Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz
Arbeitgeber:innen müssen ihre Beschäftigten wirksam vor verbalen und körperlichen Übergriffen schützen. Ein neues Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation stärkt die Schutzrechte.
Die Aggressionsbereitschaft in der Gesellschaft nimmt zu, auch am Arbeitsplatz. Oft reichen die Maßnahmen, die Betriebe zur Prävention von Gewalt und Belästigung setzen, nicht aus. Arbeitnehmer:innen wissen meist nicht, dass sie ein Recht auf Schutz vor verbalen und körperlichen Übergriffen haben, welche Handlungen damit gemeint sind und wer dafür verantwortlich ist, diese zu verhindern.
Rechtliche Bestimmungen
In Österreich wird der Schutz vor Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz durch mehrere rechtliche Bestimmungen geregelt. Nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) ist der:die Arbeitgeber:in verpflichtet, für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten zu sorgen. Bei der Arbeitsplatzevaluierung müssen die Gefahren für Sicherheit und Gesundheit ermittelt und beurteilt werden. Bei einer Gefahr durch Gewalt und Belästigung hat der:die Arbeitgeber:in in der Folge Maßnahmen zu ergreifen, um Leben, Gesundheit, Integrität und Würde der Arbeitnehmer:innen zu schützen – dazu gehört auch der Schutz vor Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz.
Nach dem Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) gelten sexuelle Belästigung, Belästigung durch geschlechtsbezogene Verhaltensweisen sowie Belästigung aufgrund ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Weltanschauung, Alter oder sexueller Orientierung in der Arbeitswelt als Diskriminierung.
Als Betroffene:r besteht im Falle einer Diskriminierung Anspruch auf Schadenersatz. Die Mindestentschädigung beträgt 1.000 Euro. Menschen mit Behinderung sind durch das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) und das Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) besonders vor Diskriminierung geschützt.
Handelt es sich bei Gewalt oder Belästigung um eine strafbare Handlung, kommen die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs (StGB) zur Anwendung, etwa § 83 Körperverletzung, § 105 Nötigung, § 107a Beharrliche Verfolgung oder § 115 Beleidigung. Wichtig sind immer auch Fristen: Ansprüche aufgrund sexueller Belästigung verjähren innerhalb von drei Jahren. Ansprüche aufgrund (geschlechtsbezogener) Belästigung verjähren innerhalb eines Jahres. Aus Beweisgründen sollten Betroffene so bald wie möglich Unterstützung suchen.
Übereinkommen ILO 190
Das Übereinkommen 190 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) befasst sich speziell mit dem Schutz vor Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt. Die Ratifizierung dieses Übereinkommens war das Ergebnis eines langen gewerkschaftlichen Kampfes, wie ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian erinnert. Schon bei der vorigen Bundesregierung haben ÖGB, AK und Gewerkschaften Druck zur Ratifizierung gemacht, weil Gewaltschutz alle betreffe – im privaten Umfeld wie im Job. „In einer Zeit, in der gesellschaftliche Spannungen insgesamt zunehmen, ist es besonders wichtig, in allen Lebensbereichen mit konkreten Handlungen und Maßnahmen gegenzusteuern“, betont Katzian. Gewalt bei der Arbeit sei daher, so Katzian, kein individuelles Problem, sondern eine strukturelle Herausforderung, die strukturelle Antworten verlange. „Die Arbeitgeber tragen eine besondere Verantwortung, ihre Beschäftigten so gut wie möglich zu schützen. In diesem Sinne werden wir uns in die Umsetzung des Gewaltschutzübereinkommens mit unserer Expertise einbringen.“
Aktuelle Situation
Eine Ausweitung der Rechte zum Schutz vor Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz, wie sie das ILO-Übereinkommen vorsieht, ist dringend notwendig. Allein in Österreich waren 2020 rund 177.000 Erwerbstätige von Gewalt bedroht bzw. betroffen – das sind etwa 4,1 % aller Erwerbstätigen. Frauen machten hierbei etwa 1,4-mal so häufig Gewalterfahrungen wie Männer. Gewalt oder die Androhung von Gewalt bezog sich dabei auf körperliche Gewalt, die von einer anderen Person oder Gruppe ausgeübt wurde, und die körperliches, sexuelles oder psychisches Leid zur Folge hatte. Rund 138.000 Personen waren durch Mobbing belastet, das waren 3,2 % der erwerbstätigen Bevölkerung; Frauen waren 1,7-mal häufiger betroffen als Männer (Statistik Austria, 2022). Die Prävalenzstudie „Geschlechterspezifische Gewalt gegen Frauen in Österreich“ zeigt: Fast 27 % aller in Österreich zumindest einmal in ihrem Leben erwerbstätig gewesenen Frauen haben sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erfahren (Statistik Austria, 2022).
Bemerkenswert ist: Gut zwei Drittel der Betriebe (66,7 %) verfügen über kein Verfahren zum Umgang mit Mobbing oder Belästigung, mehr als 55 % über keines für Fälle von Bedrohung, Beleidigung oder Angriffen. Damit liegt Österreich unter dem EU-Durchschnitt.
Bezogen auf die gesetzlich vorgesehene Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen ist augenscheinlich Aufholbedarf gegeben – Arbeitgeber:innen müssten hier schon seit Langem Schutzkonzepte ausgearbeitet und umgesetzt haben.
2024 erschien die Studie „Arbeitnehmer:innenschutz in Österreich: Eine Bestandsaufnahme – mit Zukunft“ der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA), beauftragt von der Arbeiterkammer und unterstützt vom ÖGB. Betriebsratsvorsitzende und Sicherheitsvertrauenspersonen wurden zu psychischer bzw. körperlicher Gewalt und sexueller Belästigung in ihren Betrieben befragt. 17,5 % berichteten von einer Zunahme solcher Vorfälle. Von diesen gaben 54 % an, dass der:die Arbeitgeber:in keine wirksamen Schutzmaßnahmen ergriffen hatte.
Gewalt und Belästigung erkennen
Bei körperlicher Gewalt sind häufig Externe die Täter:innen. Die Übergriffe reichen von körperlichem Bedrängen und der Einschränkung der Bewegungsfreiheit über das Werfen von Gegenständen, Stoßen, Schlagen, Beißen oder Würgen bis zum Einsatz von Waffengewalt.
Typische sexuelle Belästigungen sind etwa Kommentare sexuellen Inhalts oder anzügliche Witze, nicht erwünschte Geschenke, exhibitionistische Handlungen, Annäherungsversuche im Zusammenhang mit Vorteilsversprechen oder Nachteilsdrohungen sowie sexuelle Handlungen wie unerwünschte Berührungen und Aufforderungen dazu. Auch Pin-up-Poster am Arbeitsplatz gelten als sexuelle Belästigung.
Stalking (§ 107a StGB) kann sich im Arbeitskontext etwa durch wiederholtes Auflauern, Nachstellen oder Warten vor der Arbeitsstelle äußern. Oft kommen weitere Übergriffe hinzu, etwa körperlicher oder sexueller Art. Cyberstalking bzw. -mobbing fällt unter § 107c StGB und betrifft Formen des beharrlichen Verfolgens unter Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien – etwa durch unerwünschte Kontaktaufnahmen per SMS, E-Mail oder Messenger sowie durch das Verbreiten beleidigender oder verleumderischer Inhalte auf öffentlich zugänglichen Plattformen. Wichtig: Nicht jede Form digitaler Belästigung ist strafbar. Eine private, beleidigende Nachricht über Facebook oder WhatsApp an eine einzelne Person erfüllt den Tatbestand in der Regel nicht. § 107c StGB schützt insbesondere vor öffentlichen Herabwürdigungen, wie Beschimpfungen, Verspottungen oder der Behauptung unehrenhaften Verhaltens, wenn diese für eine größere Zahl von Menschen und über einen längeren Zeitraum wahrnehmbar sind.
Unter Mobbing versteht man Handlungen, die darauf abzielen, Betroffene auszugrenzen, zu schwächen oder vom Arbeitsplatz zu vertreiben – und zwar gezielt und über einen längeren Zeitraum. Mobbing kann auf derselben Hierarchieebene stattfinden, als „Bossing“ von Vorgesetzten ausgehen oder als „Staffing“ gegen Vorgesetzte gerichtet sein.
Risikofaktoren und Unterstützung
Wie wahrscheinlich es ist, dass Beschäftigte Gewalt oder Belästigung erleben, hängt vom Arbeitsumfeld und der Unternehmenskultur ab. Die Arbeitsinspektion nennt in ihrem „Informationssheet zu Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz“ als Risikofaktoren unter anderem hohe Arbeitsintensität, Zeitdruck, häufigen Kontakt mit Kund:innen, Klient:innen oder Patient:innen, Arbeitsplatzunsicherheit, viele Frustrationserlebnisse im Team, schlechtes Betriebsklima, mangelhafte Konfliktkultur und inkompetente Führungskräfte.
Ansprechpartner:innen für Betroffene sind der:die Arbeitgeber:in, Vorgesetzte, der Betriebsrat, Sicherheitsvertrauenspersonen, speziell geschulte Kontaktpersonen wie Mobbingbeauftragte, aber auch die Präventivfachkräfte, sowie Arbeits- und Organisationspsycholog:innen. Deren Rolle sollte laut AK-Präsidentin Renate Anderl gestärkt werden: „Arbeitnehmer:innenschutz ist Aufgabe der Betriebe – das betrifft natürlich auch Sicherheit und Gesundheit für die Psyche. Wir fordern daher, dass Arbeits- und Organisationspsycholog:innen als gleichwertige Präventivfachkräfte im Arbeitnehmer:innenschutzgesetz verankert werden. Sie müssen außerdem verpflichtend in die Evaluierung psychischer Belastungen eingebunden werden.“
Die Ausweitung der Schutzrechte durch das Inkrafttreten des ILO-Übereinkommens ist für Anderl ein Schritt in die richtige Richtung: „Körperliche und psychische Gewalt sowie Belästigung am Arbeitsplatz sind nicht nur tragisch für die Betroffenen, sie verursachen außerdem im Gesundheits- und Sozialsystem hohe Folgekosten. Das Geld ist in der Prävention besser aufgehoben als in langen Krankenständen bzw. Ausfällen der Arbeitnehmer:innen durch arbeitsbedingte Fehlzeiten. Ich persönlich bin daher sehr froh darüber, dass auch bei uns endlich das ILO-Übereinkommen gegen Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt ab September gelten wird – es war hoch an der Zeit!“
Magazin Gesunde Arbeit 3/2025, Stamm-Ausgabe