Gesunde Arbeit

Stempeln bei Flaute kommt viele teuer zu stehen

Von null auf hundert und umgekehrt – so lautet die Devise, wenn es in Sachen Flexibilität nach Vertretern der Wirtschaft geht. Einerseits wird die Arbeitszeitausdehnung gefordert mit dem Hintergedanken, Überstundenzuschläge einzusparen. Andererseits wurde zuletzt jeder 20. in der Zwischensaison beim AMS „zwischengeparkt“. In Tirol sind vor allem Beschäftigte in Tourismus und Baubranche betroffen. Damit wird unternehmerisches Risiko abgewälzt, die Rechnung zahlen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Unternehmen, die ihre Mitarbeiter ganzjährig beschäftigen.
Gerade in Saisonbranchen wie Bauwirtschaft und Tourismus nutzen viele Betriebe die Möglichkeit einer Kurzzeitkündigung.
2016 wurde fast jeder zwanzigste Beschäftigte in Österreich zumindest einmal zwischenzeitlich gekündigt und dann beim selben Arbeitgeber wieder eingestellt.
Koch Gerade in Saisonbranchen wie Bauwirtschaft und Tourismus nutzen viele Betriebe die Möglichkeit einer Kurzzeitkündigung.
Beschäftigte in der Bauwirtschaft 2016 wurde fast jeder zwanzigste Beschäftigte in Österreich zumindest einmal zwischenzeitlich gekündigt und dann beim selben Arbeitgeber wieder eingestellt.

Beim Thema Arbeit wird vonseiten der Wirtschaft immer öfter der Ruf nach mehr Flexibilität laut. Doch die Beschäftigten müss(t)en dabei viele Nachteile hinnehmen, die sich nicht zuletzt auch auf die Gesundheit auswirken können.

Arbeitszeitausdehnung
Ein Beispiel sind die derzeit diskutierten flexiblen Arbeitszeitmodelle. „Sie zielen einzig auf eine Arbeitszeitausdehnung ab. Das heißt, die arbeitsfreie Zeit wird kaum noch planbar, und das würde sich unmittelbar auf Familien und Vereinsleben auswirken“, betont AK Präsident Erwin Zangerl.

„Das bedeutet auch finanzielle Einbußen. Der Wirtschaft geht es ja nur darum, Überstunden in normale Arbeitszeit umzuwandeln, um diese 1:1 abgelten zu können und sich Überstundenzuschläge zu sparen. Deshalb wird verschwiegen, dass schon mit Betriebsvereinbarungen, Kollektivverträgen und im Gesetz jetzt schon zig Möglichkeiten für flexible Arbeitszeit gibt, wie z. B. Gleitzeitregelungen, Durchrechnungs- und Bandbreitenmodelle“, so Zangerl.

Immer zur Stelle
An mehr Flexibilität durch ständige Erreichbarkeit haben sich hingegen viele längst gewöhnt. Denn Diensthandys und mobiles Internet erleichtern nicht nur den Arbeitsalltag, sie sind auch Mittel zum Zweck – wenn berufliche Anrufe und E-Mails in der Freizeit und im Urlaub bearbeitet werden. Und das sorgt für Stress.

Saisonbedingte Kündigung
Flexibel sein bedeutet für viele aber auch, zwischenzeitlich sogar Arbeitslosigkeit hinzunehmen. Von null auf hundert sozusagen und umgekehrt. Und das hat Auswirkungen auch auf ganze Belegschaften und verursacht erhebliche volkswirtschaftliche Kosten.

So zeigt eine aktuelle Untersuchung des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO, dass sich Unternehmen bei schlechter Auftragslage oder in der Zwischensaison oft mit sogenannten „temporären Layoffs“ behelfen: Wenn Personal vorübergehend beim AMS arbeitslos gemeldet wird, sparen sie Fixkosten und wälzen unternehmerisches Risiko ab.

Das Kalkül der Betriebe ist klar: Der Personalstand kann so bei Unterauslastung verringert werden, und es entstehen nicht einmal Kosten durch neue Personalauswahlprozesse oder Einschulung, weil dieselben Personen gekündigt und wieder eingestellt werden.

Tirol
Aufgrund der gewichtigen Rolle des Tourismus in Tirol hat diese Praxis hierzulande besonders große Bedeutung. Laut WIFO waren in Tirol 2008 rund 10 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse von temporären Layoffs betroffen (das WIFO folgt bei der bundesländerspezifischen Betrachtung einer etwas anderen Definition). 16,5 Prozent aller neu begonnenen Beschäftigungsverhältnisse waren „Recalls“, d. h. erneute Einstellungen beim selben Arbeitgeber. In Kärnten und in Tirol war deren Anteil besonders hoch.

Folgen
Für die Betroffenen sind die Konsequenzen erheblich: Im Schnitt verbringen sie durch vorübergehende Kündigungen rund 60 Tage pro Jahr in der Arbeitslosigkeit. Diese Phasen bringen Verluste beim Einkommen, längerfristig gesehen auch bei den Pensionsansprüchen. Darüber hinaus ergibt sich aus den instabilen Erwerbskarrieren, dass Gehaltsvorrückungen und -sprünge in einem geringeren Maße realisiert werden können als bei stabil Beschäftigten.

Kosten für Allgemeinheit
Zahlen zum Arbeitsmarkt machen deutlich, wie verbreitet diese Praxis ist: So lag die Arbeitslosenquote in Österreich 2016 bei 9,1 Prozent. Wären alle beim AMS „Zwischengeparkten“ stattdessen beschäftigt geblieben, hätte die Arbeitslosenrate nur 8,0 Prozent betragen.

Die Zeche zahlen also die Mitarbeiter und alle Betriebe, die stabile Dienstverhältnisse bieten. Laut WIFO-Berechnungen entstehen der Allgemeinheit pro Jahr Kosten in Höhe von etwa 450 Millionen Euro, hauptsächlich durch die Auszahlung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Hinzu kommen indirekte volkswirtschaftliche Kosten, denn durch niedrigere Einkommen und Pensionen sinkt auch der Konsum, und dem Staat entgehen Steuerleistungen.

Die AK Tirol fordert Konsequenzen: Die Wirtschaftsförderung des Landes Tirol soll in erster Linie Betriebe unterstützen, die ganzjährig tätig sind bzw. Ganzjahresarbeitsplätze anbieten. Jene, die das „Zwischenparken“ beim AMS in überdurchschnittlichem Ausmaß betreiben und damit überdurchschnittlich viel Arbeitslosigkeit verursachen, sollen bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung stärker in die Pflicht genommen werden. Das wäre nicht nur ein Anreiz für die Unternehmen, stabile Beschäftigungsverhältnisse zu bieten, vor allem bliebe auch das Verursacherprinzip gewahrt: Derjenige, der die Kosten verursacht, muss sie auch zahlen.

Fakten
2016 wurde fast jeder zwanzigste Beschäftigte in Österreich zumindest einmal zwischenzeitlich gekündigt und dann beim selben Arbeitgeber wieder eingestellt. Anders gesehen: Etwa 15 Prozent der Betriebe machten davon Gebrauch. Knapp die Hälfte der Kurzzeitkündigungen findet in Bauwirtschaft und Tourismus statt.

In der Regel sind eher männliche Beschäftigte von Kurzzeitkündigungen betroffen. Überdurchschnittlich oft sind es Personen mit Pflichtschul- oder Lehrabschluss. Öfter betroffen sind auch Personen mit türkischer Staatsbürgerschaft oder aus dem ehemaligen Jugoslawien, weil viele von ihnen in der Baubranche arbeiten, in der diese Praxis häufig angewendet wird.

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