Prävention statt Scheindebatte: Alternsgerechte Arbeit für alle!
Der Arbeitsmarkt steckt in der Krise, die Arbeitnehmer:innen und Unternehmen stehen unter Druck und geplante Lösungen greifen zu kurz. Es braucht nachhaltige Maßnahmen – so die Forderung von AK und ÖGB, und die lautet: alternsgerechte Arbeitsbedingungen!
Beschäftigte sollen es wieder einmal ausbaden: Auf dem Arbeitsmarkt herrscht in vielen Bereichen ein erhöhter Arbeitskräftebedarf, die demografische Entwicklung verspricht keine Aussicht auf Besserung. Unternehmensnahe Stimmen meinen in Zeiten wie diesen das Pensionsantrittsalter erneut anheben zu müssen, und das sogar auf 70 Jahre. ÖGB und AK sagen dazu ganz klar: Nicht mit uns! Arbeiten bis 70 Jahre ist nicht zumutbar, denn bereits jetzt schaffen es sehr viele aufgrund von gesundheitlichen Belastungen ihres Berufs nicht einmal bis 65 Jahre. Stattdessen müsste man vielmehr die Arbeitsbedingungen verbessern, hin zu alternsgerechter Arbeitsplatzgestaltung.
Es gilt also, die Rahmenbedingungen anzupassen, und zwar für alle Altersgruppen. „Damit Beschäftigte körperlich und psychisch gesund bis zur Pension arbeiten können, müssen Betriebe frühzeitig Maßnahmen für Arbeitsfähigkeit und Gesundheit setzen. Noch immer fehlt es hier an ausreichendem Engagement seitens der Arbeitgeber:innen“, betont Julia Stroj, Gesundheitsexpertin im ÖGB. „Alternsgerechtes Arbeiten beginnt nicht erst im höheren Alter, sondern betrifft alle Generationen im Betrieb“, erklärt sie. Deshalb bräuchte es eine verbindliche Verankerung alternsgerechten Arbeitens in jedem Betrieb – etwa durch eine erzwingbare Betriebsvereinbarung.
Regelpensionsalter nicht erreichbar
Dass die derzeitige Situation alles andere als zufriedenstellend ist, zeigt der Österreichische Arbeitsklima Index. 2023 gaben nur 57 Prozent der älteren Beschäftigten an, dass sie in ihrem jetzigen Beruf bis 65 arbeiten können. Am Bau, in der Industrie, im Tourismus und in der Gastronomie ist der Anteil der Personen besonders gering, die es sich zutrauen, bis zum Regelpensionsalter durchzuhalten.
68 Prozent der Befragten, die annehmen, nicht bis zum regulären Pensionsalter in ihrem Job arbeiten zu können, führen das auf körperliche Belastungen zurück, für 55 Prozent ist die Arbeit generell zu anstrengend. Über die Hälfte nennt als Grund psychische Belastungen wie Stress oder Burn-out. Branchen, in denen sich Beschäftigte einen längeren Verbleib nur schwer vorstellen können, sind verstärkt von Fluktuation und erhöhtem Arbeitskräftebedarf betroffen, was insbesondere für Tourismus und Gastronomie gilt.
Die Zahlen zum faktischen Pensionsantrittsalter bestätigen, dass eine je nach Branche unterschiedliche Belastung zu früherem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben führt. Das tatsächliche Pensionsantrittsalter hat sich in den letzten fünf Jahren zwar bei Männern um 3,9 Jahre und bei Frauen um 3,6 Jahre erhöht, doch das gilt nicht für jene Branchen wie den Bau, in denen Schwerarbeit geleistet wird.
Unabhängig von der Branche kommt es häufig vor, dass Arbeitnehmer:innen, die gesundheitlich in der Lage dazu wären, länger zu arbeiten, ab einem bestimmten Alter nicht weiterbeschäftigt werden. Bei Jobverlust im höheren Alter ist es schwer, eine neue Anstellung zu finden. Rund 30 Prozent der mittleren und größeren Betriebe haben keine einzige Person mit 60 plus in ihrer Belegschaft.
AK und ÖGB fordern: Gute Arbeit für jedes Alter sicherstellen
Die Maßnahmen im aktuellen Regierungsprogramm reichen nicht aus, um ältere Arbeitnehmer:innen länger in Beschäftigung zu halten und ihre Situation am Arbeitsplatz zu verbessern. Wie das gelingen kann, zeigen AK und ÖGB mit konkreten Vorschlägen. Die Beschäftigung Älterer zu fördern, wäre kostenneutral möglich, indem man etwa finanzielle Anreize schafft. Das könnte durch ein Bonus-Malus-System erfolgen, das jene Unternehmen belohnt, die eine branchenbezogene Zielquote erreichen.
Damit Beschäftigte aller Altersgruppen gesundheitsfördernde Bedingungen am Arbeitsplatz vorfinden, fordern AK und ÖGB eine Anpassung der gesetzlichen Vorschriften. Die Verpflichtung der Arbeitgeber:innen zu einer alternsgerechten Arbeits- und Arbeitsplatzgestaltung in § 3 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) muss konkretisiert und die Pflicht zur Gestaltung von Arbeitsvorgängen im Sinne von ausgewogenen, alternsgerechten Belastungen und Beanspruchungen in § 60 ASchG aufgenommen werden.
Weitere Verpflichtungen, die das ASchG regeln sollte, betreffen die Ermittlung und Beurteilung der Aspekte alternsgerechter Arbeitsgestaltung durch Sicherheitsfachkräfte, Arbeitsmediziner:innen bzw. Arbeits- und Organisationspsycholog:innen sowie die Festlegung und Umsetzung von Maßnahmen für eine alternsgerechte Arbeitsgestaltung.
Fehlzeitenreport 2025 zeigt: Mehr Prävention nötig
Wie wichtig Prävention und gute Arbeitsbedingungen sind, belegt der Fehlzeitenreport 2025. Bei weiblichen Beschäftigten und vor allem bei Arbeiterinnen besteht hier besonderer Nachholbedarf. Arbeiterinnen sind die Gruppe mit den häufigsten und längsten Krankenständen, und auch bei angestellten Frauen steigt die Quote seit 2009 an. Eine hohe Krankenstandsquote zeigt sich etwa im Handel oder im Gesundheits- und Sozialwesen.
Die Daten zu den Fehlzeiten zeigen, dass der Fokus der Prävention je nach Altersgruppe auf unterschiedlichen Bereichen liegen sollte. Langzeitkrankenstände lassen sich zum Großteil auf drei Krankheitsgruppen zurückführen, die in Zusammenhang mit dem Alter der Betroffenen stehen:
- Bei den unter 25-Jährigen liegen Verletzungen und Vergiftungen an erster Stelle.
- Bei den 25- bis 44-Jährigen psychische Erkrankungen
- Ältere leiden häufiger an Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE). Diese sind oft die Folge von langjährigen körperlichen Belastungen am Arbeitsplatz, etwa durch das Heben und Tragen schwerer Lasten.
Verbindliche Grenzwerte für das Heben und Tragen von schweren Lasten sind ein entscheidender Faktor, wenn es um die Prävention von MSE geht. Diese Grenzwerte stellen eine langjährige Forderung von ÖGB und AK dar und sind noch immer nicht umgesetzt. Der Fehlzeitenreport macht eins ganz deutlich: Die Zeit zu handeln und Investitionen in die Prävention sind längst überfällig.
Orientierung an Lebensphasen
Neben dem Alter spielt auch die jeweilige Lebensphase eine Rolle. Dazu zählen Berufseinstieg, Familiengründung, die Pflege älterer Angehöriger und die Zeit vor der Pensionierung. Heute sind Erwerbsbiografien unterschiedlicher und weniger geradlinig als früher. So bedingt etwa ein Berufswechsel unabhängig vom Alter einen Neubeginn. Nach wie vor gibt es sehr junge Eltern, aber auch Paare, die sich spät für Kinder entscheiden.
Je nach Lebensphase benötigen Arbeitnehmer:innen andere Arbeitsbedingungen. Berufseinsteiger:innen profitieren von Mentoring-Systemen, bei denen eine erfahrene Person ihr Wissen weitergibt. Müssen Beruf und Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen miteinander vereinbart werden, gelingt das besser durch eine flexible Arbeitszeitgestaltung, sofern diese eine tatsächliche Arbeitszeitautonomie ermöglicht. Nach Karenz oder längerer Krankheit sollte der Wiedereinstieg begleitet werden. Wenn im Alter die körperliche Leistungsfähigkeit nachlässt, erleichtern Hilfsmittel sowie die Vermeidung von Schicht- und Nachtarbeit den Arbeitsalltag.
Tipps für alternsgerechte Arbeitsgestaltung
Wie lässt sich beurteilen, ob die Arbeit in einem Unternehmen alternsgerecht gestaltet ist? ÖGB und AK Wien haben eine Checkliste erstellt, an der sich Betriebsrat, Personalvertretung und Betrieb orientieren können, um den Ist-Zustand in ihrem Unternehmen zu erheben. Die Altersverteilung in einem Betrieb lässt sich zudem durch das Serviceangebot der AUVA – den Altersstrukturcheck – ermitteln.
Ausführliche Informationen für Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen finden sich zudem auf der Plattform „Arbeit & Alter“. Diese weist vier Handlungsfelder alternsgerechter Arbeitsgestaltung aus: Gesundheit, Arbeitsorganisation, Führung und Weiterbildung. „Mit diesen Handlungsfeldern wird Arbeit altersgerecht gestaltet – der Grundstein für lang anhaltende Gesundheit wird nicht erst ab einem gewissen Alter gelegt, sondern am Anfang des Berufslebens. So können wir mehr gesunde Lebensjahre erreichen, als es zurzeit in Österreich der Fall ist“, so Julia Nedjelik-Lischka, Referentin der Abteilung Sicherheit und Gesundheit in der AK Wien.
Magazin Gesunde Arbeit 4/2025, Stamm-Ausgabe