Gesunde Arbeit

20 Jahre ArbeitnehmerInnen­schutz­gesetz

Ein Weg mit sicherem Ziel: Gesunde Arbeit

Die Anpassung österreichischer Gesetze an Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft brachte entscheidende Verbesserungen für die Beschäftigten mit sich. Was hat sich durch das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz 1995 verändert – und was muss sich noch ändern?
20 Jahre ASchG
Symbolfoto zu 20 Jahre ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ein Grund zum Feiern 20 Jahre ASchG

Eigentlich hätte das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz genauso wie das Arbeitsinspektionsgesetz 1993 komplett geschlechtsneutral formuliert werden sollen. Doch im letzten Moment bemängelte Sozialminister Josef Hesoun die schlechte Lesbarkeit durch Wortkonstruktionen wie Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber/innen. So wurde der gesamte Text kurz vor der Übermittlung an den Ministerrat auf die männliche Form umgestellt. Einziges Zugeständnis war dann das Binnen-I im Kurztitel des im Juni 1994 verabschiedeten Bundesgesetzes über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit.

Die Diskussion über geschlechtsneutrale Formulierungen ist nach wie vor aktuell, das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz ebenso. Es wurde seit 1994 zwar mehrmals novelliert, gilt aber heute noch als Meilenstein: Entsprechend der Europäischen Rahmenrichtlinie sollte das Gesetz in allen privaten und öffentlichen Tätigkeitsbereichen Anwendung finden. Hier gab es in Österreich zwar einige Ausnahmen, aber letztendlich wurde der Geltungsbereich gegenüber dem Arbeitnehmerschutzgesetz (ANSchG) 1972 deutlich erweitert. Außerdem brachte das ASchG entscheidende Verbesserungen für Beschäftigte in Klein- und Mittelbetrieben. Denn davor war erst ab einer Betriebsgröße von über 250 Beschäftigten die arbeitsmedizinische Betreuung vorgeschrieben. Durch das neue Gesetz war die arbeitsmedizinische Betreuung in jedem Betrieb verpflichtend.


Die wichtigsten ASchG-Neuerungen:

  • Jede/r ArbeitnehmerIn hat Anspruch auf sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung.
  • Evaluierung: Verpflichtung der ArbeitgeberInnen, in ihren Betrieben alle bestehenden Gefahren von sich aus zu ermitteln und entsprechende Schutzmaßnahmen festzulegen.
  • Information und Unterweisung der ArbeitnehmerInnen über die im Betrieb bestehenden Gefahren und anzuwendenden Schutzmaßnahmen.
  • Bestellung von Sicherheitsvertrauenspersonen als InteressenvertreterInnen der ArbeitnehmerInnen, wenn regelmäßig mehr als zehn ArbeitnehmerInnen beschäftigt werden.
  • Verpflichtende Aufzeichnung von Arbeitsunfällen.
  • Regelmäßige Messungen beim Einsatz von Arbeitsstoffen, für die Grenzwerte bestehen.
  • Verpflichtung zur ergonomischen Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen.
  • Für Kleinbetriebe wurde die kostenlose sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung durch die AUVA für Arbeitsstätten mit bis zu 50 Beschäftigten eingeführt.

Gleichzeitig mit dem neuen ASchG waren entsprechende Novellierungen mehrerer Gesetze und Verordnungen erforderlich: Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG), Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) etc. Nach langen und zähen Verhandlungen wurde außerdem die Bauarbeiterschutzverordnung fertiggestellt. Sie trat mit 1. Jänner 1995 in Kraft und löste die 40 Jahre alte Vorgängervorschrift ab. In Zusammenhang mit dem ASchG war außerdem eine Fülle von Verordnungen nötig, womit die verschiedenen Teilbereiche genau und praxisgerecht ausgearbeitet wurden.

Prävention zahlt sich aus
Franz Kaida, heute Mitarbeiter der Österreichischen ArbeitnehmerInnenschutzstrategie, war damals als Sicherheitsfachkraft der Wiener Verkehrsbetriebe bei der Entstehung des ASchG dabei: „Viele – und nicht nur Arbeitgeber – haben auf das neue Gesetz zuerst überrascht reagiert, im Sinne von ‚Was kommt da schon wieder Neues auf uns zu?‘ Die Unternehmen waren oft ablehnend, weil sie zusätzliche Kosten auf sich zukommen sahen. Für mich ist das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz bis heute richtungweisend, sehr vorausschauend und im Wesentlichen nach wie vor funktionstüchtig.“
Tatsächlich hat sich die Zahl der Arbeitsunfälle zwischen 1994 und 2013 um mehr als ein Drittel reduziert, trotz gestiegener Erwerbstätigenzahlen. Dass sich Prävention unterm Strich bezahlt macht, wurde schon mehrmals berechnet. Doch laut aktuellen Befragungen ist für 85 Prozent der europäischen Unternehmen die gesetzliche Verpflichtung der Hauptgrund für Maßnahmen zum ArbeitnehmerInnenschutz (ESENER-2/2nd European Survey of Enterprises on New and Emerging Risks).

Im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz 1994 wurden manche bis heute aktuellen Themen wie psychische Belastungen oder alternsgerechtes Arbeiten erstmals aufgegriffen. Die Bekämpfung psychischer Arbeitsbelastungen stand dann auch im Mittelpunkt der Novellen 2001 und 2013. In Letzterer wurde die Verpflichtung zur Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz festgeschrieben.


Kritik und Forderungen
Manche Wirtschaftstreibende, die sich in Österreich über Regulierungswahn und Überbürokratisierung beklagen, meinen damit nicht selten auch ArbeitnehmerInnenschutz-Maßnahmen. In Wahrheit – so die AK-ExpertInnen Harald Bruckner und Hildegard Weinke im Blog von Arbeit&Wirtschaft – liegt es zum Teil am Föderalismus. „Tatsächlich gibt es Regelungen, die von Bundesland zu Bundesland, für die jeweiligen Landesbediensteten oder bei den Gemeindebeschäftigten unterschiedlich sind. So kann es dazu kommen, dass in der gleichen Arbeitsstätte drei verschiedene Gesetze anzuwenden sind. Dieser Umstand ist für viele Unternehmen nicht nachvollziehbar und stellt für diese eine gewisse Herausforderung dar.“

Verbesserungsbedarf sehen AK und Gewerkschaften aber auch direkt beim ASchG. Sie fordern daher:

  • Verbindliche Expositionsgrenzwerte für eine erweiterte Anzahl toxischer Substanzen.
  • Rechtsetzende Maßnahmen gegen arbeitsbedingte psychische Risiken, die in den vergangenen Jahren geradezu epidemische Ausmaße erreicht haben.
  • Arbeits- und OrganisationspsychologInnen sollten neben ArbeitsmedizinerInnen und Sicherheitsfachkräften gleichrangig als Präventivfachkräfte gesetzlich verankert werden.
  • Erweiterung des gesetzlichen Präventionsauftrags der AUVA auf „arbeitsbezogene Gesundheitsgefahren“. Die Kompetenz der AUVA soll auf die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren erweitert werden, statt wie derzeit auf die Themen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten beschränkt zu sein. Dies würde ein umfassendes Schulungs-, Informations- und Betreuungsangebot an Betriebe sowie Forschung und Dokumentation auf hohem Niveau ermöglichen.
  • Die Arbeitsinspektion muss mit mehr Ressourcen ausgestattet werden. In seinem Bericht zur Wirksamkeit und Effizienz des ArbeitnehmerInnenschutzes in Österreich bestätigte der Rechnungshof 2013 diesen Kritikpunkt der Arbeiterkammer: Die Arbeitsinspektorate können ihre Aufgaben nur eingeschränkt erfüllen. Die Kontrollquote der überprüften Arbeitsstätten im Jahr 2009 habe nur rund 14,7 Prozent betragen. 2006 waren es noch 21,6 Prozent. Aufgrund von Pensionierungen, Einsparungen der Bundesregierung und mangelhafter Personalausstattung wird sich laut Rechnungshof der personelle Engpass noch verschärfen. Alexander Heider, Leiter der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit der AK Wien: „Nach den Vorgaben der ILO ist bei uns zumindest ein Kontrollorgan pro 10.000 Beschäftigte erforderlich, um die Einhaltung der ArbeitnehmerInnenschutzvorschriften zu überwachen. Hier befinden wir uns bereits jetzt hart an der unteren Grenze.“

Vom Gewerbeinspector zum ArbeitnehmerInnenschutz
Die ersten (bescheidenen) Schutzmaßnahmen entstanden in Zusammenhang mit Kinderarbeit. Josef II. versuchte, die Lebensbedingungen der Kinder in den Arbeits- und Waisenhäusern zu verbessern und verfügte 1787, dass sie vor Beginn des 9. Lebensjahres nicht ohne Not in Fabriken arbeiten dürfen. In Preußen wurden 1839 unter Friedrich Wilhelm III. mit dem Preußischen Regulativ erstmals Arbeitsschutzmaßnahmen ausgearbeitet, weil sich der körperliche und geistige Zustand der jungen Rekruten aufgrund von Kinderarbeit auffallend verschlechtert hatte.
In Österreich war bereits im Jahr 1768 eine offizielle Aufsicht über die Manufakturen geschaffen worden, diese wurde jedoch um 1825 wieder aufgelöst und geriet in Vergessenheit. 1883 wurden per Gesetz „Gewerbeinspectoren“ für alle der Gewerbeordnung unterliegenden Betriebe eingeführt.


Zeitgemäßer ArbeitnehmerInnenschutz
In den 1960er-Jahren schließlich entstand der erste Entwurf für ein eigenständiges, von der Gewerbeordnung losgelöstes Dienstnehmerschutzgesetz. 1972 wurde das Bundesgesetz über den Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit der Arbeitnehmer (Arbeitnehmerschutzgesetz) vom Nationalrat beschlossen.
Die Annahme des Arbeitsschutzübereinkommens der ILO von 1981, demzufolge die Arbeitsschutznormen für alle Wirtschaftszweige und alle ArbeitnehmerInnen gelten, bedeutete eine wichtige Veränderung gegenüber den Ansätzen der vorhergehenden Jahrzehnte, die auf das Verbot spezifischer Gefahrenquellen in bestimmten Bereichen oder Berufen abstellten und auf bestimmte Probleme fokussierten. Dieses Übereinkommen Nr. 155 bildete den Grundstein für die ab 1989 geltende Europäische Rahmenrichtlinie über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit. Dabei handelte es sich um Mindestvorschriften, die durch nationales Recht verbessert, aber keinesfalls verschlechtert werden dürfen.

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