Gesunde Arbeit

Freistellung für Bahnbedienstete nach Unfällen hat sich bewährt

2020 wurde das Eisenbahngesetz auf Betreiben von AK und Gewerkschaft dahingehend novelliert, dass Bahnbedienstete, die Zeug:innen eines Unfalls mit Personenschaden werden, unmittelbar nach dem Vorfall für 72 Stunden vom Dienst freigestellt werden und einen Anspruch auf notfallpsychologische Betreuung haben. Diese Regelung hat sich in der Praxis bewährt.
Dass Beschäftigte von Eisenbahnunternehmen 72 Stunden nach einem Unfall oder einem anderen Vorfall mit Verletzten und/oder Toten bezahlt von der Arbeitsleistung freigestellt werden, wurde Ende 2020 in einer Novelle des Eisenbahngesetzes geregelt.
Gerald Trofaier, stv. Vorsitzender des ÖBB-Zentralbetriebsrats, war selber viele Jahre als Lokführer im Einsatz und merkte, dass er nach einem Unfall mit Personenschaden nicht mehr arbeiten konnte und nicht so funktionierte wie sonst.
Bahnbedienstete haben nach einem Unfall Anspruch auf notfallpsychologische Betreuung, erklärt Gerhard Tauchner, der Vorsitzende des Fachbereichs Eisenbahn in der Gewerkschaft vida.
Die Regelung zur Freistellung für Bahnbedienstete nach schweren Unfällen geht auf eine Initiative von Betriebsrät:innen, der Gewerkschaft vida und der Arbeiterkammer zurück, erzählen Gerald Trofaier von den ÖBB und Gregor Lahounik von der Arbeiterkammer.
Dass Beschäftigte von Eisenbahnunternehmen 72 Stunden nach einem Unfall oder einem anderen Vorfall mit Verletzten und/oder Toten bezahlt von der Arbeitsleistung freigestellt werden, wurde Ende 2020 in einer Novelle des Eisenbahngesetzes geregelt.
Gerald Trofaier, stv. Vorsitzender des ÖBB-Zentralbetriebsrats Gerald Trofaier, stv. Vorsitzender des ÖBB-Zentralbetriebsrats, war selber viele Jahre als Lokführer im Einsatz und merkte, dass er nach einem Unfall mit Personenschaden nicht mehr arbeiten konnte und nicht so funktionierte wie sonst.
Gerhard Tauchner, der Vorsitzende des Fachbereichs Eisenbahn in der Gewerkschaft vida Bahnbedienstete haben nach einem Unfall Anspruch auf notfallpsychologische Betreuung, erklärt Gerhard Tauchner, der Vorsitzende des Fachbereichs Eisenbahn in der Gewerkschaft vida.
Gerald Trofaier von den ÖBB und Gregor Lahounik von der Arbeiterkammer Die Regelung zur Freistellung für Bahnbedienstete nach schweren Unfällen geht auf eine Initiative von Betriebsrät:innen, der Gewerkschaft vida und der Arbeiterkammer zurück, erzählen Gerald Trofaier von den ÖBB und Gregor Lahounik von der Arbeiterkammer.

Gerald Trofaier weiß, wovon er spricht. Der heutige stellvertretende Vorsitzende des ÖBB-Zentralbetriebsrats war viele Jahre als Lokführer im Einsatz. Bei einer Fahrt, er war mit einem Doppelstockzug mit 140 km/h unterwegs, sah er, wie eine Frau ihr Baby aus dem Kinderwagen nahm und sich mit dem Kind auf die Schienen stellte. „Stehen bleiben ist da nicht mehr möglich, der Bremsweg wäre zu lange. In so einem Moment bist du als Triebfahrzeugführer nur mehr Passagier.“

Die Frau überlebte schließlich – sie hatte sich zwischen die Schienen gelegt und konnte, zum Glück nur leicht verletzt, geborgen werden. Ob auch das Kind gerettet werden konnte, war für ihn in der Situation allerdings nicht klar. Trofaier fuhr den Zug zum nächsten Bahnhof – ließ sich dort dann aber ablösen. „Ich habe gemerkt, dass ich nicht mehr arbeiten kann, dass ich nicht so funktioniere wie sonst.“

Passiert so etwas heute, werden der oder die betroffene Lokführer:in, aber auch andere Arbeitnehmer:innen, die Zeug:innen eines solchen Unfalls oder Vorfalls werden, wie Zugbegleiter:innen oder Verschieber:innen, sofort von Kolleg:innen abgelöst und für 72 Stunden bezahlt vom Dienst freigestellt. Sie werden zudem umgehend durch ein Hilfesystem betreut. Dabei handelt es sich meist um andere Bahnmitarbeiter:innen, die eine spezielle Schulung erhalten haben, erklärt der Vorsitzende des Fachbereichs Eisenbahn in der Gewerkschaft vida, Gerhard Tauchner. Sie sprechen mit den Kolleg:innen und ziehen psychologische Unterstützung hinzu.


Die Versicherung zahlt die Psychotherapie Eine Psychotherapie steht in der Folge allen Betroffenen zur Verfügung – inzwischen machen auch rund 70 Prozent von diesem Angebot Gebrauch, weiß Trofaier. Die Kosten dafür werden von der BVAEB, der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, übernommen. Manche Kolleg:innen nutzen die Therapie neben der nach 72 Stunden wieder aufgenommenen Arbeit,  bei anderen ist ein Krankenstand unausweichlich, einige benötigen auch einen therapeutischen Kuraufenthalt.

Dass Beschäftigte von Eisenbahnunternehmen 72 Stunden nach einem Unfall oder einem anderen Vorfall mit Verletzten und/oder Toten bezahlt von der Arbeitsleistung freigestellt werden, wurde Ende 2020 in einer Novelle des Eisenbahngesetzes geregelt. Der Anstoß dazu kam allerdings nicht vom Gesetzgeber, sondern von Betriebsrät:innen, der Gewerkschaft vida und der Arbeiterkammer. Sie erarbeiteten gemeinsam die nötigen Gesetzesänderungen, schildert Gregor Lahounik, Experte in der Arbeiterkammer.  

Die Arbeitgeber:innenseite sei zunächst erwartungsgemäß eher auf der Bremse gestanden, wobei auch sie von der Regelung durchaus profitiert. Es steigt die Eisenbahnsicherheit, denn nach traumatischen Erlebnissen kann die Verfassung der Betroffenen jederzeit, völlig unangekündigt, „kippen“. Es sei aber auch die Anzahl und Dauer von Krankenständen gesunken, so Tauchner, denn es habe sich gezeigt: Für viele sei es sogar besser, nach drei Tagen wieder in den Dienst zurückzukehren, als krankgeschrieben zwei Wochen zu Hause zu sein und in Gedanken den Vorfall immer und immer wieder zu rekapitulieren.

Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten: Beschäftigte und Unternehmen. Neben den ÖBB profitieren auch die vielen kleineren Bahnunternehmen. Aktuell bestreiten die ÖBB rund 60 Prozent des Güter- und an die 90 Prozent des Personenverkehrs in Österreich, daneben gibt es einige weitere kleine regionale oder auch größere Player. Die Politik sei daher sehr kooperativ gewesen. „Das ist auch ein schönes Beispiel, dass die Sozialpartnerschaft in Österreich noch gut funktioniert“, so Lahounik.


Kein Kündigungsschutz mehr Für seit 1996 ins Unternehmen eingetretene Beschäftigte gibt es bei den ÖBB keinen Kündigungsschutz mehr, betont Tauchner. Bis Mitte der Neunziger hätten sich Betroffene eher getraut zu sagen: „Ich kann jetzt nicht einfach weiterarbeiten.“ Ohne Kündigungsschutz falle das deutlich schwerer. Obwohl die Bahn ein sicheres Verkehrsmittel ist, komme es doch immer wieder zu Unfällen. Das sind fast ausschließlich Unfälle auf Eisenbahnkreuzungen, meist verursacht durch Pkw-Fahrer:innen, die trotz sich näherndem Zug noch in eine Schienen-Straßen-Kreuzung einfahren. Jährlich gibt es etwas mehr als 100 solcher Kollisionen. Immer wieder hätten sich daher Arbeitnehmer:innen an Betriebsrät:innen mit der Bitte gewandt, hier tätig zu werden.  

Dass das Baby, mit dem sich dessen Mutter auf die Schienen gestellt hatte, überlebte, weil es von der Frau rechtzeitig auf den Boden neben den Gleisen geworfen worden war, erfuhr Trofaier übrigens erst Jahre später durch einen involvierten Rettungsmitarbeiter, den er wieder traf. Kurz nach dem Unfall sei er zu schockiert gewesen, um nachzufragen. „Ich wollte es gar nicht wissen.“

Er ist – wie auch Tauchner und Lahounik – überzeugt, dass auch andere Berufsgruppen von einer 72-Stunden-Pause nach einem solchen Vorfall profitieren würden: Der AK-Experte nennt etwa Arbeitnehmer:innen im Berufsverkehr auf der Straße und am Wasser, der ÖBB-Betriebsratsvorsitzende ergänzt um Beschäftigte bei privaten Sicherheitsdiensten. Denn was die nun seit 2021 geltende Regelung im Bahnbereich zeige: Durch die 72-Stunden-Ruhe-Regelung komme es auch zu weniger posttraumatischen Belastungsstörungen.

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