„Gemeinsam nachhaltig gesunde Arbeit schaffen“
Die gebürtige Niederländerin Esther Domburg berät als zertifizierte Ergonomin und Unternehmensberaterin Betriebe zu alternsgerechter und gesunder Arbeit. „Es geht darum, herauszufinden, wie man die Arbeit so gestalten kann, dass die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten möglichst lang erhalten bleibt und gefördert wird. Eine verbesserte Arbeitsfähigkeit vergrößert das gesamte Arbeitsvermögen der Betriebe“, so Domburg und betont: „Ganz wichtig ist es dabei, den Arbeitnehmer:innen richtig zuzuhören. Sie sind die Expert:innen ihrer Arbeitsplätze. Nur zusammen kann man die passenden Maßnahmen entwickeln und implementieren.“
Welchen Ansatz verfolgen Sie bei Ihrer Tätigkeit?
Mein Ziel ist, dass alle Beschäftigten sicher und gesund arbeiten können – und das nachhaltig. Abhängig vom Beratungsauftrag versuche ich in aller Regel, zuerst die Belastung bzw. Beanspruchung der Beschäftigten sichtbar zu machen und zu analysieren. Ganz wichtig ist es, den Beschäftigten zuzuhören und sich anzuschauen, wie sie arbeiten. Ich wechsle dabei immer wieder zwischen Adler- und Froschperspektive, denn manchmal kann etwas scheinbar Kleines etwas ganz Großes bedeuten. Und manchmal liegt die Ursache des Problems nicht dort, wo die Symptome auftreten. Warum arbeiten die Beschäftigten so, wie sie arbeiten? Was verursacht den Stress? Was hindert sie daran, sicher und gesund zu arbeiten? Erst wenn die Stolpersteine sichtbar sind, kann man sie aus dem Weg räumen: Wie kann man die körperlichen und/oder psychischen Belastungen reduzieren? Was muss dafür verändert werden? Ich bin ein Fan davon, dass die Beschäftigten die Lösungen für die Probleme selbst erarbeiten. Sie kennen ihren Arbeitsplatz schließlich am besten. Meine Rolle ist es, sie dabei zu unterstützen und zu beraten: Was wäre aus ergonomischer Sicht gut? Welche Möglichkeiten gibt es, die Belastungen auf Basis des STOP-Prinzips zu vermeiden oder zu reduzieren? Am Ende stehen dann gemeinsam erarbeitete Lösungen und praktisch umzusetzende Maßnahmen.
Könnten Sie das anhand von ein paar Beispielen erläutern?
Ein Beispiel aus dem Pflegebereich: Die Dokumentation der Pflege erfolgt inzwischen großteils via Laptop oder Tablet, was aber schwierig ist, wenn das WLAN nicht funktioniert oder der Computer nicht schnell genug ist, um zwischen unterschiedlichen Programmen hin- und herzuwechseln. Das führte in einem Fall dazu, dass die Pfleger:innen rund die Hälfte ihrer Arbeitszeit am Stützpunkt für die Pflegedokumentation aufwendeten. In so einem Fall hilft dann auch ein Pflegeroboter nichts. Einerseits braucht es hier funktionierende Arbeitsmittel, also z. B. schnelle Rechner, funktionierende Programme und gutes WLAN oder alternative Dokumentationsmöglichkeiten – auch mit Blick darauf, dass bei kürzeren Dokumentationszeiten deutlich mehr Zeit für die direkte Pflege bleibt. Andererseits sollten wir nicht vergessen, dass die Pfleger:innen ihren Beruf deshalb gewählt haben, um mit Menschen zu arbeiten, und nicht, weil sie am Computer arbeiten wollen. Die Menschen möchten einen Sinn in ihrer Arbeit sehen.
Oder im Büro: In vielen Büros gibt es inzwischen ergonomische Bürotische und -sessel. Das ist natürlich eine gute Sache, aber Beschäftigten fehlt oft die Information bzw. das Wissen, diese richtig einzustellen – so wie dies z. B. beim Autositz selbstverständlich ist. Mein Tipp: Beobachten Sie sich einmal selbst am Arbeitsplatz, achten Sie darauf, wie Ihr Arbeitsplatz Ihre Körperhaltung beeinflusst, und nehmen Sie sich Zeit für die richtigen Einstellungen.
Scheitert es manchmal an Kleinigkeiten?
Ja, total. Etliche dieser Belastungen können durch einfache Maßnahmen schnell beseitigt werden. Es gibt aber auch komplexere Fälle, wie z. B. den eines Heizhelfers in einer Papierfabrik, wo schnell klar wurde, dass dieser an seinem Arbeitsplatz aufgrund der hohen körperlichen Belastung nicht gesund bis zur Pension arbeiten können würde. Gemeinsam mit Betriebsrat und Führungskräften gelang es, die Arbeit innerhalb des Betriebs anders zu verteilen, wodurch sich Phasen schwerer körperlicher Arbeit und Belastung mit Phasen leichterer Arbeit abwechselten. Es geht darum, ein Optimum zwischen Unterforderung und Überforderung zu finden.
Sind alle Belastungen immer sofort für alle Beteiligten sichtbar?
Nicht immer. In einem Fall ging es um eine Baufirma, die zwei- oder dreimal im Jahr einen schweren Ofen verkaufte und diesen dann zum Kunden transportieren musste. Das Heben auf den und vom Anhänger war für die rund acht beteiligten Personen zweifellos eine hohe körperliche Belastung. Vor Ort fiel mir dann aber eine Mitarbeiterin auf, die die ganze Zeit Dispersionsfarbe in 20- oder 30-Liter-Kübeln in die Regale einschlichtete. Bei 50 oder mehr Kübeln am Tag kommen da schnell viele Kilos zusammen, die gehoben und getragen werden müssen. Im Gegensatz zu der hohen, aber relativ kurzen Kraftanstrengung der Kolleg:innen fiel diese zwar nicht so extreme, aber dafür lang anhaltende Belastung bis dahin niemandem auf. Es lohnt sich also, die Arbeit immer genau und zur Gänze anzuschauen – von den Tätigkeiten, den Prozessen, über die Arbeitsorganisation und die Arbeitszeiten bis hin zu den Schnittstellen mit anderen Abteilungen.
Wie wichtig ist das Commitment der Führungskräfte und die Einbindung der Beschäftigten?
Sehr wichtig! Es wird für Firmen immer wichtiger, dass ihre Beschäftigten eine gute Arbeitsfähigkeit haben, da es immer schwieriger wird, gute Arbeitnehmer:innen zu bekommen und zu halten. Es braucht daher das Commitment der Führungskräfte, um die Arbeit im Betrieb sicher und gesund zu gestalten. Gleichzeitig braucht es die Einbindung der Beschäftigten, sie kennen ihren Arbeitsplatz und die vorhandenen Belastungen ganz genau. Die besten Lösungen werden immer dann erzielt, wenn alle an einem Strang ziehen – das inkludiert natürlich Arbeitsmediziner:innen, Arbeits- und Organisationspsycholog:innen sowie Sicherheitsfachkräfte und Betriebsrät:innen. Ein Betrieb ist wie ein Orchester, nur wenn alle aufeinander hören und gut zusammenspielen, kommt ein gutes Konzert heraus.
Was ist das Schöne an Ihrem Beruf?
Dass ich bei jedem Arbeitsplatz ganz viel dazulerne und ich das Wissen, das ich mir in über 30 Berufsjahren angeeignet habe, an die Betriebe weitergeben kann. Am meisten freut es mich, wenn ich sehe, wie die Beschäftigten gestärkt und zu Multiplikator:innen dieser wichtigen Thematik werden, wenn die Ziele von allen getragen und so dadurch kreative Lösungen erarbeitet werden sowie Führungskräfte ihren Mitarbeiter:innen richtig zuhören. Denn Zuhören schafft Zugehörigkeit!
Magazin Gesunde Arbeit 1/2025, Stamm-Ausgabe