Strukturelle Gewalt gegen Menschen mit Behinderung
Menschen mit Behinderung sind im Job häufig benachteiligt – durch fehlende Strukturen, Ausgrenzung oder Übergriffe. Besonders betroffen: Frauen.
Eine Mitarbeiterin mit chronischer Darmerkrankung erhält keinen Arbeitsplatz in Toilettennähe. Ein Kollege mit Behinderung wird von Teambesprechungen ausgeschlossen oder darf keine Homeoffice-Tage nutzen, obwohl das für andere selbstverständlich ist. Für Patrick Berger, Leiter des Chancen Nutzen Büros des ÖGB, sind das keine Einzelfälle, sondern Beispiele für strukturelle Gewalt am Arbeitsplatz. Sie äußert sich nicht nur in offener Diskriminierung, sondern auch in psychischer Ausgrenzung, Mobbing oder sexueller Belästigung.
Frauen mit Behinderung: Mehrfach benachteiligt
Besonders hoch ist das Risiko für Frauen mit Behinderung. Sie sind gleich mehrfach benachteiligt: durch ihre Behinderung und durch Sexismus. „Die Hemmschwelle für Übergriffe ist bei Frauen mit Behinderung deutlich niedriger“, sagt Berger. Schuld daran sind tief verwurzelte gesellschaftliche Vorurteile, Machtungleichgewichte und die Angst der Betroffenen vor negativen Konsequenzen, wenn sie Übergriffe melden oder sich wehren.
Neid, Unwissen und Abhängigkeit
Warum Gewalt gegen Menschen mit Behinderung im Arbeitsumfeld so häufig ist, erklärt Berger mit einem Zusammenspiel aus Unwissen, Unsicherheit und fehlenden Strukturen, die Schutz bieten: „Viele Führungskräfte und Kolleg:innen sind nicht ausreichend mit den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung vertraut. Therapien, flexible Arbeitszeiten oder notwendige Anpassungen werden häufig als Sonderbehandlung wahrgenommen. Das erzeugt Neid und Ablehnung.“ Erschwerend hinzu kommt, dass Menschen mit Behinderung oft stärker auf ihren Arbeitsplatz angewiesen sind. Sie haben schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und sind in Bewerbungsverfahren systematisch benachteiligt. Diese Abhängigkeit verstärkt die Angst, einen Arbeitsplatz zu verlieren. Fehlende oder schwer zugängliche Beschwerdestrukturen führen dazu, dass Betroffene Vorfälle selten melden.
Viele Kolleg:innen und Führungskräfte sind nicht ausreichend mit den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung vertraut.
Was Betriebe tun müssen
In Österreich gilt: Arbeitgeber sind gesetzlich zur Fürsorge verpflichtet. Sie müssen alle Beschäftigten vor körperlichen und psychischen Übergriffen, vor Diskriminierung und sexueller Belästigung schützen. Doch um diese Pflicht inklusiv umzusetzen, müssen die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung erkannt und Schutzmechanismen entwickelt werden. Eine zentrale Rolle spielen dabei Betriebsrät:innen und Behindertenvertrauenspersonen. Sie setzen sich für geschützte Strukturen ein und unterstützen die Einrichtung unabhängiger Vertrauenspersonen. Das Chancen Nutzen Büro ergänzt diese Arbeit mit Workshops, Coachings und Aufklärung zu Diskriminierung und Gewalt am Arbeitsplatz.
Vorfälle klar dokumentieren!
Wichtig ist, dass Betroffene Vorfälle sachlich und nachvollziehbar dokumentieren. Denn: Nur belegbare Fälle lassen sich gezielt bearbeiten. Wenn innerbetriebliche Lösungen nicht greifen, vermittelt das Chancen Nutzen Büro an externe Stellen wie die Behinderten- oder Gleichbehandlungsanwaltschaft sowie spezialisierte Beratungsstellen. Doch ohne ein breites, inklusives Engagement in den Betrieben bleiben diese Maßnahmen wirkungslos.
Magazin Gesunde Arbeit 3/2025, Stamm-Ausgabe