Ein Lieferkettengesetz für Gesundheit und Umweltschutz
Dem Schutz vor Gesundheits-und Sicherheitsrisiken bei der Arbeit wird in der Europäischen Union ein äußerst hoher Stellenwert eingeräumt. In den letzten Jahrzehnten nahm die EU bei der Festlegung hoher Standards für Arbeitnehmer*innenschutz sogar eine weltweit führende Rolle ein. So werden zahlreiche, als toxisch oder krebserregende eingestufte Pestizide, verboten oder die Arbeit in der Umgebung derartiger Chemikalien und Wirkstoffe streng reguliert. Darauf abzielende Richtlinien werden laufend aktualisiert und an neue Erkenntnisse der Wissenschaft angepasst. Im Oktober 2020 verabschiedete die EU-Kommission eine neue Chemiestrategie für Nachhaltigkeit, mit dem Ziel, als Teil des europäischen Green Deals, die Chance zu nutzen eine grüne Wende in der Chemieindustrie anzutreiben.
Pestizide im Einsatz in der Landwirtschaft
Während innerhalb der EU derartige Bestimmungen sehr ernst durchgesetzt werden, werden Pestizide und Chemikalien wie z.B. Paramquat und Bromacil, die aufgrund ihrer gesundheits- und umweltschädigenden Wirkung in der EU verboten wurden, in großen Mengen von europäischen Unternehmen in Länder des globalen Südens exportiert – 2018 waren es 80.000 Tonnen. Dort sollen sie für in der Landwirtschaft eingesetzt werden. In den meisten Fällen ohne jegliche Schutzkonzepte die Mitarbeiter*innen. Auch auf Palmölplantagen kommen diese Pestizide zum Einsatz. Auf die Gesundheit der Arbeiter*innen wird dabei kaum geachtet. Sie hantieren vielfach ohne Schutzbekleidung. Die Umwelt leidet aber nicht nur wegen der Pestizide, sondern auch weil riesige Flächen des Regenwaldes gerodet werden, wie z.B. in Indonesien. Palmöl findet sich mittlerweile in fast allen Produkten, von Schokolade und Margarine bis Sonnencreme und Waschmittel.
Auch Bananen sind in Europa mehr als beliebt. Rund 6,5 Mio. Tonnen werden jährlich aus Lateinamerika in die EU eingeführt. Die Plantagen werden per Flugzeug aus der Luft oder direkt von Hand mit Pestiziden und Wirkstoffen besprüht. In vielen Fällen müssen Mitarbeiter*innen kurz nach dem Sprüheinsatz auf den Plantagen weiterarbeiten, in den schlimmsten Fällen dürfen sie die Plantagen während der Einsätze gar nicht verlassen. Wer sich beschwert, riskiert entlassen zu werden. Dies führt dazu, dass die Arbeitnehmer*innen, die aufgrund des hohen Preisdrucks ohnehin zu Hungerlöhnen und unter miserablen Bedingungen dort arbeiten müssen, außerdem ein hohes Risiko in Kauf nehmen an Krebs zu erkranken. Studien belegen außerdem, dass die im Bananenlandbau tätigen Menschen ein vielfach höheres Risiko haben Beschwerden des Magen-Darm-Traktes zu entwickeln. Nicht nur Mitarbeiter*innen sind betroffen, auch im Umfeld der Plantagen wird über eine hohe Rate an Behinderungen, Fehlgeburten und Krebsleiden geklagt. Die verwendeten Pestizide verursachen außerdem dramatische ökologische Auswirkungen. So finden sich Rückstände im Trinkwasser der umliegenden Gemeinden. Die gesundheitsgefährdenden Chemikalien vergiften Wasserorganismen und schädigen Erbgut sowie Ungeborene im Mutterleib. Die Trinkwasserversorgung kann aufgrund dessen dann oft nicht gewährleistet werden und die Versorgung per Tankwagen wird notwendig. Die ansässige Bevölkerung klagt in diesen Fällen häufig über die knappe Bemessung des Wassers, das nicht zum Baden, Waschen und Trinken ausreicht.
Profit auf dem Rücken der Arbeiter*innen
Der Profit, der durch den massiven Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden erzielt wird, kommt aber weder den Mitarbeiter*innen vor Ort noch den Plantagebetreiber*innen zugute. Die Produkte werden in Westeuropa günstig verkauft, die Lebensmittelunternehmen profitieren von den hohen Gewinnmargen, während der soziale und ökologische Schaden in den Anbauregionen außer Acht gelassen wird. Jegliche Bemühungen der Mitarbeiter*innen sich in Gewerkschaften zu organisieren, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, werden rasch zunichtegemacht. Führende Lebensmittelkonzerne beteuern zwar immer wieder, auf verantwortungsbewusste Herstellung zu achten, reden sich schlussendlich aber doch auf die allgemeinen Marktmechanismen aus und unterschreiten teilweise sogar bereits vereinbarte Mindestpreise.
Beispiel Staudammprojekte
Neben dem Lebensmittelhandel kommt es auch bei Staudammprojekten, an denen europäische Unternehmen beteiligt sind, zu Menschenrechtsverletzungen und zur Schädigung der Umwelt. Politik und Wirtschaft versprechen bessere Lebensbedingungen und wirtschaftliches Wachstum. Die Interessen der dort ansässigen Bevölkerung werden aber in den seltensten Fällen berücksichtigt. Während in Europa umfassende Umweltverträglichkeitsprüfungen vor derartigen Großprojekten stattfinden, werden irreversible Umweltschäden in anderen Ländern häufig in Kauf genommen. Tier- und Pflanzenspezies werden teils vollständig ausgerottet, Sümpfe und Wälder überflutet und eine Vielzahl von Menschen entgegen ihren Willen umgesiedelt. Immer wieder kommt es zu verheerenden Unfällen, die zahlreiche Opfer fordern und schwerwiegende Verletzungen verursachen. Entschädigungsforderungen von Angehörigen münden dann oft in jahrzehntelange Rechtsstreitigkeiten. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind in den meisten Fällen unumkehrbar, z.B. wird die Biodiversität der Gewässer nachhaltig gefährdet. Umweltschutzorganisationen warnen seit Jahren vor dem Aussterben von Süßwasserfischen. Die Artenvielfalt in Flüssen und Seen nimmt demnach doppelt so schnell ab, wie jene in den Meeren oder Wäldern. Staudämme und Verschmutzung durch Industrie und Landwirtschaft zählen zu den Hauptursachen.
Europäische Wohlfahrtsgewinne basieren auch auf Exporten, die für den Bau und die Planung derartiger Staudämme unverzichtbar sind. Während soziale und ökologische Auswirkungen deutlich aufgezeigt werden können, ist der ökonomische Nutzen häufig umstritten. Die Kosten für derartige Megaprojekte schnellen rasch in die Höhe, der Erfolg der Projekte ist dabei oft von recht kurzen Regenzeiten abhängig und erreicht in vielen Fällen nicht den versprochenen Nutzen. Klimaprognosen, die künftig mehr Trockenzeiten voraussagen, werden kaum berücksichtigt, was letztlich dazu führt, dass die versprochene Strommenge nie erzeugt wird. Die sozialen und ökologischen Kosten übersteigen folglich vielfach den Nutzen solcher Projekte. Tiefergreifende, insbesondere aber verpflichtende Sorgfaltspflichten könnten zu mehr Sicherheit beim Bau und ordnungsgemäßen Erhalt der Staudämme beitragen und zur Berücksichtigung von sozialen und Umweltaspekten führen. Profit und Wachstum dürfen nicht zu Lasten von Menschenrechtsverletzungen und unumkehrbaren Schäden der Umwelt in Kauf genommen werden. Ein umfassendes Lieferkettengesetz könnte Abhilfe schaffen.
Lieferkettengesetz
Seit einigen Jahren gibt es zwar generelle Bestrebungen und Leitlinien, die Unternehmen dazu anhalten Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferkette zu verankern. Diese haben sich aber nicht als besonders effektiv erwiesen.
Auf EU-Ebene soll 2021 deshalb ein Vorschlag für eine EU-Rechtsvorschrift zu verbindlichen unternehmerischen Sorgfaltspflichten für Menschenrechte und Umwelt entlang der Lieferketten vorgelegt werden. Ein öffentlicher Konsultationsprozess hat bereits stattgefunden: Arbeiterkammer, ÖGB, EGB und weitere Organisationen aus dem Menschenrechts- und Umweltbereich haben daraufhin eine Kampagne gestartet, um EU-Bürger*innen zu animieren, an der EU-Konsultation teilzunehmen – mit Erfolg. Über 145.000 Menschen haben ihre Stimme für ein europaweites Lieferkettengesetz erhoben (Link). Mit dem Ende der Konsultation, wurde die Kampagne auch abgeschlossen. Nun muss die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag liefern.
Lage in den EU-Mitgliedstaaten
Frankreich hat ein solches Gesetz bereits 2017 verabschiedet. In Deutschland liegt seit kurzem ein Gesetzesvorschlag vor und soll demnächst verabschiedet werden. Und in Österreich? Im Regierungsprogramm steht zwar das Bekenntnis zur Stärkung der unternehmerischen Verantwortung für Menschenrechte im Sinne der OECD-Leitsätze – aber keine klare Vorgangsweise. Der Fokus bleibt auf unverbindlichen Instrumenten. Dagegen kämpfen Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft in Österreich seit vielen Jahren. Es braucht verbindliche Regeln. Zu diesem Zweck wurde das Bündnis „Treaty Alliance Österreich“ gegründet, das im Oktober 2020 die Kampagne „Menschenrechte brauchen Gesetze“ gestartet hat (Mehr Infos unter: www.menschenrechtebrauchengesetze.at). Zahlreiche Organisationen, darunter Arbeiterkammer, ÖGB und viele NGOs unterstützen die Kampagne für verbindliche Regeln der Unternehmensverantwortung, damit Kinderarbeit, Zwangsarbeit, die Verfolgung von Gewerkschafter*innen sowie die Gefährdung der Gesundheit und Zerstörung der Umwelt entlang der Lieferketten beendet werden.