Gesunde Arbeit

ArbeitnehmerInnenschutz in einer digitalen Arbeitswelt

6 Thesen zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Sicherheit und Gesundheit von ArbeitnehmerInnen

These 1: Entgrenzung von Arbeit bzw. mobile Arbeit nimmt weiter zu
Die Triebfeder für die Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort bzw. für mobile Arbeit sind einerseits neue Managementstrategien, wie Zielvereinbarungen und leistungsbezogene Entgeltsysteme („Selbstorganisation“, „Selbstverantwortung“ usw.). Eine andere wesentliche Kraft, die neue Formen des Arbeitens antreibt, sind die technischen Möglichkeiten, wie sie durch mobile Endgeräte wie Smartphones, Tablets, Notebooks usw. gegeben sind. Die Flexibilisierung geht einher mit einer Entgrenzung der Arbeit, die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen bzw. lösen sich auf.

Die Basis dieser Entwicklung bildet die verstärkte weltweite wirtschaftliche Zusammenarbeit, die Globalisierung, die zu einer Ausdehnung von Wirtschaftsräumen geführt hat.

Unter mobiler Arbeit verstehen wir zeitlich und räumlich entgrenzte Arbeit, verbunden mit Mobilität (Dienstreisen, wechselnde Einsatzorte). Diese stellt eine Voraussetzung zur Ausübung der Arbeitstätigkeit dar. Die Bereitschaft zur Mobilität bei den ArbeitnehmerInnen wird unhinterfragt vorausgesetzt.

Tele(heim)arbeit bzw. Home Office wird in der Wohnung verrichtet, ist zumeist alternierend organisiert, um Mobilität zu vermeiden. Sehr oft gibt es dazu individuelle Arrangements oder Regelungen in Betriebsvereinbarungen.

Mehr Infos dazu: digital - mobil - mit.bestimmt - Prävention und gute Arbeit der Zukunft (verdi.de)

Handlungsfelder im ArbeitnehmerInnenschutz bezüglich mobiler Arbeit

  • Vermittlung von „Mobilitätskompetenz“ im Rahmen der Unterweisungspflicht des Arbeitgebers (Beratung über gesundheitliche Belastungen und Risiken bei mobiler Arbeit, Aspekte der ergonomischen Bildschirmarbeit, Datensicherheit, Schulung von Führungskräften dazu usw.) für ArbeitnehmerInnen, deren Tätigkeit mobile Anteile enthält und/oder die mit mobilen Endgeräten als Arbeitsmittel ausgestattet wurden.
  • Entwicklung von Instrumenten zur Arbeitsplatzevaluierung von entgrenzter mobiler Arbeit, die auf www.eval.at zur Verfügung gestellt werden sowie Entwicklung von geeigneten Unterlagen zur Unterweisung gemäß § 14 ASchG
  • Berücksichtigung von „Mobiler Arbeit“ und „Tele(heim)arbeit“ in der Arbeitsstätten-VO
  • Arbeitsmittel mit denen unterwegs gearbeitet wird, müssen den ergonomischen Mindestanforderungen entsprechen
  • Recht auf einen geeigneten Arbeitsplatz im Unternehmen, damit Arbeits- und Sozialkontakte erhalten bleiben und der notwendige Informationsaustausch stattfinden kann.
  • Vermehrte wissenschaftliche Studien der AUVA in Bezug auf das psychische und physische Gefährdungspotential bei mobiler Arbeit, um Gestaltungsanforderungen für entsprechende Präventionsmaßnahmen zu erhalten

Handlungsfelder im ArbeitnehmerInnenschutz bezüglich Tele(heim)arbeit

  • Auch bei Tele(heim)arbeit/Home Office soll es ein Recht auf einen ergonomisch ausgestatteten Arbeitsplatz geben
  • Möglichkeit zur Kontrolle von Arbeitsplätzen und Beratung in Privatwohnungen („auswärtige Arbeitsstellen“) durch die Arbeitsinspektion aufgrund des „Hausrechts“ nicht gegeben.
    • Erlass der Arbeitsinspektion: „Privatwohnungen (auswärtige Arbeitsstellen), Betreten durch die Arbeitsinspektion“
  • Das definierte Recht auf Augenuntersuchungen, Pausen und Sehbehelf auch bei Tele(heim)arbeit
  • Stärkung der Rechte von Präventivfachkräften sowie Arbeits- und OrganisationspsychologInnen bei Tele(heim)arbeit

These 2: Psychische Belastungen nehmen weiter zu
Arbeitstempo, Arbeitsverdichtung und Arbeitsintensität aufgrund stetig schnellerer Taktung der Abläufe werden mit der Digitalisierung weiter steigen. Leerläufe gibt es dadurch immer weniger. Synergien werden genutzt, die auch dazu beitragen die Personaldecke möglichst niedrig zu halten. Ziel ist: noch informierter, vernetzter, noch schneller und effizienter zu arbeiten.

Die Ergebnisse des DGB-Index Gute Arbeit 2016, (Sonderauswertung: Arbeitshetze und Arbeitsintensivierung bei digitaler Arbeit), zeigen in diesem Zusammenhang folgende Probleme auf:

  • Wo in starkem Maße mit digitalen Mitteln gearbeitet wird, ist der Anteil der von Störungen und Unterbrechungen betroffenen Beschäftigten doppelt so hoch wie bei nicht digitaler Arbeit.
  • Hochgradig digitalisierte Arbeit ist für die Beschäftigten derzeit mit einer überdurchschnittlich starken Steigerung der Arbeitsintensität verbunden.
  • Die Mehrbelastung von digital Arbeitenden hängt zu einem beträchtlichen Teil mit der Anforderung zusammen, ständig für den Arbeitgeber erreichbar zu sein.

Psychische Belastungen entstehen auch durch die umfassenden Kontrollmöglichkeiten von digitalisierter Technik, die den Rechtfertigungsdruck von ArbeitnehmerInnen erhöhen, wie z.B. umfassende Ortung von Menschen aber auch von Arbeitsmitteln, dadurch Nachvollziehbarkeit von einzelnen kleinsten Arbeitsschritten; Möglichkeit der Erfassung von Augenbewegungen und Blinzeln. Unsicherheitsgefühl bei Arbeit mit autonomen Maschinen, die durch künstliche Intelligenz gesteuert sind; Möglichkeit Sprache, Bild und Ortung von Menschen gleichzeitig zu erfassen (Head Mounted Displays mit Mikrofonen) usw.

Handlungsfelder im ArbeitnehmerInnenschutz

  • Präzisierung der Evaluierungspflicht psychischer Belastungen (Durchführungsverordnung) in Hinblick auf Digitalisierungs-Herausforderungen im Betrieb, dabei müssen auch alternskritische Faktoren eine Rolle spielen
  • Arbeits- und OrganisationspsychologInnen als dritte gleichwertige Präventivfachkraft zu ArbeitsmedizinerInnen und Sicherheitsfachkräften
  • Verbesserung der arbeitnehmerInnenschutzrechtlichen Absicherung bei ortsungebunder und mobiler Arbeit
  • Verbindlichkeit hinsichtlich der Berücksichtigung der Dimension Arbeitszeit bei der Evaluierung psychischer Belastungen (=> Arbeitszeitaudits)
  • Ausbau von Mitbestimmungs- und Beteiligungsmöglichkeiten

These 3: Bedeutung und Bedarf an Qualifizierung und Weiterbildung wird steigen
Neue Arbeitsanforderungen verändern den Qualifikationsbedarf ständig. Im Zuge der Informatisierung werden die Anteile an und die Gewichtung von IT-Kompetenz steigen. In immer mehr Standard-Prozessen ist IT-Know how gefragt, aber auch soziale und persönliche Kompetenzen (z.B. Teamwork, Kommunikationsfähigkeit, Planungskompetenz) sind in Verbindung mit fachlicher Qualifikation wichtig.

Handlungsfelder im ArbeitnehmerInnenschutz

  • Verstärkte Berücksichtigung und Einbeziehung des Themas „Qualifizierung“ in die Arbeitsplatzevaluierung. (ASchG § 4 Abs. 2: Bei der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren sind auch … die Eignung der ArbeitnehmerInnen im Hinblick auf …Qualifikation zu berücksichtigen). Auch bei der Übertragung von Aufgaben an ArbeitnehmerInnen durch Arbeitgeber ist gemäß ASchG § 6 Abs.1 auf die Qualifikation Rücksicht zu nehmen.
  • Entwicklung von Instrumenten, um die Qualifikation auf betrieblicher Ebene ermitteln zu können, die auf www.eval.at zur Verfügung gestellt werden.

These 4: Gefahr der Rückkehr zu tayloristischen Arbeitsweisen (Taylorismus 4.0)
Historischer Rückblick: Kennzeichnend für den Taylorismus waren die Ansätze der Arbeitsteilung, die Vorgabe von einem Arbeitsweg – der „one best way“ und strikte Zeitvorgaben. Tayloristische Arbeitsweisen waren häufig mit monotonen Tätigkeiten bei der Akkordarbeit zu finden. Das war um 1900. Was mittlerweile arbeitswissenschaftlich fundiert ist, ist die menschengerechte Arbeit. Arbeit muss sich dem Menschen anpassen, nicht umgekehrt. Zu menschengerechten Arbeit gehört:

  1. Ausführbarkeit
  2. Schädigungslosigkeit
  3. Beeinträchtigungsfreiheit (Zumutbarkeit)
  4. Persönlichkeitsförderlichkeit

Durch die Digitalisierung ist die menschengerechte Arbeit in Gefahr, eine Rückkehr zur tayloristischen Arbeitsweise – welche als nicht menschengerecht eingestuft wird – ist möglich.

Arbeitsabläufe folgen eher den Vorgaben der IT (Standardsoftware) und bringen Menschen in Zugzwang. Dadurch besteht die Gefahr, dass Tätigkeiten verengt, Handlungsspielräume überwacht und kontrolliert werden. Zumutbarkeit (IT-Experte/in ist lediglich zur Überwachung der Maschine zuständig, also eine sehr monotone Arbeit die ev. nicht der Ausbildung der Person entspricht), Persönlichkeitsförderlichkeit (aus Fehlern lernen ist nicht mehr möglich, Weiterentwicklung der Kompetenzen ist nicht machbar, die Ironie der Automatisierung – Automatisierte Vorgänge die sich selbst weiter automatisieren können vom Menschen nicht mehr verstanden werden – erwirkt Resignation) und Ausführbarkeit (ergonomisch gestaltete Arbeitsplätze weichen dem Raum- und Platzbedarf der Maschinen, Bildschirme etc.) sind mögliche Rückschritte in der menschengerechten Arbeitsgestaltung.

Aber: Richtung der Digitalisierung ist prinzipiell offen!

Es gibt auch arbeitsorganisatorische Konzepte, die zu einer „Aufwertung von digitaler Arbeit“ führen, die eine lernförderliche Arbeitsgestaltung beinhalten: komplexere abwechslungsreiche Tätigkeiten, höhere Qualifikationsanforderungen, mehr Handlungs- und Entscheidungsspielräume, geringere ergonomische Belastungen und erweiterte räumliche und zeitliche Spielräume (Aufgabenplanung- und -bearbeitung, Arbeitszeit).

Vorteil: Eine lernförderlich gestaltete Arbeit stärkt eher die individuellen Ressourcen der ArbeitnehmerInnen und die Gesundheit. Das bringt auch für Unternehmen Vorteile: Einsatzflexibilität steigt und betriebliche Engpässe können leichter vermieden werden.

Tätigkeiten mit geringer Lernförderlichkeit hingegen reduzieren die Bereitschaft und Fähigkeit zum Lernen, erhöhen die Angst vor Veränderungen, begünstigen eine Blockadehaltung und das Scheitern betrieblicher Innovationsprozesse. Dies gefährdet auch die Arbeitsfähigkeit und behindert ein gesundes Älterwerden in der Arbeit sowie die gute Bewältigung von betrieblichen Veränderungen.


Handlungsfelder im ArbeitnehmerInnenschutz

  • Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz spricht hier eine eindeutige Sprache: „Arbeitsvorgänge sind so zu gestalten, dass …Belastungen durch monotone Arbeitsbedingungen, einseitige Belastung, Belastungen durch taktgebundene Arbeiten und Zeitdruck sowie sonstige psychische Belastungen möglichst gering gehalten und ihre gesundheitsschädigenden Auswirkungen abgeschwächt werden“ (ASchG § 60 Abs.2).
  • Die Themen Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung sollten im Rahmen der österreichischen ArbeitnehmerInnenschutzstrategie aufgegriffen werden, um diesbezüglich zu sensibilisieren, z.B. durch das Aufzeigen von „models of good practice“. Dies ist auch im Zusammenhang mit der demographischen Entwicklung (Stichwort: alternsgerechte Arbeitsgestaltung) ein wichtiges Thema.
  • Arbeitsgestaltung ist eine klassische Aufgabe für Arbeits- und OrganisationspsychologInnen. Sie sind dafür die ExpertInnen. Demgemäß sieht § 82a ASchG je nach Gefährdungs- und Belastungssituation im Betrieb, wie z. B. bei Fragen des Arbeitsrhythmus und der Gestaltung der Arbeitsplätze, eine Beiziehungspflicht von sonstigen geeigneten Fachleuten, insbesondere den Arbeits- und OrganisationspsychologInnen, vor.

These 5: Ergonomische Gestaltung der Mensch - Maschine - Schnittstelle ist wichtiger als je zuvor
Die Arbeit zwischen Menschen, technischen Systemen und Maschinen wird enger. Barrieren (z. B. Schutzzäune) werden seltener. Die kooperative bzw. kollaborative Arbeit mit Robotern nimmt zu. Deshalb sind Fragen der ergonomischen Arbeitsgestaltung wichtiger als je zuvor (steigende Anforderungen an das Sehvermögen, an die psychische Beanspruchung sowie an den Bewegungs- und Stützapparat). Allgemeine ergonomische Schutzziele für Roboterarbeitsplätze wie beispielsweise: "Die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit und das Denken der Person darf durch die Arbeitsumgebung und den kollaborierenden Roboter nicht eingeschränkt oder gestört werden" müssen konkretisiert werden. (Systemergonomische Gestaltung (DGUV.de))

Handlungsfelder im ArbeitnehmerInnenschutz

These 6: Chancen der Digitalisierung überwiegen die Risiken bei Menschen mit Behinderung und chronisch erkrankten ArbeitnehmerInnen
Digitale Technologien können und werden die Inklusion von ArbeitnehmerInnen mit einer Behinderung und einer chronischen Erkrankung verbessern. So z. B. durch den Einsatz von Assistenz- oder Tutorensystemen, durch die Schaffung von Telearbeitsplätzen, durch den Einsatz von gedankengesteuerten Extremitäten usw. Allerdings ist zu erwarten, dass durch die Technologien die Komplexität von Arbeitsprozessen zunimmt und somit die Hürden für die Beschäftigung von einzelnen ArbeitnehmerInnengruppen steigen könnten.

Alle Menschen, auch Menschen mit Behinderung müssen von der digitalen Entwicklung profitieren. Diese bietet gute Chancen auf Teilhabe am Arbeitsmarkt. Das Recht auf Arbeit und der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist nach der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und nach dem Inkrafttreten der Konvention im Jahr 2009 noch immer verbesserungswürdig. Menschen mit Behinderung sind auf dem Arbeitsmarkt oftmals noch starken Benachteiligungen ausgesetzt. Die Digitalisierung darf diesen Status quo auf keinen Fall verstärken, sondern sie muss stattdessen zu Verbesserungen führen.


Beispiel für den Einsatz von digitalisierter Technik bei Menschen mit Behinderung

  • Gedankengesteuerter Arm: Arbeitnehmer verliert bei einem schweren Arbeitsunfall die linke Hand; nach erfolgter REHA und der Anpassung erhält der Arbeitnehmer vorerst eine normale Prothese; um seine Arbeitstätigkeit wieder voll aufzunehmen, dann bekommt der Kollege von der zuständigen Unfallversicherung einen "gedankengesteuerten" Arm angepasst und lernt damit umzugehen; die Kosten sind hoch jedoch völlige "Integration" in den Arbeitsmarkt wieder möglich.

Handlungsfelder im ArbeitnehmerInnenschutz

  • Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung über die Möglichkeiten der Teilhabe am Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung durch digitale Technik.
  • Verstärkte Forschung der AUVA zum Thema Chancen und Risiken für ArbeitnehmerInnen mit Behinderung aufgrund der technologischen Weiterentwicklungen in einer digitalisierten Arbeitswelt
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