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Vom Hänseln bis zu Handgreiflichkeiten

Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz reichen von abfälligen Bemerkungen und ungewollten Berührungen bis zu körperlichen Angriffen. Dieser Überblick zeigt, welche Formen von Gewalt und Belästigung es gibt, welche Branchen besonders betroffen sind und welche Pflichten Arbeitgeber:innen haben, um wirksam vorzubeugen.

Gewalt am Arbeitsplatz hat viele Gesichter – von abwertenden Kommentaren bis zu körperlichen Angriffen. Adobe Stock / studio v-zwoelf

Definition von Gewalt und Belästigung nach ILO 190

Darunter fallen alle inakzeptablen Verhaltensweisen oder Drohungen, die einer Person körperlichen, seelischen, sexuellen oder wirtschaftlichen Schaden zufügen können – egal, ob sie einmalig oder wiederholt vorkommen. Eingeschlossen sind auch geschlechtsspezifische Gewalt und Belästigung sowie weniger offensichtliche Formen wie Ausgrenzung, abwertende Gesten oder Anspielungen. 

Formen von Gewalt in der Arbeitswelt

  • Physische Gewalt: Direkter körperlicher Angriff oder Androhung körperlicher Gewalt, z. B. Schläge, Stoßen, Festhalten.
  • Psychische Gewalt: Herabwürdigung, Einschüchterung, Drohung oder soziale Ausgrenzung, die das seelische Wohlbefinden beeinträchtigen.
  • Verbale Gewalt: Herabwürdigende Äußerungen, Drohungen oder abwertende Bemerkungen, auch in Form von Witzen.
  • Sexuelle Gewalt/sexuelle Belästigung: Unerwünschte sexuelle Handlungen, Gesten, Kommentare oder Berührungen sowie jede sexualisierte Handlung, die die Würde einer Person verletzt.
  • Digitale Gewalt: Gewalt oder Belästigung unter Nutzung digitaler Kommunikationsmittel, z. B. per E-Mail, Chat, Social Media oder Videokonferenz.
  • Ökonomische Gewalt: Handlungen oder Drohungen, die zu finanziellen oder beruflichen Nachteilen führen, z. B. Entzug von Aufträgen oder Degradierungen als Druckmittel.
  • Geschlechtsspezifische Gewalt und Belästigung: Gewalt, die aufgrund des Geschlechts oder der geschlechtlichen Identität ausgeübt wird oder diese besonders trifft.
  • Strukturelle Gewalt/Machtmissbrauch: Ausnutzen institutioneller oder hierarchischer Strukturen, um Einzelne oder Gruppen zu benachteiligen, einzuschränken oder zu kontrollieren.

Besonders gefährdete Branchen und Gruppen

Ein erhöhtes Risiko für Gewalt und Belästigung besteht vor allem im Dienstleistungssektor und in den sogenannten systemrelevanten Berufen, wie etwa:

  • Im Gesundheitswesen, in Pflege und Notfalldiensten – wegen hoher Belastung und häufiger Konfrontation mit Patient:innen oder Angehörigen.
  • In Gastronomie und Hotellerie – besonders für sexuelle Belästigung durch Gäste.
  • Im Handel und bei Sicherheitsdiensten – oft Aggression durch Kund:innen.
  • In Reinigung, Bildung und Sozialarbeit – häufiges Arbeiten allein oder in emotional belastenden Situationen.

Gesetzliche Fürsorgepflicht

Arbeitgeber:innen sind gesetzlich verpflichtet, ihre Beschäftigten vor Gewalt und Belästigung zu schützen. Diese Fürsorgepflicht umfasst nicht nur den Schutz vor körperlichen Gefahren, sondern ausdrücklich auch vor psychischen, sexuellen und strukturellen Übergriffen. Arbeitgeber:innen müssen Gefahren ermitteln und beurteilen und die Risiken vorrangig nach dem STOP-Prinzip durch strukturelle, technische und organisatorische Maßnahmen ausschalten – bevor es zu Vorfällen kommt.

Das STOP-Prinzip der Gefahrenverhütung

Das STOP-Prinzip ist im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz verankert und verpflichtet Arbeitgeber:innen, Gefahren in dieser Reihenfolge zu minimieren oder auszuschalten:

S – Substitution
Gefahr an der Quelle beseitigen – z. B. riskante Arbeitsabläufe ändern, gewaltfördernde Strukturen auflösen.
T – Technische Maßnahmen
Schutz durch technische Lösungen – z. B. sichere Kommunikationskanäle, räumliche Sicherheitsvorkehrungen.
O – Organisatorische Maßnahmen
Arbeitsorganisation anpassen – z. B. geregelte Beschwerdewege, klare Zuständigkeiten, angemessene Personalbesetzung.
P – Persönliche Schutzmaßnahmen
Ergänzend zu S, T und O können angeboten werden: Schulungen, Deeskalationstrainings, Unterstützungsangebote.
Wichtig: Arbeitgeber:innen dürfen sich nicht auf persönliche Maßnahmen beschränken – strukturelle, technische und organisatorische Lösungen haben Vorrang.

Tipps: Was Kolleg:innen tun können

  • Nicht wegschauen, wenn man Zeuge oder Zeugin eines Vorfalls wird oder ins Vertrauen gezogen wird.
  • Selbstvertrauen der Betroffenen fördern und Hilfe anbieten. 
  • Maßnahmen immer mit der betroffenen Person abstimmen (außer bei Notfällen). 
  • Bereitschaft signalisieren, als Zeuge oder Zeugin auszusagen. 
  • Informationen einholen bei Beratungsstellen, wie man am besten helfen kann.
  • Zivilcourage zeigen: Wenn Kolleg:innen belästigt, ausgelacht oder beschimpft werden, klarmachen, dass dieses Verhalten nicht akzeptiert wird.

 

Magazin Gesunde Arbeit 3/2025, Stamm-Ausgabe

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