Projekt „Wege aus der Gewalt“
Eine Kollegin zieht sich zurück. Schweigt. Fehlt öfter. Wer hinschaut, merkt: Da stimmt was nicht. Für Betroffene wird der Arbeitsplatz oft zum Zufluchtsort. Wie konkrete Hilfe im Betrieb aussehen kann, zeigt das Projekt „Wege aus der Gewalt“.
Häusliche Gewalt bleibt selten ohne Auswirkungen auf den Arbeitsplatz. An diesem Punkt setzt das Projekt „Wege aus der Gewalt“ an. Das Ziel ist klar: Arbeitnehmer:innenvertretungen sollen gestärkt werden, häusliche Gewalt im Arbeitskontext zu erkennen, sie zur Sprache zu bringen und Betroffene zu unterstützen. Das Projekt wird von den ÖGB-Frauen gemeinsam mit dem Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB), der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ), dem IFES, dem Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen sowie dem Dachverband Burschen-, Männer- und Väterarbeit in Österreich realisiert und aus Mitteln des Sozialministeriums gefördert.
Notfallboxen und Plakate mit Beratungsstellen
„Niemand im Betrieb muss zur Gewaltschutzexpertin bzw. zum Gewaltschutzexperten werden“, betont Projektleiterin Elisabeth Kerndl. „Oft hilft ein empathisches Gespräch, ein offenes Ohr und der Mut, Betroffene auf Hilfsangebote aufmerksam zu machen.“
Damit dieser Zugang in der Praxis auch gelingt, setzt das Projekt auf verschiedene niedrigschwellige Wege: Plakate mit QR-Codes an Toilettentüren führen anonym zu regionalen Beratungsstellen, Notfallboxen geben Betroffenen die Möglichkeit, wichtige Dokumente diskret zu sichern, und Infomaterial in mehreren Sprachen senkt die Schwelle zum ersten Schritt. „Die Erfahrung aus Fokusgruppen zeigt, wie unterschiedlich die Wege aus der Gewalt aussehen: Für manche braucht es wiederholte Gesprächsangebote, andere vertrauen sich erst nach langer Zeit an“, so Kerndl. Wichtig sei, im Betrieb immer wieder das Signal zu senden, dass Hilfe da ist und niemand allein durch die Erfahrung muss.
Besonders die Einbindung von Männern ist ein Schlüssel zur Prävention.
Männer einbinden, Muster durchbrechen
Kern der Initiative sind nachhaltige Schulungen, regelmäßige Veranstaltungen und enge Netzwerke im Betrieb. Besonders die Einbindung von Männern sei ein Schlüssel zur Prävention, erklärt Kerndl. Nur wenn festgefahrene Rollenbilder hinterfragt und neue Verantwortlichkeiten sichtbar werden, kann ein Klima entstehen, in dem Gewalt keinen Platz mehr hat. Workshops und Fokusgruppen machen Mut, Muster zu durchbrechen und Solidarität im Alltag zu leben.
ILO 190 im Betrieb: Von der Norm zur Praxis
Mit dem Übereinkommen ILO 190 wird erstmals der Zusammenhang zwischen Arbeitswelt und häuslicher Gewalt benannt. Es schützt alle Menschen vor Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz, einschließlich häuslicher Gewalt, die sich auf die Arbeit auswirkt. Um diesen Anspruch in Betrieben umzusetzen, setzt „Wege aus der Gewalt“ auf Kulturwandel: Unterstützungsangebote sichtbar machen, Hemmschwellen abbauen, Sensibilisierung schaffen, damit der Betrieb zum Schutzraum für alle wird. Oft genügt ein Plakat im Vorbeigehen, ein QR-Code an der Tür oder ein einziger zugewandter Satz: Wer im Team zuhört und gemeinsam hinsieht, kann einen entscheidenden Unterschied machen. Unterstützung muss im Alltag spürbar werden – im Sinne aller, die Hilfe suchen.
Magazin Gesunde Arbeit 3/2025, Stamm-Ausgabe