Gesunde Arbeit

Abschied von der Vision der Leistungsverbesserung?

„Gesunde Arbeit“ im Gespräch mit Dr. Josef Probst, Generaldirektor des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, über die Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen und die Auswirkungen der Kassenreform auf die ArbeitnehmerInnen. Für Gesundheitsförderung und Prävention sieht Probst schwierige Zeiten anbrechen.
Dr. Josef Probst
"Durch die Senkung des Beitragssatzes in der Unfallversicherung werden dort vor allem Mittel im Bereich der Prävention fehlen."
Bild von Dr. Josef Probst, Generaldirektor des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger Dr. Josef Probst
Bild von Dr. Josef Probst, Generaldirektor des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger "Durch die Senkung des Beitragssatzes in der Unfallversicherung werden dort vor allem Mittel im Bereich der Prävention fehlen."

Was sind arbeitsbedingte Erkrankungen?
Probst: Eine maßgebliche Errungenschaft der sozialstaatlichen Entwicklung war die organisierte Absicherung der ArbeitnehmerInnen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Ziel war es, das existenzielle Risiko für die ArbeitnehmerInnen und deren Familienangehörige zu reduzieren.
Arbeitsbedingte Erkrankungen sind Gesundheitsstörungen, die ganz oder teilweise durch arbeitsbedingte Belastungen verursacht sind. Das können zum Beispiel fortgesetztes Heben und Tragen schwerer und unhandlicher Lasten oder Zwangshaltungen sein. Maßgebliche Ursachen sind auch psychische Belastungen, wie geringer Handlungsspielraum, Zeitdruck, Arbeitsverdichtung und Überforderung, aber auch zu geringe psychische Anforderungen.
Ein Teil dieser arbeitsbedingten Erkrankungen sind „Arbeitsunfälle“ und „Berufskrankheiten“. Dies ist allerdings eine einengende versicherungsrechtliche Festlegung.


Was kosten arbeitsbedingte Erkrankungen in Österreich?
Probst: Statistische Aussagen liegen nur zu sozialversicherungsrechtlichen Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten vor. Der Dimension der darüber hinausgehenden arbeitsbedingten Erkrankungen kann man sich nur auf Umwegen nähern.
International geht man davon aus, dass der Anteil arbeitsbedingter Erkrankungen am Gesamtvolumen der Arbeitsunfähigkeit bei 20 bis 30 Prozent liegt.
Das WIFO bringt rund 2,8 Mrd. Euro an gesamtwirtschaftlichen Kosten mit den physischen Arbeitsplatzbelastungen in Verbindung, eine andere Berechnungsmethode ergibt bei den körperlichen Belastungen 3,1 Mrd. Euro an Kosten.
Berechnungen der Donau Uni Krems wiederum zeigen, dass auch psychische Belastungen am Arbeitsplatz mit ähnlich hohen gesamtwirtschaftlichen Kosten verbunden sind wie bei physischen Arbeitsbelastungen. Diese dauern viel länger als jene mit körperlichen Diagnosen. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten belaufen sich auf rund 3,3 Mrd. Euro jährlich.


Welche arbeitsbedingten Erkrankungen verursachen die größten Ausgaben für die Krankenkassen?
Probst: Die Statistik Austria hat sich die arbeitsbedingten Erkrankungen in der Arbeitskräfteerhebung 2013 angeschaut und festgestellt, dass rund 16 Prozent der Erwerbstätigen mindestens ein arbeitsbedingtes Gesundheitsproblem haben. Es dominieren weiterhin die physischen Gesundheitsprobleme wie Knochen-, Gelenks- oder Muskelbeschwerden, also Probleme mit Nacken, Schultern, Hüften und Beinen. Danach folgen psychische Gesundheitsprobleme wie Stress, Depression und Angstzustände. Im Vergleich zur Erhebung im Jahr 2007 hat man festgestellt, dass die klassischen Bürokrankheiten, wie zum Beispiel Stress, Kopfschmerzen und Übermüdung der Augen, deutlich zugenommen haben.
Wie kommt es dazu? Wichtige körperliche Risikofaktoren sind schwierige Arbeitshaltungen und Bewegungsabläufe, Hantieren mit schweren Lasten sowie Arbeiten, bei denen eine starke Anstrengung der Augen notwendig ist.
Starker Zeitdruck, Arbeitsüberlastung, Belästigung oder Mobbing sind die bedeutendsten psychischen Risikofaktoren. In der Erhebung wurde aufgezeigt, dass rund 40 Prozent der ÖsterreicherInnen an ihrem Arbeitsplatz zumindest einem psychischen Problem ausgesetzt sind. Je mehr Überstunden geleistet wurden, desto höher ist der Anteil der Personen mit mindestens einem psychischen Risikofaktor. Zu erwarten ist daher, dass sich die Ausweitung des Arbeitszeitrahmens (12-Stunden-Tag, 60-Stunden-Woche) negativ auswirken wird.


Wer bezahlt jetzt dafür?
Probst: Für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten – also nur für einen eher geringen Teil der arbeitsbedingten Erkrankungen – wendet die Unfallversicherung rund 1,5 Mrd. Euro auf. Darüber hinaus entstehen aber auch der Krankenversicherung stetig steigende Kosten für Erkrankungen, die durch die Arbeit hervorgerufen oder verschlimmert werden, wie beispielsweise Burn-out oder Depressionen. Die dafür aufgewendeten Mittel sind aber mangels standardisierter Diagnosecodierung im niedergelassenen Bereich schwer zu beziffern.

Wie wird das in Zukunft sein – Stichwort „Kassenreform“?
Probst: Das Sozialversicherungs-Organisationsgesetz sieht einige Maßnahmen vor, durch welche dem öffentlichen Gesundheitssystem bis 2023 mehr als eine Mrd. Euro entzogen werden. Diese Mittel werden fehlen.
Beispielhaft sei die Erhöhung der Geldmittel für die privaten Krankenanstalten zulasten der Krankenkassen oder die Reduzierung von Zahlungen des Finanzministeriums erwähnt. Zugleich werden auch finanzielle Lasten von der Unfallversicherung auf die Krankenversicherung übertragen.
Durch die Senkung des Beitragssatzes in der Unfallversicherung werden dort vor allem Mittel im Bereich der Prävention fehlen.
In der Krankenversicherung werden die finanziellen Belastungen die Versicherten unterschiedlich treffen, je nachdem, bei welchem Träger sie versichert sind. Die Krankenversicherungsträger haben eine sehr unterschiedliche Versichertenstruktur und eine unterschiedliche finanzielle Leistungsfähigkeit. Die österreichische Gesundheitskasse ist der Versicherungsträger mit den geringsten Rücklagen und der schwierigsten Versichertenstruktur, dies ohne Risikoausgleich.


Welche Auswirkungen wird die Kassenreform auf die Prävention und auf die Gesundheit von ArbeitnehmerInnen haben?
Probst: Die österreichweit koordinierende Funktion des Hauptverbands im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention hat sich bewährt. Die notwendigen Ressourcen wird es zukünftig beim Dachverband nicht mehr geben. Dies wird zu einem Auseinanderdriften im Bereich der Gesundheitsförderung führen. Die Regierung hat auch öffentlich erklärt, dass in den nächsten Jahren 30 Prozent des Verwaltungspersonals in der Sozialversicherung eingespart werden muss. Zeitgleich sind Mega-Fusionen umzusetzen, die um Managementaufmerksamkeit und Ressourcen konkurrieren. Es ist daher abzusehen, dass die Gesundheitsreform und die erfolgreiche Umsetzung der Gesundheitsziele darunter leiden werden. Für Gesundheitsförderung und Prävention sehe ich erneut schwierige Zeiten anbrechen.

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