Gesunde Arbeit

„Arbeitsqualität ist Lebensqualität“

Gesunde Arbeit im Interview mit Sektionschefin i.R. Prof.in Dr.in Eva-Elisabeth Szymanski.
Eva-Elisabeth Szymanski
Eva-Elisabeth Szymanski

20 Jahre ASchG: Was gibtʼs denn da zu feiern?
Szymanski: Die positiven Wirkungen dieses Gesetzes sieht man deutlich. Arbeitsunfälle im engeren Sinn sind seit damals um mehr als 30 Prozent gesunken, ich glaube, dass sich das Arbeitnehmerschutzniveau in den Betrieben deutlich erhöht hat. Der gute Ansatz durch die EU-Richtlinie war meiner Meinung nach der Paradigmenwechsel: Nicht mehr Vorschriften und Bescheid-Auflagen von außen einhalten, sondern sich im Betrieb selber mit bestehenden Gefahren auseinandersetzen, die Festlegung der Schutzziele. Ich glaube, dass der richtige Weg ist, alle einzubinden und gemeinsam etwas zu verbessern.

Brachte die EU mehr Sicherheit und Gesundheit für ArbeitnehmerInnen?
Szymanski: Auf den ersten Blick war erstaunlich, wie viel Arbeitnehmerschutzvorschriften der Acquis Communautaire umfasste. Die EU ist ja auf Handel und Wirtschaftlichkeit ausgerichtet, hat aber erkannt, dass es ein Wettbewerbsproblem wird, wenn nicht alle gleiche Vorschriften haben. Ich habe mir damals gedacht, dass es auf Dauer gesehen eine Wirtschaftssache ist und einmal wahrscheinlich Druck kommen wird, dass das Niveau sinkt. Ich erinnere aktuell an die Überlegungen zur Deregulierung auf EU-Ebene durch die Stoiber-Kommission.

Im Vergleich 1994 mit heute: Was war damals anders, wenn es um neue Schutzgesetze ging?
Szymanski: Damals wurde gemacht, was im Gesetz gestanden ist, Auflagen in den Bescheiden erfüllt. Jetzt kann durch die Analyse der Gefahren ein auf die Gefahren maßgeschneidertes Konzept für den Betrieb entwickelt werden. Das halte ich für einen Vorteil und Fortschritt, weil alle im Betrieb eingebunden werden, nicht nur Sicherheitsvertrauenspersonen, Betriebsrat und Arbeitsmediziner und Sicherheitsfachkraft.
Es gab keinen großen Widerstand von Unternehmensseite. Das neue ASchG war gekoppelt an den EU-Beitritt, wir mussten den Acquis Communautaire erfüllen, bevor wir der EU beigetreten sind. Dadurch war es ein Gesetz, das für uns erstaunlich friktionsfrei durchgebracht wurde, obwohl es doch sehr fortschrittlich war und, was die Evaluierung betrifft, weit über das hinausging, was da war. Die Wirtschaft wollte damals unbedingt in die EU und hat große Vorteile gesehen, die sie auch gebracht hat. Daher war es relativ einfach für uns, das durchzusetzen.
Unser damaliger Sektionschef hat sehr auf Sozialpartnerschaft gesetzt. Persönlich hatte ich den Eindruck, dass beide Sozialpartnerseiten überlegt haben: Was kann ich meiner Klientel noch zumuten – was ist ein Fortschritt für die Klientel. Beide waren getragen von der Idee, dass es ein Fortschritt sein soll. Das habe ich in den letzten Jahren sehr vermisst. So bei der Diskussion über psychosoziale Belastungen. Obwohl es immer mehr oder minder im Gesetz stand, war es irrsinnig schwer, das durchzusetzen.


Im Buch „Innenansichten“ befassen Sie sich mit „Ihren“ elf MinisterInnen. Was war Ihre prägendste Erinnerung?
Szymanski: Für mich sicher Alfred Dallinger. Mit ihm war ich Vorsitzende des Dienststellenausschusses und im Zentralausschuss Zentralbetriebsrat-Stellvertreterin, und er hat sehr viel mit uns zu tun gehabt. Er war für Mitbestimmung und Arbeitnehmerinteressenvertretung sehr aufgeschlossen. Er hat mich sehr geschätzt und gefördert, er wollte unbedingt eine weibliche Sektionsleiterin – da war ich die Richtige am richtigen Platz. Es war sehr tragisch, dass ich mit 1. Jänner 1989 Leiterin des Zentralen Arbeitsinspektorates wurde und er im Februar abgestürzt ist. Ich habe es mir wunderbar vorgestellt, mit ihm zu arbeiten im Interesse der unserem Schutz anvertrauten Arbeitnehmer. Es war ein Riesenschock und auch mit nicht sehr netter Begleitmusik. Ein Kollege aus dem Präsidium, der schon lange in Pension ist, hat zu mir gesagt, es war eine Strafe Gottes, dass er abgestürzt ist, weil er eine Frau zur Sektionschefin gemacht hat. So weit sind wir heute schon, dass man sich das nicht mehr sagen trauen würde.

Die nächste große Herausforderung im ArbeitnehmerInnenschutz ist …?
Szymanski: Das Verschwimmen der Grenze zwischen Arbeitsverhältnis und Freizeit seit einiger Zeit, dass man jederzeit erreichbar ist, man sich wahrscheinlich nicht traut, das Telefon nicht zu beantworten, wenn der Chef anruft. Ich halte es für sehr problematisch, dass sich die Arbeitswelt total verändert hat, es immer weniger Lang- und Vollzeitarbeitsverhältnisse gibt und mehr Ein-Personen-Unternehmen, die man eigentlich auch schützen müsste. Es gibt ja arbeitsrechtlichen Schutz, aber nicht in Bezug auf Arbeitnehmerschutz im eigentlichen Sinn, das halte ich für sehr schwierig. Als ich Leiterin im zentralen Arbeitsinspektorat war, ist mir auch nicht eingefallen, wie man dem wirksam begegnen könnte. Man muss die, die im Arbeitsprozess scheinbar selbstverantwortlich, aber doch in wirtschaftlicher Abhängigkeit sind, jedenfalls einbinden und vor Stress und psychosozialen Belastungen schützen. Das halte ich für sehr wichtig. Die Generation Praktikum, das ist sehr problematisch: Eigentlich ist alles arbeitsrechtlich abgesichert, wenn die Kriterien für ein Arbeitsverhältnis da sind – aber wo kein Kläger, da kein Richter. Wir alle wissen, wie viel Prozent – wie wenige – den Weg zum Arbeitsgericht finden. Wenn da in irgendeiner Form eine Chance auf Weiterbeschäftigung bestünde – das wäre wichtig.

Ihr Rat für die Zukunft?
Szymanski: Einen Rat würde ich nicht geben, ich will nicht von außen irgendwelche Ratschläge geben, aber ich glaube, das Wichtigste ist, dass man das Motto beherzigt: „Arbeitsqualität ist Lebensqualität.“ Und: Dass einfach der Mensch zuerst kommen soll. Das halte ich für das Wichtigste.

Ich danke für das Gespräch!
Interview: Julia Nedjelik-Lischka, AK Wien

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