Gesunde Arbeit

Dienstleistungsfreiheit: Nein zu Lohnsklaverei und Sozialdumping in der EU

Die Entsenderichtlinie ermöglicht die Absiedelung von Betrieben ins Ausland bei gleichzeitigem Import von billigen Arbeitskräften. Leidtragende sind die entsandten Beschäftigten, aber auch jene in den Hochlohnländern, die deshalb um ihren Arbeitsplatz bangen müssen.
Die Dienstleistungsfreiheit hat auch ihre Schattenseiten. So sorgten u. a. die oft miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen der Erntehelfer in Tirol immer wieder für Schlagzeilen.
Auch auf Baustellen werden Beschäftigte entsandt. Die geltenden Regelungen gegen Lohn- und Sozialdumping können aber nur Erfolge zeigen, wenn es ausreichend Kontrollen bzw. Sanktionen gibt.
Erntehelfer arbeiten auf einem Feld Die Dienstleistungsfreiheit hat auch ihre Schattenseiten. So sorgten u. a. die oft miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen der Erntehelfer in Tirol immer wieder für Schlagzeilen.
Baustelle Auch auf Baustellen werden Beschäftigte entsandt. Die geltenden Regelungen gegen Lohn- und Sozialdumping können aber nur Erfolge zeigen, wenn es ausreichend Kontrollen bzw. Sanktionen gibt.

Eine der vier Grundfreiheiten der EU ist die Dienstleistungsfreiheit. Sie ermöglicht Unternehmen, Leistungen auch in einem anderen EU-Mitgliedstaat anzubieten, ohne sich dort niederlassen zu müssen. Bei Ein-Personen-Unternehmen kommt der Unternehmer dazu selbst über die Grenze, in der Regel werden jedoch Mitarbeiter in den anderen Staat entsandt, um dort zu arbeiten.

Lukratives Geschäftsmodell
Solange Löhne und Sozialschutzniveaus zwischen den EU-Staaten nicht allzu weit auseinander liegen, ist dagegen nichts einzuwenden. In einer EU mit 28 Mitgliedstaaten sind jedoch die Unterschiede im Arbeits- und Sozialrecht so groß, dass die Entsendung aufgrund dieser Differenzen zum lukrativen Geschäftsmodell geworden ist.
Und so birgt diese Grundfreiheit fatale Schattenseiten: Es klingt nach modernem Sklaventum, was sich in einigen Branchen abspielt. Nicht nur die Arbeits- und Lebensbedingungen der Erntehelfer sorgen für Schlagzeilen. Europaweit sind rund elf Millionen Beschäftigte beinhartem Wettbewerb durch Dumpingpreise, extremem Lohndruck und menschenunwürdigen sowie gesundheitsschädigenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt, vor allem auch im Personen- und Güterverkehr.
„Die Beschäftigten sind die Leidtragenden einer grenzenlosen Liberalisierung, bei der man auf die Harmonisierung der Sozialsysteme vergessen hat“, kritisiert AK Präsident Erwin Zangerl. Deshalb fordert die AK mit Gewerkschaftern aus Österreich und Europa endlich Gegenstrategien.

Entsenderichtlinie
Ursache sind die Lücken im EU-Recht. Denn in der Entsenderichtlinie wird etwa die hohe Mobilität der Beschäftigten im Verkehrsbereich zu wenig berücksichtigt. Hinzu kommen rechtliche Schlupflöcher, das hohe Lohngefälle zwischen den EU-Ländern und fehlende Kontrollen.
Mit der Entsenderichtlinie versuchte die EU 1996, aufkommendem Lohn- und Sozialdumping einen Riegel vorzuschieben. Unter „Sozialdumping“ versteht die EU das Unterbieten von Preisen auf lokalen Märkten durch ausländische Dienstleister, deren Arbeitsstandards niedriger sind. Damals wollte man insbesondere die Bauwirtschaft in Hochlohnländern wie Deutschland vor billiger Konkurrenz aus Südeuropa schützen.

Mindeststandards
Aufgrund der Entsenderichtlinie gelten für entsandte Arbeitnehmer gewisse Kernarbeitsnormen, wie Mindestlohn und Arbeitnehmerschutzstandards – und zwar jenes Staates, in den sie entsandt werden. Dies gilt natürlich nur dann, wenn das Niveau dort höher ist als im Heimatstaat.
Mit dem Beitritt der Staaten Mittel- und Osteuropas zur EU und einem Lohngefälle, das in Österreich bis zu fünfmal so hohe Mindestlöhne vorsah wie in manchen dieser Länder, verschärfte sich die Situation. Weil entsandte Arbeitnehmer ihre Ansprüche selbst durchsetzen mussten, wurden die Vorgaben der Entsenderichtlinie oft nicht eingehalten.

Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping
Um die Situation in Österreich zu verbessern, wurde mit dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) erstmals die kollektivvertragliche Unterentlohnung mit Verwaltungsstrafen belegt und Finanzpolizei sowie Krankenkassen wurden zur Lohnkontrolle ermächtigt. Auf europäischer Ebene versuchte man mit der Durchsetzungsrichtlinie, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Behörden zu erleichtern.
Weil dies nur geringe Fortschritte brachte, wurde im Juni 2018 die Entsenderichtlinie novelliert und ein Verordnungsentwurf zur Gründung einer europäischen Arbeitsbehörde auf den Weg gebracht. Zu den Arbeitsbedingungen, die vom Arbeitgeber nach dem Recht des Einsatzlandes zu gewährleisten sind, wurden nun die Bedingungen für die Wohnverhältnisse in Unterkünften hinzugefügt. Damit sollten Situationen vermieden werden, wie jene der rumänischen Forstarbeiter Anfang November 2016, die in den Wäldern der Österreichischen Bundesforste beschäftigt wurden – über eine rumänische Tochterfirma eines Vorarlberger Unternehmens: Mit einem Pferd durchforsteten sie die Wälder und mussten in einem alten Wohnwagen ohne sanitäre Einrichtungen hausen.

Bitte warten
Keine Absicherung durch die neue Entsenderichtlinie fanden Transportarbeiter im internationalen Güter- und Busverkehr, weil für sie im Rahmen des ersten Mobilitätspaketes der EU eine eigene Regelung geplant ist. Nach ersten Abstimmungen im Europäischen Parlament ist noch nicht absehbar, ob es zu Verbesserungen kommen wird. Vielmehr ist zu befürchten, dass Fahrer im Transitverkehr weiter nach den Lohnbestimmungen des Sitzstaates ihres Unternehmens bezahlt werden dürfen, unabhängig davon, durch welche Staaten Westeuropas sie fahren. Das bedeutet, dass Fahrer aus Niedriglohnländern auch Wochen und Monate in Hochlohnländern unterwegs sein können, ohne das Mindestgehalt dieser Länder beanspruchen zu können. Einzig für Kabotagefahrten, also das Auf- und Abladen von Gütern in ein und demselben Mitgliedstaat, sollen die Kernarbeitsnormen und Mindestlöhne dieses Staates gelten. Beim Busverkehr wäre das nicht der Fall: Ein bulgarisches Unternehmen könnte also durchgehend Personen von Wien nach Bregenz transportieren und dem Fahrer den bulgarischen Mindestlohn bezahlen.
Alle rechtlichen Absicherungen sind freilich nur dann wirksam, wenn es ausreichende Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten gibt. Allein 2016 wurden mehr als 195.000 Personen vom EU-Ausland nach Österreich entsandt bzw. überlassen. Um die Einhaltung der Rahmenbedingungen effektiv kontrollieren und Lohn- und Sozialdumping verhindern zu können, führt kein Weg an mehr Personal für die involvierten Behörden vorbei – von den Gebietskrankenkassen über die Finanzpolizei bis hin zu den Bezirkshauptmannschaften.

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