Pflegekräfte vor Gewalt schützen
Sechs von zehn Pflegekräften erleben jedes Jahr Beschimpfungen oder Drohungen, viele sogar körperliche Angriffe. Besonders häufig betroffen ist die Langzeitpflege. Doch Einrichtungen können durch klare Regeln, Schulungen und Supervision gezielt vorbeugen.
Ein lautes Wort, eine Beleidigung, ein zu fester Griff eines dementen Patienten, der nicht versteht, was gerade passiert: Gewalt ist für viele Beschäftigte im Gesundheitswesen Alltag. Gerade im Umgang mit Demenzkranken wurde das lange belächelt und als Teil des Berufs abgetan. Betroffene nehmen aggressives Verhalten unterschiedlich wahr. Für manche ist es eine schwere Belastung, für andere Teil des Berufsalltags. Michaela Guglberger vom Fachbereich Soziale Dienste der Gewerkschaft vida sagt dazu: „Jeder Mensch empfindet Gewalt und seine Grenzen diesbezüglich anders. Das müssen wir akzeptieren. Wenn jemand etwas als Gewalt empfindet, dann ist es das auch.“
60 Prozent erleben verbale Übergriffe
In der Praxis wird unterschieden zwischen verbaler Gewalt – etwa Beschimpfungen, Drohungen oder Beleidigungen – und körperbezogenen Formen wie Schlagen, das Werfen von Gegenständen oder das Zuschlagen von Türen. Die Übergriffe können sowohl von Patient:innen als auch von Angehörigen oder Kolleg:innen ausgehen. Kurt Schalek von der Arbeiterkammer Wien ist Experte für Gesundheitsberufsrecht und Pflegepolitik. Er weist auf eine oft vergessene Dimension hin: „Auch Gewalt gegen sich selbst muss beachtet werden. Das wird leider häufig übersehen.“
Aktuelle Umfragen zeigen: Rund 60 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen erleben innerhalb eines Jahres verbale Übergriffe. Die Zahl körperlicher Übergriffe variiert je nach Bereich. Schalek: „In der Langzeitpflege kommt das häufiger vor. Rund 40 Prozent der Mitarbeitenden berichten, diese Form von Gewalt erlebt zu haben.“
Es braucht ein klares Bekenntnis der Leitung, dass Gewalt und aggressives Verhalten nicht geduldet werden.
Was hilft in der Praxis?
Doch wie kann man dem Problem begegnen? Für Schalek ist klar: Es braucht ein klares Bekenntnis der Leitung, dass Gewalt und aggressives Verhalten nicht geduldet werden. „Man muss als Organisation ehrlich hinschauen: Wo passiert bei uns Gewalt? Welche Risikobereiche gibt es? Was können wir organisatorisch ändern? Sind unsere Räume freundlich gestaltet? Wie laufen die Prozesse ab? Und: Haben wir genug Zeit, um Patient:innen zu erklären, was als Nächstes passiert?“ All diese Fragen müsse man sich stellen. Auch Schulungen zu Sicherheits- und Deeskalationsmanagement helfen, Gewaltsituationen zu vermeiden und mit dem Ernstfall besser umgehen zu können.
Seit September 2025 ist in Österreich das ILO-Übereinkommen 190 in Kraft, das den Schutz vor Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt verbessern soll. „Hier braucht es Kontrollen, vielleicht sogar Meldepflichten. Wir sind gespannt, wie diese Konvention umgesetzt wird“, sagt Schalek. Für Michaela Guglberger ist der offene Umgang im Team entscheidend: „Dann kann man sich zusammensetzen und überlegen, wie man mit Situationen der Gewalt umgeht. Außerdem müssen Pflegepersonen Anspruch auf Supervision haben.“
Magazin Gesunde Arbeit 3/2025, Stamm-Ausgabe