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„Gute Prävention und ein starkes Bewusstsein sind entscheidend!“

Claudia Neumayer-Stickler ist Juristin und leitet das Referat für Gesundheitspolitik im ÖGB. In dieser Funktion führt sie im Interview mit „Gesunde Arbeit“ aus, warum Prävention der Schlüssel für gesunde Arbeitnehmer:innen ist, inwiefern sich Österreich bei der Anerkennung von Berufskrankheiten mehr an Deutschland orientieren sollte und warum die Belastungen von Frauen in der Arbeitswelt noch immer zu wenig Beachtung finden.

Claudia Neumayer-Stickler: „Die Berufskrankheitenliste ist nach wie vor eher an , männerdominierten Berufen‘ ausgerichtet, was Frauen stark benachteiligt.“ Markus Zahradnik

Sie sind seit Jänner 2025 auch die stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrates der AUVA. Was ist Ihnen hier besonders wichtig?

Zunächst bin ich stolz, dass ich als Arbeitnehmer:innen-Vertreterin in den Verwaltungsrat entsendet wurde. Die enorme Bedeutung der AUVA ergibt sich schon daraus, dass sie für den umfassenden Unfallversicherungsschutz von 4,7 Millionen Versicherten zuständig ist. Das umfasst nicht nur die ausgezeichnete medizinische Versorgung und Rehabilitation in den eigenen Einrichtungen der AUVA, sondern beginnt bei der Beratung von Betrieben oder der Prävention für Schüler:innen und Student:innen und reicht über die medizinische Rehabilitation hinaus bis zur beruflichen und sozialen Rehabilitation. Nicht zu vergessen die vierte wichtige Säule: die Geldleistungen für Betroffene. Diesen umfassenden Versicherungsschutz gilt es nicht nur beizubehalten, sondern ihn vielmehr an die moderne Arbeitswelt anzupassen und zu erweitern.

 

Was wären die Konsequenzen weiterer Beitragsabsenkungen?

Das hätte gravierende Folgen für alle Versicherten, in deren Interesse das umfassende Leistungsangebot ja besteht. Im letzten Jahrzehnt wurde der Unfallversicherungsbeitrag insgesamt dreimal abgesenkt und liegt nur noch bei 1,1 Prozentpunkten. Im Sinne einer stabilen Finanzierungsgrundlage ist eine Anhebung des Beitrags daher nach wie vor eine ÖGB-Forderung.

 

Sie betonen die enorme Bedeutung von Prävention. Wie viel Aufholbedarf hat Österreich in diesem Bereich?

Prävention ist über alle Lebensbereiche hinweg einer der maßgeblichsten Bausteine für gesunde Arbeitnehmer:innen. Ich möchte das nicht nur am Geld festmachen, aber es ist Fakt, dass Österreich im OECD-Schnitt dafür weniger ausgibt als andere Länder. Im letzten Finanzausgleich Gesundheit wurden finanzielle Mittel für Prävention und Gesundheitsförderung reserviert, und jetzt wird es wesentlich sein, gute Initiativen zu setzen – von den Jüngsten über die Arbeitnehmer:innen bis ins Alter. Prävention ist ein gesamtgesellschaftliches Thema und muss daher unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Kompetenzen gesamtheitlich gedacht werden. Ein klares, transparentes Bild über die Versorgungslandschaft im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung mit einem verstärkten Augenmerk auf Kinder und Jugendliche zu schaffen, wäre sehr wichtig für die nächsten Jahre.

„Prävention ist über alle Lebensbereiche hinweg einer der maßgeblichsten Bausteine für gesunde Arbeitnehmer:innen.“ Markus Zahradnik

 

2024 wurde unter anderem weißer Hautkrebs endlich als Berufskrankheit anerkannt, eine langjährige ÖGB-Forderung.

Genau, am 1. März 2024 wurden mit der Verabschiedung des Berufskrankheiten-Modernisierungs-Gesetzes vier weitere Erkrankungen in die Berufskrankheitenliste aufgenommen. Das war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, da dadurch auch gute Prävention und ein starkes Bewusstsein für das Bestehen gesundheitlicher Gefährdungen und Belastungsfaktoren erweitert wurden. Oberstes Ziel muss es immer sein, dass es erst gar nicht zu einer Erkrankung oder gesundheitlichen Schädigung kommt.

 

In Deutschland wurde der weiße Hautkrebs schon viele Jahre früher anerkannt. Warum hat das hierzulande so lange gedauert?

Einer der Gründe ist aus meiner Sicht, dass es in Österreich kein einheitliches Prozedere zur Überarbeitung der Berufskrankheitenliste gibt. In Deutschland ist dafür ein mit Expert:innen besetztes Gremium zuständig, das berufliche und arbeitsbedingte Belastungen regelmäßig evaluiert sowie Erkrankungen und Gesundheitsschädigungen auf arbeits- oder berufsbedingte Ursachen überprüft. In Österreich liegt das allein am Gesetzgeber. Ein vorgelagertes Verfahren durch einen solchen Sachverständigenbeirat – ebenfalls eine ÖGB-Forderung – wäre eine sehr gute Maßnahme. Es fehlt weiterhin eine große Anzahl an Erkrankungen.

 

Welche sind das?

Zum Beispiel bandscheibenbedingte Erkrankungen durch schweres Heben und Tragen. Dabei betrifft das eine große Anzahl an Beschäftigten in vielen Branchen, gerade auch in Gesundheits- und Pflegeberufen, die sehr häufig von Frauen ausgeübt werden. Das zeigt, dass die Berufskrankheitenliste nach wie vor eher an „männerdominierten Berufen“ ausgerichtet ist und Frauen stark benachteiligt. Dazu kommen die Zunahme psychischer Belastungen am Arbeitsplatz und die gesundheitlichen Folgen sowie die vielfältigen Belastungsfaktoren durch die Klimakrise.

 

Zu den Arbeitnehmerinnen: Wie können wir ihre Situation verbessern?

Indem wir die Arbeitsplätze verstärkt durch den Blick der Frauen auf Gefährdungen und Belastungen beurteilen. Nehmen wir zum Beispiel Arbeitnehmerinnen in der Menopause bzw. den Wechseljahren. Trotz der sehr vielen Betroffenen nehme ich das immer noch als Tabu bzw. als Privatsache wahr, und es besteht wenig Bewusstsein und Wissen, insbesondere auch aufseiten der Arbeitgeber:innen. Der Stärkung der Gendermedizin wird zwar in den letzten Jahren mehr Bedeutung geschenkt, aber auch hier gibt es Aufholbedarf.

 

Seit Jänner sind Sie auch Vorsitzende im Dachverband der Sozialversicherungsträger. Können Sie den Leser:innen erläutern, warum das wichtig ist und welche Schwerpunkte Sie setzen wollen?

Der Dachverband sorgt dafür, dass das Handeln der fünf Sozialversicherungsträger mit den Sparten Pensions-, Unfall- und Krankenversicherung koordiniert wird und es in definierten Bereichen einheitliche Richtlinien und Leitlinien gibt. Das ist der Grundstein für eine gute Versorgung für alle Versicherten. Eine nachhaltige Finanzierungsgrundlage zu schaffen, ist sicher eine große Herausforderung angesichts der Bandbreite an Themen und Herausforderungen, etwa Prävention, Gesundheitsförderung und Digitalisierung. Als einzige Frau unter den zehn Mitgliedern der Konferenz des Dachverbandes ist es mir zudem besonders wichtig, auch hier eine starke Stimme für die weiblichen Versicherten zu sein.

 

Magazin Gesunde Arbeit 1/2025, Stamm-Ausgabe