Gesunde Arbeit

Moderne Managementtechniken und ihre Nebenwirkungen

Moderne Managementkonzepte zielen auf motivations- und produktivitätssteigernde Effekte ab. Indem betriebliche AkteurInnen wie ArbeitsmedizinerInnen Nebenwirkungen erkennen, können sie dies in Angeboten zur Verhaltens- und Verhältnisprävention sowie Gesundheitsförderung berücksichtigen und im Fall zunehmender psychischer Fehlbelastungen gegensteuern.
Prof. Dr. Andreas Krause
Prof. Dr. Andreas Krause
Prof. Dr. Andreas Krause Prof. Dr. Andreas Krause

Man kennt es von Selbstständigen, besonders von ExistenzgründerInnen: Wenn KundInnen abspringen und der Umsatz einbricht, dann wird ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit gearbeitet. Dasselbe geschieht, wenn sich einmalige Erfolgschancen oder neue Perspektiven für die eigene berufliche Zukunft bieten. Immer öfter kommt diese Rücksichtslosigkeit gegenüber der Gesundheit auch bei Mitarbeitenden vor.

Mit interessierter Selbstgefährdung meinen wir ein Verhalten, bei dem man sich selbst zusieht, wie das Arbeitshandeln die Gesundheit gefährdet, etwa Arbeiten im Urlaub oder trotz Krankheit. Ursachen liegen in der Dynamik, die durch moderne Managementkonzepte ausgelöst wird.


Hinweise auf indirekte Steuerung
Zentrales Kennzeichen ist die Führung durch Ziele (Management by Objectives) bei Konfrontation aller Mitarbeitenden mit unternehmerischen Herausforderungen und Rahmenbedingungen des Marktes. Eine in unseren Untersuchungen typische Konstellation der indirekten Steuerung sah folgendermaßen aus:

  1. Ergebnis- und Erfolgsorientierung: Hohe Bedeutung von Kennzahlen, Key Performance Indicators etc. auf allen Hierarchieebenen.
  2. Dynamische Ziele: Ziele erhöhen sich automatisch z. B. von Jahr zu Jahr.
  3. Leistungsdynamik über unternehmensinterne Konkurrenz, etwa für alle einsehbaren Benchmark-Vergleiche von Standorten und Teams.
  4. Rahmenbedingungen top-down festlegen: Einführen von zahlreichen Berichtspflichten und Prozessvorgaben.
  5. Verantwortung für Zielerreichung konsequent top-down delegieren: Nicht das fachlich korrekte Arbeiten, sondern die Zielerreichung ist bei der Bewertung der Leistung entscheidend.
  6. Beteiligung der Mitarbeitenden, etwa um Verbesserungsvorschläge zur Produktivitätserhöhung einzuholen.

Die neue Doppelrolle der Mitarbeitenden
In der früheren Arbeitswelt (Command and Control) sollten die Anweisungen befolgt und fachlich einwandfreie Arbeit geleistet werden, wobei das individuelle Arbeitsverhalten kontrolliert wurde. Bei der indirekten Steuerung achtet der Mitarbeitende zusätzlich darauf, dass sich die eigene Arbeit für das Unternehmen rentiert oder er im Wettbewerb besser dasteht.

Ambivalente Auswirkungen der indirekten Steuerung
Diese Veränderung kann Spielräume erhöhen und ist unter arbeitspsychologischen Gesichtspunkten zunächst positiv zu bewerten. Gesundheitsrelevante Chancen sind:

  1. Übernahme von mehr Verantwortung, individuelles Potenzial wird entwickelt.
  2. Stolz auf den selbst erreichten Erfolg.
  3. MitarbeiterInnen handeln ihre Arbeitssituation selbstbewusster aus.
  4. Teamziele fördern hohes Gemeinschaftsgefühl.

Leider bestehen gleichzeitig gesundheitsrelevante Risiken, z. B. nehmen Konflikte zwischen dem fachlichen Gewissen („Das ist gute Arbeit“) und dem unternehmerischen Gewissen („Das rechnet sich“) zu und Mitarbeitende fühlen sich alleingelassen beim Umgang mit solchen Widersprüchen.

Facetten der interessierten Selbstgefährdung
Eine weitere Nebenwirkung wurde als Rücksichtslosigkeit sich selbst gegenüber eingangs angesprochen. In Fallstudien haben wir acht Facetten der interessierten Selbstgefährdung ermittelt:

  1. Ausdehnen der eigenen Arbeitszeit, z. B. ohne Anweisung länger als elf Stunden am Tag arbeiten.
  2. Intensivieren der Arbeitszeit, z. B. Verzicht auf Pausen.
  3. Einnahme von Substanzen zum Erholen.
  4. Einnahme stimulierender Substanzen.
  5. Präsentismus, d. h. Arbeiten trotz Erkrankung.
  6. Vortäuschen von Leistungsfähigkeit, einem guten Stand im eigenen Projekt usw., da negative Sanktionen befürchtet werden und das Sprechen über die tatsächliche Situation unerwünscht ist.
  7. Senken der Qualität.
  8. Umgehen von Sicherheits- und Schutzstandards.

Betriebliche Handlungsmöglichkeiten
Die neuen Managementkonzepte haben ein gesundheitsförderliches Potenzial. Nebenwirkungen können sich in psychischen Fehlbelastungen äußern. Wer aus Angst vor Misserfolg oder in der Hoffnung auf Erfolg Risiken für die Gesundheit ignoriert, will sich nicht stören lassen. Das Problem wird offenkundig, wenn es zu spät ist. Für erfolgreiche Prävention und Gesundheitsförderung müssen Beschäftigte die Wirkung neuer Steuerungsformen verstehen. Maßnahmenpakete sollten eine Optimierung der praktizierten indirekten Steuerung ermöglichen.

Was können betriebliche AkteurInnen aus Arbeitsmedizin und -schutz tun?

  1. Prüfen, ob indirekte Steuerung und interessierte Selbstgefährdung relevant und welche Hierarchieebenen betroffen sind.
  2. Das obere Management setzt sich mit Nebenwirkungen auseinander und gibt Rückendeckung für Maßnahmen.
  3. Qualifizierungsmaßnahmen für Mitarbeitende, um Veränderungen zu verstehen und sich offen auszutauschen.
  4. Stolpersteine wie hinderliche Prozessvorgaben unter Beteiligung der Mitarbeitenden beseitigen und Spielräume erhöhen.
  5. Frühwarnsystem, beispielsweise ein hierarchieübergreifender, sanktionsfreier Mitarbeitendenbeirat.
  6. Gesundheit im Kennzahlensystem berücksichtigen, etwa „Realitätscheck“ der Zielsetzungen.

So wird mehr Sensibilität für neuartige Risiken erreicht und ein Beitrag zur Reduzierung psychischer Fehlbelastungen und -beanspruchungen geleistet.

Prof. Dr. Andreas Krause, Fachhochschule Nordwestschweiz, mit Dr. Martial Berset und Dr. Klaus Peter
andreas.krause@fhnw.ch

Newsletterauswahl

Newsletter

Geschlecht
Geschlecht:
Name

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzerklärung zu.

Eine Initiative von ÖGB und ÖGB © Gesunde Arbeit 2022