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„Wir meinen nicht nur das blaue Aug’“

Als Sozialministerin ist Korinna Schumann für den Bereich „gewaltfreies Arbeiten“ mitverantwortlich. Gesunde Arbeit hat nachgefragt, was das für Betriebe und Beschäftigte bedeutet.

Neue Gesetze allein bringen keinen besseren Schutz, meint Sozialministerin Korinna Schumann. Im Fokus muss die Praxis stehen. Markus Zahradnik

Gesunde Arbeit: Wo steht Österreich im EU-Vergleich, wenn es um Gewaltschutzprävention am Arbeitsplatz geht?

Korinna Schumann: Über 57 Prozent der Arbeitnehmer:innen in Europa haben mit schwierigen Kund:innen, Patient:innen oder Schüler:innen zu tun. Vier Prozent der Beschäftigten wurden nach eigenen Angaben bereits tätlich angegriffen. Besonders betroffen sind der Sozialbereich und der Gesundheitssektor. Skandinavische Länder sind traditionell Vorreiter bei Präventionsmaßnahmen gegen Gewalt am Arbeitsplatz, da hat Österreich – wie viele andere Länder – noch Nachholbedarf.

 

Seit 11. September 2025 ist ILO-190 in Kraft. Österreich verpflichtet sich, das Übereinkommen zu Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz umzusetzen. Welche konkreten Maßnahmen gehen damit einher?

Im Arbeitnehmer:innenschutz müssen technische, organisatorische und persönliche Schutzmaßnahmen so ineinandergreifen, dass idealerweise Gewaltübergriffe gar nicht erst auftreten. Hat sich ein Übergriff bei der Arbeit bereits ereignet, ist die Arbeitsplatzevaluierung auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und sind Schutzmaßnahmen erforderlichenfalls anzupassen. Es gibt Betriebe, für die ist der Umgang mit Gewalt als Arbeitsbedingung bereits selbstverständlich. Beispiele für Good Practices finden sich auf der Website der Arbeitsinspektion. Andere Betriebe haben Aufholbedarf.

 

Wie wird sichergestellt, dass ILO-190 nicht nur symbolisch bleibt, sondern tatsächlich strukturelle Veränderungen bringt? Was soll sich dadurch nun konkret für Unternehmen ändern?

Im Fokus muss die Praxis in der Arbeitswelt stehen. Das Übereinkommen fordert von den Mitgliedstaaten eine umfassende Strategie gegen Gewalt und Belästigung. Dazu setzt das aktuelle Regierungsprogramm zahlreiche Schwerpunkte. Die Bundesregierung hat im April 2025 die Erstellung eines Nationalen Aktionsplans gegen Gewalt an Frauen beschlossen. Mein Ressort ist dabei mitverantwortlich für den Themenbereich „Gewaltfreies Arbeiten und wirtschaftliche Unabhängigkeit“. Besonders gefährdete Berufsgruppen, wie in der Pflege oder der Gastronomie, brauchen spezifische Präventiv- und Schutzmaßnahmen.

Über psychische oder sexualisierte Gewalt muss so selbstverständlich gesprochen werden wie über Fluchtwege.
Korinna Schumann, Sozialministerin

 

Wie werden Arbeitgeber:innen in die Pflicht genommen?

Belästigungen am Arbeitsplatz, sexuelle Belästigung, rassistisches Verhalten, Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, des Alters, der Weltanschauung, Religion oder sexuellen Orientierung werden arbeitsrechtlich vor allem mit Gleichbehandlungsgesetzen bekämpft. Arbeitnehmerschutzrechtlich ist der Arbeitgeber verpflichtet, zu evaluieren, ob die Gefahr von Gewalt direkt aus den Arbeitsbedingungen am Arbeitsplatz herrührt. Ist dies der Fall, sind Schutzmaßnahmen zu setzen.

 

Was möchten Sie Unternehmen mitgeben, die glauben, das Thema Gewaltprävention „betrifft uns nicht“?

Wir meinen nicht nur das „blaue Aug’“, sondern alle Formen der Gewalt wie psychische Gewalt oder sexualisierte Belästigung. Verbale Übergriffe, Anschreien, Drohen, anzügliche Witze, Belästigung können überall vorkommen, wo Menschen interagieren. Die Pflicht der Arbeitgeber:innen ist es, die Arbeitsabläufe mit entsprechenden Maßnahmen zu gestalten und gewaltbedingte Gesundheitsgefahren an der Quelle zu bekämpfen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt muss selbstverständlich werden, das schützt vor Tabus und davor, dass Gewalt ungehindert ausgeübt werden kann. Besonders wichtig ist die Haltung von Führungskräften.

 

Psychische Belastungen am Arbeitsplatz nehmen drastisch zu: Welche Rolle spielen dabei Arbeits- und Organisationspsycholog:innen?

Sowohl bei der Abwehr externer Gewalt als auch bei der Prävention interner Gewalt kann die Arbeitspsychologie erheblich zur Verbesserung beitragen. Zum Beispiel durch Optimierung von Abläufen, der Gestaltung der Kommunikationskultur und der Interaktionen. Je mehr Akteur:innen im Betrieb tätig sind, desto besser muss Zusammenarbeit gelingen.

 

Wird es verpflichtende Fortbildungen für Personalverantwortliche geben, um Gewalt und Belästigung zu erkennen und angemessen zu handeln?

Wenn die Arbeitsplatzevaluierung zum Ergebnis kommt, dass eine arbeitsbedingte Gefahr von Gewalt im Betrieb besteht, sollten alle Personen, nicht nur die Führungsebene, wiederholt Informationen erhalten, was unter Gewalt am Arbeitsplatz fällt, an wen sie sich wenden können und was die Pflichten der Führungskräfte sind.

 

Was muss passieren, damit wir in fünf Jahren sagen können: ILO-190 hat wirklich etwas verändert?

Stärkeres gemeinsames Bewusstsein für die Problemstellung und für Lösungsmöglichkeiten sowie Klarheit über die Zuständigkeiten. Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen wissen, welche Formen von Gewalt es gibt, können bei Betroffenheit agieren und dies auch bei der richtigen Stelle ansprechen. Über ökonomische Gewalt, sexualisierte oder psychische Gewalt kann im Arbeitnehmer:innenschutz so selbstverständlich gesprochen werden wie über Fluchtwegbreiten oder verstellte Notausgänge. Betriebe wissen Bescheid, wie sie die Beschäftigten vor interner und externer Gewalt schützen können.

 

Zur Person:
Korinna Schumann (SPÖ) ist österreichische Gewerkschaftsfunktionärin und seit März 2025 Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Sie hat sich jahrelang dafür eingesetzt, das ILO-190-Übereinkommen endlich in Österreich zu ratifizieren. Als Sozialministerin trägt sie nun zur Umsetzung bei.

 

Magazin Gesunde Arbeit 3/2025, Stamm-Ausgabe