Gesunde Arbeit

„Der Arbeitsmarkt wird langfristig nicht ohne Menschen mit Behinderung auskommen“

Gemeinsam mit seinem Team berät und sensibilisiert Patrick Berger, Leiter des Chancen Nutzen Büros im ÖGB, zum Thema Menschen mit Behinderung. Im Gespräch mit der Gesunden Arbeit betont er: „Ich möchte einfach als Mensch mit all meinen Stärken und Schwächen wahrgenommen werden und nicht als Mensch mit Behinderung.“
„Was Barrierefreiheit und Sicherheit in den Betrieben betrifft, ist der technische Arbeitnehmer:innenschutz leichter umsetzbar, als die Barrieren im Kopf niederzureißen“, sagt Patrick Berger.
„Gäbe es flächendeckende Inklusion vom Kindergarten an, wäre der Umgang mit Behinderung kein Thema.“ Patrick Berger, Leiter des Chancen Nutzen Büros
„Ich möchte einfach als Mensch mit all meinen Stärken und Schwächen wahrgenommen werden und nicht als Mensch mit Behinderung.“ „Was Barrierefreiheit und Sicherheit in den Betrieben betrifft, ist der technische Arbeitnehmer:innenschutz leichter umsetzbar, als die Barrieren im Kopf niederzureißen“, sagt Patrick Berger.
„Gäbe es flächendeckende Inklusion vom Kindergarten an, wäre der Umgang mit Behinderung kein Thema.“ Patrick Berger, Leiter des Chancen Nutzen Büros „Gäbe es flächendeckende Inklusion vom Kindergarten an, wäre der Umgang mit Behinderung kein Thema.“ Patrick Berger, Leiter des Chancen Nutzen Büros
Kannst du die Arbeit des Chancen Nutzen Büros kurz vorstellen? 
Seit 20 Jahren begleitet das Team des Chancen Nutzen Büros Menschen im Arbeitsleben. Was als Ein-Mann-Initiative begann, ist nun ein Projekt mit neun Beschäftigten. Wir werden vom Sozialministeriumservice basisfinanziert und sind im ÖGB untergebracht. Unsere Hauptaufgabe ist die Beratung und Sensibilisierung zum Thema Menschen mit Behinderung, chronischen und psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz. 
Die Angebotspalette beinhaltet die persönliche Beratung von Betroffenen und von im Arbeitsalltag relevanten Menschen, wie etwa Betriebsrät:innen, Arbeitgeber:innen, Personalist:innen und vielen mehr. Unsere Seminare, Workshops und Vorträge sind vom Inhalt und von der Dauer für die jeweilige Zielgruppe maßgeschneidert. Durch gute Vernetzung bringen wir Menschen, Organisationen und Behörden zusammen und können kompetent weitervermitteln. 
In einem konkreten Beispiel hat sich ein Arbeitnehmer bei uns gemeldet, bei welchem nach einem längeren Krankenstand der Arbeitsplatz nicht mehr vorhanden war. Gemeinsam mit der Behindertenvertrauensperson (BVP) konnten wir erreichen, dass unser Klient wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden konnte. 
 
In den letzten Jahren sind lange Krankenstände und vorzeitige Ausfälle aus dem Arbeitsleben aufgrund von Stress und Burn-out explosionsartig gestiegen. Zu diesem Thema bieten wir einen speziellen Stress-/Burn-out-Test an, um gesundheitsgefährdende Muster rechtzeitig aufzudecken und vorhandene Ressourcen zu stärken.
Ein Anruf genügt, und natürlich darf es auch ein E-Mail sein. Wir beraten und begleiten unkompliziert und unbürokratisch. Alle unsere Angebote sind kostenfrei und gelten für ganz Österreich. 
 
Mit welchen Herausforderungen sehen sich Arbeitnehmer:innen mit Behinderung in der Arbeitswelt konfrontiert?
Was Barrierefreiheit und Sicherheit in den Betrieben betrifft, ist der technische Arbeitnehmer:innenschutz leichter umsetzbar, als die Barrieren im Kopf niederzureißen. Einige Studien zeigen auf, dass Barrierefreiheit am Arbeitsplatz für 10 Prozent der arbeitenden Menschen unbedingt notwendig ist, für 90 Prozent der Beschäftigten aber eine große Erleichterung bringt. Österreichische Unternehmen erhalten auch Förderungen für barrierefreie Maßnahmen. Das ist ein guter Anreiz für die Umsetzung.
 
Was ist dein Eindruck: Ist Inklusion in der Arbeitswelt in Österreich angekommen?
Schwächen in unserer leistungsorientierten Gesellschaft werden nicht akzeptiert und Behinderung wird nach wie vor leider als eine Schwäche angesehen. Demzufolge trauen Arbeitgeber:innen Menschen mit Behinderung nicht viel zu. Sie erwarten automatisch eine geringere Arbeitsleistung und vermehrte Krankenstände. Viele Vorurteile, die ohne persönliche Erfahrung mit Menschen mit Behinderung im Arbeitsalltag schwer aus dem Kopf zu bringen sind. 
Viele Menschen verschweigen aus Scham und berechtigter Angst vor Diskriminierung ihre Behinderung, wenn diese nicht sichtbar ist. Inklusion in der Arbeitswelt liegt also noch in ferner Zukunft. Eine große Hilfe in diesem Zusammenhang sind Behindertenvertrauenspersonen, die beiden Seiten Mut machen und Vorurteile abbauen helfen können. 
 
Gibt es Beispiele für Unternehmen, die in dieser Hinsicht alles richtig machen?
Wenn eine personalverantwortliche Person im Betrieb in ihrem familiären Umfeld mit Behinderung vertraut ist, werden Vorurteile abgebaut und Menschen mit Behinderung eingestellt. 
Eine Umfrage in den österreichischen Betrieben hat ergeben, dass ein Großteil der Betriebe, die bewusst Menschen mit Behinderung angestellt haben, sehr zufrieden sind. Sie erleben diese als loyal und engagiert. Durch die gute Arbeit, die sie leisten, werden sie als wichtige Personalressource angesehen.
Gäbe es flächendeckende Inklusion vom Kindergarten an, wäre der Umgang mit Behinderung kein Thema.
 
Wie sieht für dich ein gesunder und inklusiver Arbeitsplatz aus?
Dazu fällt mir der viel zitierte Ausspruch des deutschen Politikers Wolfgang Schäuble ein: „Im Grunde sind alle Menschen behindert, der Vorzug von uns Behinderten allerdings ist, dass wir es wissen.“
Ich würde den Ausspruch insofern relativieren, indem ich meine, dass jeder Mensch spezielle Eigenheiten und Bedürfnisse, Stärken und Schwächen hat. Das macht sich auch am Arbeitsplatz bemerkbar. Für mich sieht demzufolge ein inklusiver und gesunder Arbeitsplatz so aus, dass jedes Teammitglied die eigenen Bedürfnisse offen äußern kann. Diese sollten im Rahmen der Möglichkeiten auch berücksichtigt werden. Beispiele wären Arbeitsrhythmus, Gleitzeit, Homeoffice-Möglichkeit, Rücksicht auf Kinderbetreuung etc.
Ich möchte einfach als Mensch mit all meinen Stärken und Schwächen wahrgenommen werden und nicht als Mensch mit Behinderung.
 
Was sind die Herausforderungen für Menschen mit Behinderungen in der Zukunft?
Die Zukunft ist an sich eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Die moderne Medizin und die fortschreitende Technik haben das Leben für Menschen mit Behinderung in vielen Belangen erleichtert. Die virtuelle Welt hat in den letzten drei Jahren vermehrt Einzug ins Arbeitsleben gefunden. Viele Arbeiten sind dadurch auch für Menschen mit Behinderung erst möglich geworden. Andererseits hat uns Corona nochmals sehr erschreckend den Anstieg von psychischen Erkrankungen aufgrund von Angst und Stress oder Long COVID vor Augen geführt. Viele Arbeitskräfte fallen dadurch aus. Langfristig kann das mit Menschen mit Behinderung und durch ihre Potenziale gedeckt werden. 
Die Zukunft werden wir nur meistern, indem wir zusammenhalten und trotz des technischen Fortschritts nicht vergessen, dass wir Menschen sind und den Kontakt zu anderen Menschen brauchen und dass Behinderung jede und jeden jederzeit betreffen kann!
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