Kosten für die Behandlung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten werden auf die Krankenversicherung abgewälzt
Die Senkung des Unfallversicherungsbeitrages (UV-Beitrag) von 1,2 Prozent auf 1,1 Prozent (BGBl I 93/2022 Art 4 Z 2 und 3) ist nur eine Randnotiz in der Anti-Teuerungsdebatte. Dennoch hat sie schwerwiegende Folgen für den Unfallversicherungsschutz und die Krankenversicherung. Gleichzeitig mit der Senkung des UV-Beitrages wurde auch die Ausgleichszahlung der AUVA an die ÖGK für die Behandlung von Arbeitsunfällen neu geregelt (BGBl I 93/2022 Art 4 Z 4). Damit wird die Verantwortung der Arbeitgeber für die Heilbehandlung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten auf die Krankenversicherung abgewälzt.
Hintergrund
In Österreich ereignen sich jährlich rund 160.000 Arbeitsunfälle (vgl. Zeitreihe auf S. 40 des Jahresberichts 2020 der AUVA). Weiters werden jährlich bei rund 1.000 Personen Berufskrankheiten anerkannt. Der Großteil der Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten wird in den 165 allgemeinen Krankenhäusern (von der ÖGK zum großen Teil mitfinanziert) und von Vertragsärzt:innen der ÖGK versorgt. Nur ein kleiner Teil wird in den sieben spezialisierten Unfallkrankenhäusern behandelt. Für den Aufwand der Behandlung der Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten in den allgemeinen Krankenhäusern und bei Vertragsärzt:innen hat die AUVA der ÖGK bis 2019 eine wertgesicherte pauschale Abgeltung bezahlt. Mit dem Sozialversicherungsorganisationsgesetz (SV-OG) wurde 2018 die Valorisierung abgeschafft und mit Wirksamkeit ab 1.1.2023 die gesamte pauschale Abgeltung (2023 inkl. Valorisierung rund 250 Mio. Euro jährlich). Im Zuge des Anti-Teuerungspakets hat sich die Bundesregierung nun neben der Senkung des UV-Beitrages auch auf eine neue Pauschalsumme in Höhe von 140 Mio. Euro geeinigt, die ab 1.1.2023 von der AUVA an die ÖGK zu überweisen ist. Die Summe wurde losgelöst von den tatsächlichen Aufwendungen der ÖGK festgelegt. Nicht berücksichtigt ist etwa, dass Arbeitsunfallopfer jahre-, wenn nicht lebenslange Heilbehandlungen auf Kosten der ÖGK benötigen.
Aufholbedarf in der Unfallversicherung bei Berufskrankheiten
Österreich ist im europäischen Vergleich Schlusslicht bei der Anerkennung von Berufskrankheiten. Die österreichische Liste der Berufskrankheiten ist weitgehend auf dem Stand der männerdominierten Arbeitswelt in der Entstehungsphase des ASVG in den 1950er Jahren. Längst hat die Liste den Anschluss an die vielfältigen Belastungen der leistungsorientierten modernen Arbeitswelt verloren. Österreich hat die Verschiebung der Belastungsstruktur von Arbeitsunfällen hin zu Berufskrankheiten über Jahrzehnte verschlafen. So umfasst die österreichische Liste der Berufskrankheiten 52 Positionen, die deutsche hingegen 82. In Deutschland sind etwa Weißer Hautkrebs, belastungsbedingte Wirbelsäulen-, Hüft- und Knieerkrankungen oder auch das Carpaltunnelsyndrom als Berufskrankheiten anerkannt. In Deutschland wurden 2021 in 123.228 Fällen (inkl. Covid-19) eine Berufskrankheit und 2.172 Todesfälle als Folge einer Berufskrankheit festgestellt. In Österreich werden für 2021 in 6.700 Fällen (inkl. Covid-19) eine Berufskrankheit und in 93 Fällen (Wert aus 2020) Tod infolge einer Berufskrankheit ausgewiesen.
Vor dem Hintergrund des enormen Aufholbedarfs bei der Anerkennung von Berufskrankheiten ist die weitere Senkung des UV-Beitrages das absolut falsche Signal.