen spürbar werden.

Wer evaluiert eigentlich?


Heider:
Wer die Evaluierung psychischer Belastungen durchführt, muss über Fachwissen zu psychischen Belastungen und die Anwendung, Durchführung, Auswertung und Interpretation der gewählten Methode (Verfahren) verfügen. Arbeits- und Organisationspsycholog/innen sind jedenfalls ausgebildete Fachleute. Sie wissen welche Verfahren passen und beraten bei der Verfahrensauswahl und der Maßnahmenplanung. Ohne arbeits- und organisationspsychologische Fachkompetenz können standardisierte Verfahren falsch angewendet werden. So kann es bei der Ergebnisinterpretation zu Vermutungen, Spekulationen und nicht fundierten Rückschlüssen auf Arbeitsbedingungen und Belastungen sowie Maßnahmen kommen. Die Ergebnisse als auch die Maßnahmenplanung wäre dann nicht korrekt oder sie gehen an den wirklichen Problemlagen vorbei. Letztendlich gehört zur wirtschaftlichen Investition in eine gute Arbeitsplatzevaluierung die Beauftragung qualifizierter Expert/innen.

Wie kommt ein Betrieb zu Arbeits- und Organisationspsycholog/innen?

Heider: Zertifizierte Arbeitspsycholog/innen sind im Internet über www.psychnet.at oder www.gkpp.at einfach zu finden. Mehrere AK-Broschüren bieten weiterführende Informationen an. Noch zu wenig bekannt ist, dass das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz die arbeits- und organisationspsychologische Betreuung vorsieht, wenn die Evaluierung ergab, dass psychische Gefährdungen vorliegen. Dann sind Arbeitgeber/innen verpflichtet, geeignete Fachleute insbesondere jedoch Arbeitspsycholog/innen zumindest im Ausmaß von 25vH der jährlichen gesetzlichen Präventionszeit der Präventivfachkräfte zu beschäftigen.

Klar, die Eindämmung psychischer Arbeitsbelastung ist der Schwerpunkt. Welche Themen sind gesundheitspolitisch in der Arbeitswelt noch relevant?

Heider: Drei Themen sind zentral. Erstens muss - wie vorhin besprochen - die Eindämmung psychischer Arbeitsbelastungen systematisch weiter betrieben werden.
Zweitens waren 2011 nach den psychiatrischen Erkrankungen Krankheiten des Skeletts und der Muskeln mit 8.777 Neuzugängen bei den Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit an 2. Stelle. Mit rund 8,6 Millionen Tage Krankenstand stehen Krankheiten des Skeletts und der Muskeln an der Spitze aller Krankenstandstage. Ein Teil davon ist arbeitsbedingt und kann auf das Heben und Tragen von schweren Lasten in der Arbeit zurückgeführt werden. Es besteht Handlungsbedarf die fehlende Durchführungsverordnung zum ArbeitnehmerInnenschutzgesetz zu schaffen, mit der die manuelle Handhabung von Lasten samt einfach nachvollziehbaren Grenzlasten normiert wird. Ein mit den Sozialpartnern weitgehend abgestimmter Ministeriumsentwurf lag bereits im Jahr 2002 vor.
Drittens sind die Grenzwerte in der Grenzwerteverordnung an den toxikologischen und arbeitsmedizinischen Forschungsergebnissen, insbesondere an den wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) entsprechend anzupassen. Seit dem Jahr 2001 wurden auf Basis neuer toxikologischer und arbeitsmedizinischer Forschungsergebnisse für mindestens 500 weitere Arbeitsstoffe gesundheitsschädigende Wirkungen nachgewiesen und in Folge neue oder niedrigere Grenzwerte vorgeschlagen.

Danke für das Gespräch.

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