Gesunde Arbeit

Starke Stimmen vor Ort

Ohne Betriebsrat und Sicherheitsvertrauenspersonen wäre umfassender ArbeitnehmerInnenschutz kaum möglich. Dass die Beschäftigten das nicht immer zu schätzen wissen, macht die Arbeit nicht leichter, ist aber kein ganz neues Phänomen.
Ohne Betriebsrat und Sicherheitsvertrauensper­sonen wäre umfassender ArbeitnehmerInnenschutz kaum möglich.
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Egal ob Brandschutzübung, Überstundenregelung oder Pausengestaltung – immer öfter berichten BetriebsrätInnen, dass ihre ArbeitskollegInnen auf Interventionen oder Hinweise auf das ASchG genervt reagieren. Auch 2011 in der ISW-Betriebsrätebefragung meldeten 42 Prozent der BetriebsrätInnen, dass sich Beschäftigte freiwillig nicht an Schutzbestimmungen halten.

Interessierte Selbstgefährdung lautet die moderne Bezeichnung für das Phänomen, dass Beschäftigte gegen jeden guten Rat ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Dass BelegschaftsvertreterInnen als uncoole ParagrafenreiterInnen empfunden werden und ihr Einsatz für die Gesundheit ein undankbares Geschäft sein kann, ist allerdings kein neues Phänomen. So berichtet etwa der Sozialhistoriker Dietmar Süß von Pfeifkonzerten und großem Unmut gegen den Betriebsrat der bayerischen Maxhütte, als Mitte der 1950er-Jahre ein Alkoholverbot eingeführt werden sollte. Die Arbeiter, die am Arbeitsplatz pro Mann und Monat bis zu 30 Liter Bier tranken, reagierten enttäuscht und wütend, weil der Betriebsrat das Verbot nicht verhindert hatte (Dietmar Süß: Kumpel und Genossen, Arbeiterschaft, Betrieb und Sozialdemokratie in der bayerischen Montanindustrie 1945–1976; R. Oldenbourg Verlag, München 2003).


Vorreiterrolle
1919 war Österreich das erste Land mit einem Betriebsratsgesetz. Seitdem wurde viel erreicht, auch im ArbeitnehmerInnenschutz. Der Rückgang von Arbeitsunfällen und ähnliche Verbesserungen sind unter anderem auf die Arbeit von BelegschaftsvertreterInnen vor Ort zurückzuführen. Auch wenn heute viele Errungenschaften als selbstverständlich betrachtet werden und die angeblich überbordende Bürokratie beklagt wird, die Tatsachen sprechen für die bewährte Praxis. So kommen beispielsweise in der AK Oberösterreich mehr als 80 Prozent der Beschwerden aus Firmen ohne Betriebsrat. Und die Betriebsrätebefragung 2011 zeigte, dass eine stärkere Einbindung des Betriebsrates in Entscheidungen der Geschäftsführung zu einer merklichen Verringerung von Arbeitsbelastungen wie unbezahlte Mehrarbeit, Burn-out etc. führt.

Laut Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) ist es die Aufgabe des Betriebsrates, die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der Beschäftigten zu vertreten. Auf dem Gebiet der Sicherheit und Gesundheit sind die ArbeitgeberInnen verpflichtet – etwa bei der Planung neuer Technologien –, den Betriebsrat rechtzeitig zu informieren, anzuhören und sich mit ihm zu beraten. Zu berücksichtigen bzw. beobachten sind nicht nur mögliche physische, sondern auch psychische Belastungen – durch ungeeignete Arbeitsmittel, Zeitdruck, pöbelnde KundInnen etc.


Duo für mehr Sicherheit
In Betrieben, in denen regelmäßig mehr als zehn ArbeitnehmerInnen beschäftigt sind, ist die Bestellung einer Sicherheitsvertrauensperson (SVP) durch den/die ArbeitgeberIn verpflichtend. Vor der Bestellung ist die Zustimmung des Betriebsrates erforderlich. Gibt es keinen Betriebsrat, kann ein Drittel der Beschäftigten die Bestellung verhindern. Trotz gesetzlicher Verpflichtung sind allerdings in vielen Unternehmen keine SVP bestellt.

SVP informieren, beraten und unterstützen die Beschäftigten und Belegschaftsorgane in Fragen von Sicherheits- und Gesundheitsschutz. Sie achten auf das Vorhandensein und die Anwendung von Schutzmaßnahmen und informieren ArbeitgeberInnen über bestehende Mängel. Die Funktionsperiode beträgt vier Jahre. SVP sind ArbeitnehmervertreterInnen, haben aber weniger Mitwirkungsrechte im ArbeitnehmerInnenschutz als der Betriebsrat.


Aus der Praxis
Manfred Heckmann, SVP bei Manner in Wien-Hernals:
„Als ich vor mehr als fünf Jahren als Sicherheitsvertrauensperson begonnen habe, bin ich durch alle Betriebsräumlichkeiten gegangen, um eventuelle Gefahrenquellen und Sicherheitsmängel zu entdecken. Schließlich hatte ich mehr als hundert Punkte notiert, da musste ich zuerst eine Prioritätenliste machen. Die Firma Manner wurde 1898 gegründet, es ist daher nicht verwunderlich, dass manche Räume sehr niedrig waren. Unser Schnittenschneider war rund 20 Jahre lang hinten offen, sodass man hineingreifen hätte können. Heute kann ich sagen, dass das Thema Sicherheit mit dem Werk gewachsen ist. SVP-Vorschläge werden in der Regel ernsthaft diskutiert, natürlich spielt der Faktor Geld auch eine Rolle. Doch wir haben den Vorteil, dass wir auch Werkstätten haben, einfache Verbesserungen und Reparaturen erledigen daher manchmal auch die hauseigenen Handwerker. Derzeit ist die Arbeitszeit ein großes Thema. Bei 50 bis 60 Grad am Backofen oder in der Nähe eines Kühlgebläses mehr als 10 Stunden zu arbeiten, da kann man keine volle Leistung mehr bringen. Und schließlich sollen die KollegInnen ja nach der Arbeit noch fit genug sein, um gesund nach Hause zu kommen.“

Renate Blauensteiner, Vizepräsidentin der AK Wien und Betriebsratsvorsitzende bei Opel Wien:
„Sicherheit ist ein hohes Gut und auch heute noch arbeiten viele Beschäftigte unter erschwerten Bedingungen. Ich sehe schon ein, dass UnternehmerInnen bzw. Führungskräfte hauptsächlich ihre Zahlen im Kopf haben und jegliche Störung als Geldverschwendung betrachtet wird. Der Betriebsrat ist hier ein unverzichtbarer Gegenpart, um die Interessen der Beschäftigten zu vertreten und sich für faire Arbeitsbedingungen einzusetzen.“

Irene Gerersdorfer, seit 2012 SVP in einer Expositur der Universität für Angewandte Kunst:
„Früher habe ich die unangekündigten Besuche von Sicherheitsvertrauenspersonen als eher unangenehm empfunden, mich überwacht gefühlt und gefragt, ob ich etwas falsch gemacht habe. Daher kündige ich Begehungen – die ich meist gemeinsam mit meiner Kollegin mache – immer an. So können alle Beteiligten Anliegen besser vorbereiten. Manchmal stoße ich auf Widerstände, etwa wenn sich einige Personen bei Feueralarmübungen weigern, das Gebäude zu verlassen. Aber wir haben eben eine spezielle Situation, da es sowohl Studierende als auch Lehrende und Verwaltungspersonal gibt. Andererseits sind meine Kollegin und ich mittlerweile bedeutende Ansprechpartnerinnen beim Thema Sicherheit im weitesten Sinne. Und da finde ich es wichtig, immer genau hinzuhören und hinzuschauen. So hat mir einmal eine Kollegin eher beiläufig erzählt, dass am WC ein Durchlauferhitzer schief hängt. Durch mein rasches Handeln hat sich zum Glück noch rechtzeitig herausgestellt, dass auch das Abgasrohr verschoben und undicht war, also tatsächlich Gefahr bestand.“

Werner Luksch, stv. Vorsitzender Zentralausschuss A1 Telekom:
„Ich bin in unserer Personalvertretung verantwortlich für das Thema Gesundheit. 2011 wurde damit begonnen, ein professionelles betriebliches Gesundheitsmanagement zu etablieren. Heute, nach sechs Jahren und drei MitarbeiterInnen-Befragungen, kann ich behaupten, dass wir es durch einen langen Atem und hartnäckiges Kämpfen geschafft haben, obwohl in fast jeder Besprechung mehrmals der Satz "Das geht bei uns nicht" gefallen ist. Gemeinsam mit unserem Personalvertreter-Projektleiter und unter der Leitung einer Arbeits- und Organisationspsychologin ist es gelungen, ein umfassendes BGM-Konzept zu verwirklichen, das auf drei Säulen basiert: Gesundheitsförderung und Prävention, Early-Intervention-Programm und betriebliche Wiedereingliederung.“

Michael Walczyk, Betriebsratsvorsitzender Rheinmetall/MAN:
„Ich bin stolz auf unsere konzernweite europäische Rahmenvereinbarung über betriebliches Gesundheitsmanagement. Die Initiative dafür ist vom Europäischen Betriebsrat ausgegangen. Wie man sich denken kann, waren und sind die Ausgangsvoraussetzungen und Gesetze an unseren rund 40 Standorten zwischen Norwegen und Spanien sehr unterschiedlich. Es hat ca. vier Jahre gedauert, aber immerhin gibt es jetzt unter anderem für jeden dieser Standorte eine Berichtspflicht und GesundheitskoordinatorInnen wurden installiert. Vom Idealzustand sind wir zwar noch weit entfernt, aber gemeinsam haben wir schon viel erreicht.“

Daten und Fakten
1870
Das Koalitionsverbot wird abgeschafft, Gewerkschaften entstehen, allerdings sind überregionale Zusammenschlüsse nicht erlaubt. In den Betrieben werden Vertrauenspersonen gewählt, die jedoch keinerlei rechtliche Absicherung haben.

1919
Betriebsratsgesetz: Damit erhielt die Arbeit der betrieblichen ArbeitnehmerInnenvertretung erstmals eine rechtliche Grundlage. Die Zeitschrift „Industrie“ prophezeite damals, es werde „jahrzehntelanger Arbeit bedürfen, um diesen gefährlichen Explosivstoff, Betriebsräte genannt, auf ein Mindestmaß von Gefährlichkeit zu reduzieren“.

1920
Arbeiterkammergesetz, 1921 wurden die Arbeiterkammern den Unternehmerkammern im Gesetzgebungsprozess gleichgestellt.

1947
Zwei Jahre nach der Gründung des ÖGB entstand das Betriebsratsgesetz, kurz darauf das Bundesgesetz über die Arbeitsinspektion.

1957
Mutterschutzgesetz

1969
Start der schrittweisen Einführung der 40-Stunden-Woche

1972
Arbeitnehmerschutzgesetz (ASchG); 1994 Anpassung an EU-Recht

1981
Nachtschicht-Schwerarbeitsgesetz

1994
Die Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat bietet erstmals bindende europäische Rechtsgrundlagen für konkrete Mitwirkungsrechte von Beschäftigten in internationalen Konzernen.

2013
Die Evaluierung psychischer Belastungen wird für alle Betriebe verpflichtend.

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