Gesunde Arbeit

Das Phänomen Präsentismus

Das Phänomen des Präsentismus, also trotz Krankheit zu arbeiten, ist ein nicht erwünschtes „Produkt“ der schönen neuen Arbeitswelt von heute. Wer trotz Krankheit arbeitet, gefährdet die eigene Gesundheit, ist bei seinen Tätigkeiten nicht so leistungsfähig wie sonst, die Fehlerhäufigkeit kann ansteigen und insgesamt sinkt die Produktivität, mitunter deutlich.

Der Österreichische Arbeitsgesundheitsmonitor wurde auf der Grundlage von ausgedehnten Feldstudien in den Jahren 2006 und 2007 entwickelt. Er ist repräsentativ für alle unselbständig Beschäftigten in Österreich. Der Österreichische Arbeitsgesundheitsmonitor wurde erstmals 2009 vorgestellt und wird einmal jährlich veröffentlicht (Quelle: Arbeiterkammer Oberösterreich: „Österreichischer Arbeitsgesundheitsmonitor“; Pressekonferenz vom 30.11.2009)

Im Rahmen des Österreichischen Arbeitsgesundheitsmonitors werden neben klassischen Beeinträchtigungen und psychosomatischen Beschwerdebildern (Herz-Kreislauf-Probleme, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Verdauungsbeschwerden, Kopfschmerzen, Beschwerden im Bewegungs- und Stützapparat etc.), psychische Beeinträchtigungen (Gereiztheit, Depressivität, Nicht-Abschalten-Können, Motivationsverlust, Resignation etc.) sowie positive Indikatoren der Gesundheit (Persönlichkeitsentwicklung, Selbstwirksamkeit, Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit, Sinnwahrnehmung im Leben etc.) erhoben.

Damit wird auf Basis der WHO-Definition ein breiter Gesundheitsbegriff konsequent angewendet und in Beziehung zu den Arbeitsbedingungen gesetzt: Es zeigt sich, dass den Betroffenen vielfach die Abhängigkeit ihrer Beschwerden von den Arbeitsbelastungen nicht bewusst ist. Ein Beispiel: 36 Prozent jener Beschäftigten, die mit ihren Vorgesetzten Probleme haben, leiden unter hohem Blutdruck. Bei jenen Arbeitnehmern/innen, die mit ihren Chefinnen/Chefs gut zu Recht kommen, sind es nur 16 Prozent. Ein weiteres Beispiel: Gibt es Streit mit den Arbeitskollegen/innen haben 43 Prozent Verdauungsbeschwerden, kommt man mit den Kollegen/innen gut zurecht, sinkt diese Zahl auf 24 Prozent.

Insgesamt 42 Prozent der unselbständig Beschäftigten geben an, im vergangenen Halbjahr zumindest einmal zur Arbeit gegangen zu sein, obwohl sie krank waren und es besser für die Gesundheit gewesen wäre, zu Hause zu bleiben. Frauen (43 Prozent) tun dies etwas häufiger als Männer (40 Prozent). Branchen, in denen die Arbeitnehmer/innen sehr häufig trotz Krankheit arbeiten gehen, sind: Gesundheitswesen (59 Prozent), Verkehr/Transportwesen (51 Prozent), Handel (50 Prozent), Industrie/Gewerbe (48 Prozent) sowie das Bauwesen (43 Prozent). Es handelt sich dabei nicht um einzelne Tage: So sind es auf ein halbes Jahr gerechnet im Schnitt neun Tage, also knapp zwei Arbeitswochen, die die Betroffenen trotz gesundheitlicher Beschwerden zur Arbeit gehen.

Besonders häufig gehen die Befragten trotz Krankheit zur Arbeit, wenn sie kein gutes Verhältnis zu den Vorgesetzten haben (58 Prozent), allgemein eine niedrig qualifizierte, einseitige Tätigkeit ausüben (57 Prozent) oder unter Zeitdruck stehen (52 Prozent).

58 Prozent begründen ihre Entscheidung mit dem Pflichtgefühl gegenüber ihren Kollegen/innen: 37 Prozent meinen, es wäre dann Arbeit liegen geblieben, und 31 Prozent haben schlichtweg keine Vertretung, die die Arbeit übernehmen könnte. Immerhin 14 Prozent sind aus Angst vor Konsequenzen trotz Krankheit zur Arbeit gegangen.


Trotz Krankheit arbeiten zu gehen hängt entscheidend mit der Arbeitstätigkeit zusammen: So gehen vor allem Arbeitnehmer/innen mit einer Bürotätigkeit oder in qualifizierten Angestelltenberufen (45 Prozent) häufiger krank zur Arbeit als Personen mit manueller Tätigkeit in Arbeiterberufen (31 Prozent). Die Motive hierfür sind jedoch gänzlich andere: Während nur sieben Prozent der qualifizierten und leitenden Angestellten Angst vor Konsequenzen eines Krankenstandes haben, sind es bei den Arbeitern/innen 33 Prozent. Der Druck, krank arbeiten zu gehen, resultiert daher bei den Arbeitern/innen stärker aus der Angst vor existenziellen Bedrohungen und Arbeitsplatzverlust.

Die gesundheitlichen Konsequenzen dieses Verhaltens sind längere Dauer der Krankheit (45 Prozent), stärkere Rückfälle (35 Prozent) sowie spätere gesundheitliche Probleme (25 Prozent). Darüber hinaus gaben 37 Prozent an, bei der Arbeit unkonzentriert und ineffizient gewesen zu sein.

Das
Phänomen des Präsentismus, also trotz Krankheit zu arbeiten, ist ein nicht erwünschtes „Produkt“ der schönen neuen Arbeitswelt von heute. Wer trotz Krankheit arbeitet, gefährdet die eigene Gesundheit, ist bei seinen Tätigkeiten nicht so leistungsfähig wie sonst, die Fehlerhäufigkeit kann ansteigen und insgesamt sinkt die Produktivität, mitunter deutlich.

Krank zur Arbeit gehen auch deutsche Arbeitnehmer/innen, stelle die jüngste Befragung zum „DGB-Index Gute Arbeit, der Report 2009“ fest. Fast 80 Prozent sind in den letzten zwölf Monaten mindestens einmal krank zur Arbeit gegangen. Insgesamt gingen mehr als 50 Prozent der Arbeitnehmer/innen sogar mehrmals krank zur Arbeit, obwohl sie sich “richtig krank“ fühlten (Quelle: DGB-Index Gute Arbeit GmbH (Hrsg.): „DGB-Index Gute Arbeit – Der Report 2009“; unter dgb-index-gute-arbeit.de). Gleichzeitig liegt die durchschnittliche Zahl der Krankenstandstage pro Beschäftigtem auf einem historischen Tiefstand. Der DGB-Index ging der Frage genauer nach, woran es liegt, dass Arbeitnehmer/innen krank zur Arbeit gehen. An der Arbeitsqualität, an den Umfeldbedingungen oder am Gesundheitsverhalten der Beschäftigten?


Generell gilt: Je besser die Arbeitsqualität ist, desto seltener gehen die Beschäftigten krank zur Arbeit. Umgekehrt gilt: Je problematischer die Arbeitsbedingungen sind, desto mehr scheuen Arbeitnehmer/innen davor zurück, sich krank zu melden. Der Anteil „krank zur Arbeit“ bei „schlechter Arbeit“ betrug 69 Prozent, bei „mittelmäßiger Arbeit“ 44 Prozent und bei „guter Arbeit“ nur mehr 30 Prozent.

Besonders signifikant ist der Zusammenhang „krank zur Arbeit“ und „Angst vor Arbeitsplatzverlust“ mit 71 Prozent. Mehrmals krank zur Arbeit gingen Arbeitnehmer/innen, die sich in sehr hohem Maß unwürdiger Behandlung am Arbeitsplatz ausgesetzt fühlten.

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