Gesunde Arbeit

Geschlechtergerechte Arbeitskultur

Unterschiede zwischen Männern und Frauen können einerseits biologischer Natur sein – denken wir etwa an unterschiedliche Auswirkungen von gefährlichen Arbeitsstoffen auf die Gesundheit von Männern und Frauen. Unterschiede können andererseits auch sozial konstruiert sein. Was das bedeutet, erläutert Bernd Wimmer, Arbeitssoziologe in der AK Salzburg.
Die Welt von heute braucht eine gerechte Verteilung aller Aufgaben in Beruf und Familie.
Symbolfoto für geschlechtergerechte Arbeitskultur Die Welt von heute braucht eine gerechte Verteilung aller Aufgaben in Beruf und Familie.

Auf Basis von Konventionen, Werten oder Normen werden in Gesellschaften Menschen aufgrund ihrer Geschlechtsmerkmale unterschiedlich behandelt. Sie werden, wie Simone de Beauvoir feststellte, nicht als Frau oder Mann geboren, sondern erst zu Frauen und Männern „gemacht“. Dabei werden klare Vorstellungen von „weiblich“ und „männlich“ etabliert, die als Geschlechterrollen für Orientierung und gesellschaftliche Ordnung sorgen sollen. Das fängt bei der Farbe der Kinderbekleidung (rosa vs. blau) an, geht über Interessen (Küche vs. Auto) bis zur Zuschreibung von Eigenschaften (schwach, einfühlsam vs. stark, rational).

Mann als Versorger, Frau im Haushalt
Die österreichische Arbeitsgesellschaft Mitte des 20. Jahrhunderts baute auf sehr klaren und ausgeprägten Geschlechterrollen auf. Der Mann war als „male breadwinner“ aufgefordert, sich (vollzeitig) um die Erwerbsarbeit zu kümmern und damit die Familie zu ernähren. Die Frau hingegen sollte sich um Haushalt und Kinder, Versorgung und Pflege kümmern – also ihrem Ehemann den Rücken von den Sorgen des Alltags freihalten. Allerdings wurde in diesem Gesellschaftsmodell die Notwendigkeit der Reproduktion der Arbeitskraft noch ausdrücklich mitgedacht, d. h. der Arbeiter muss sich erholen und für den nächsten Tag wieder zu Kräften kommen. Es gab also einerseits die männliche, bezahlte Erwerbsarbeit und andererseits die weibliche, unbezahlte Reproduktionsarbeit.

Grenzen verschwimmen
Heute im 21. Jahrhundert hat sich dieses Bild gewandelt: „Die flexible Arbeitswelt fordert ArbeitnehmerInnen, die ständig erreichbar und immer und überall arbeitsfähig sind. Wir sprechen also von einer ‚entgrenzten Arbeitswelt‘“, so AK-Experte Bernd Wimmer. Der Ort der Arbeit ist flexibel, die Arbeitszeit ist flexibel. Während das alte Leitbild die Reproduktionsarbeit den Frauen zuwies, bleibt das neue Leitbild zwar weiterhin männlich, ruft aber auch Frauen an. Das heißt, dass die flexible Arbeitsgesellschaft den Stellenwert der Erwerbsarbeit weiter steigert, indem sie Männer und Frauen zur Erwerbsarbeit aufruft. Dabei wird die Haus-, Familien- oder Fürsorgearbeit oft vergessen oder marginalisiert. Oder ausgelagert – in Haushalten mit höheren Einkommen übernehmen diese Aufgaben Haushälterinnen, Reinigungskräfte, Tagesmütter oder Betreuerinnen.

Hausarbeit immer noch Frauensache
In den meisten österreichischen Haushalten aber muss die Reproduktionsarbeit nach der Erwerbsarbeit selbst erledigt werden. „Laut Statistik Austria verrichten Herr und Frau Österreicher ab zehn Jahren insgesamt 186,5 Millionen Stunden unbezahlte Arbeit. Dabei entfällt der Großteil – zwei Drittel – auf die Frauen. „Hausarbeit ist in Österreich trotz der veränderten Rollenbilder weiterhin Frauensache“, erklärt Wimmer.

Gerechte Aufteilung ist gefragt
„Was wir brauchen, ist ein Umdenken über gesellschaftlich sinnvolle und notwendige Arbeit und deren Verteilung“, fordert Bernd Wimmer. Klar ist, dass Reproduktionsarbeit notwendig ist, und klar ist auch, dass diese gerecht aufgeteilt werden muss. Nicht nur zur Entlastung der Frauen, sondern auch für die Männer: als Recht, etwa auch an der Erziehung der Kinder teilzuhaben oder sich an der Hausarbeit zu beteiligen. Frigga Haug, eine deutsche Soziologin, denkt mit ihrer „4-in-1-Perspektive“ ganzheitlich und spricht sich für eine Gleichbehandlung der vier Bereiche der Erwerbsarbeit, der Reproduktionsarbeit, der politischen Arbeit und der individuellen Entwicklung aus. Die Zeit abseits des Schlafes soll für jede Person gleichmäßig auf die vier Bereiche verteilt werden.

Wimmer resümiert: „In Zeiten, in denen das Arbeitsvolumen sinkt und die Beschäftigung steigt, sollten wir endlich beginnen, Arbeit ganzheitlich zu denken, und über eine gerechte Verteilung der unterschiedlichen Aufgaben sprechen. Dem entspräche eine geschlechtergerechte Arbeitskultur.“

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