Für den Notfall gerüstet
Auf die Corona-Pandemie waren nur ganz wenige Betriebe solide vorbereitet. Aus Mankos, die jetzt im Umgang mit der Krise zutage treten, können sie lernen, um in Zukunft besser mit Ausnahmesituationen umgehen zu können. Man kann zwar nicht präzise Pläne für alle denkbaren Störungen und Notfälle vorbereiten, aber Risiken eingrenzen und dafür grundlegende Maßnahmen ergreifen. So besteht in jedem Betrieb die Gefahr eines Brandes oder Unfalles. Je nach Art und Lage des Betriebes kommen spezielle Risiken dazu: Unfälle, bei denen gefährliche Chemikalien austreten, Explosionen, Gewalttaten, Naturkatastrophen wie Hochwasser oder Lawinen u. v. m.
Unterschiedlich aufgestellt
Was gibt es in Ihrem Betrieb: Risikoanalyse? Notfallkonzept? Alarmierungspläne? Der Chemiebetrieb, der nach ISO-Normen für Qualitäts- und Risikomanagement zertifiziert ist, hat schon Vorkehrungen für viele Eventualitäten getroffen. Bankangestellte sind geschult, wie sie bei Überfällen, Geiselnahmen oder Bombendrohungen vorgehen sollen. Ihre Rechte, wie z. B. psychologische Nachbetreuung, sind sogar im Kollektivvertrag verankert. Hat sich ein Betrieb für das Sicherheits- und Gesundheitsmanagementsystem der AUVA entschieden, erarbeitet er Anweisungen für Betriebsstörungen, Notfälle, Unfälle und medizinische Akutsituationen. Anders sieht es bei vielen Klein- und Mittelbetrieben aus. Dort sollten wenigstens die rechtlichen Mindestvorgaben zu Fluchtwegen, Brandschutz und Erster Hilfe bekannt sein.
Evaluierung für alle
Aber jede/r ArbeitgeberIn muss sich mehr Gedanken machen, als nur den Wortlaut der Arbeitsstättenverordnung umzusetzen. Das Zauberwort lautet Evaluierung: also Gefahren für den konkreten Betrieb erheben und beurteilen und passende Maßnahmen setzen. Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz sieht außerdem für eine „ernste und unmittelbare Gefahr“ (z. B. Chemie-Unfall, Brand) vor: ArbeitgeberInnen müssen sicherstellen, dass die ArbeitnehmerInnen ihre Arbeit sofort einstellen und flüchten können. Für absehbare Betriebsstörungen müssen Not- und Rettungsmaßnahmen vorbereitet werden. Kleinbetriebe müssen das Rad nicht immer neu erfinden: Die Trafikantin, die sich und ihre Angestellten für Raubüberfälle wappnen will, kann auf Leitfäden von Wirtschaftskammer und Kriminalpolizei zurückgreifen.
Notfallmanagement
Für systematisches Notfallmanagement braucht es eine Risikoanalyse und ein Notfallkonzept. Martin Schmitt erläutert in seinem Buch „Betriebliches Notfallmanagement“, dass man zunächst die betrieblichen Gegebenheiten und mögliche Gefahren erheben muss. Bei der Risikoanalyse bewertet man die Risiken anhand der Eintrittswahrscheinlichkeit und des möglichen Schadensausmaßes. Die Organisation muss dann entscheiden, ob sie ein Risiko, z. B. für Sachschäden, akzeptiert oder ob sie dafür Strategien erarbeitet und Notfallmaßnahmen umsetzt. Für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Belegschaft ist das ein Muss. Entweder das Risiko wird vermieden, indem man z. B. einen gefährlichen durch einen ungefährlichen Arbeitsstoff ersetzt. Oder man vermindert das Risiko, z. B. durch Brandmelder und Löschanlagen für den Brandfall. Im Notfallkonzept müssen Maßnahmen nach dem STOP-Prinzip festgelegt werden, von der Prävention bis zur Reaktion. Zur Prävention: Technische Maßnahmen sind z. B. Warn- und Alarmanlagen. Organisatorische Maßnahmen sind z. B. die Organisation der Ersten Hilfe und ein Alarmierungsplan, der festlegt, wer wen wie im Notfall informiert. Auch die Aufbau- und Ablauforganisation muss festgelegt werden: Ist eine Person NotfallmanagerIn, der/die im Akutfall beurteilt und entscheidet? Wen muss er/sie dabei beteiligen? Gibt es einen Krisenstab? Wer gehört diesem an? Auf der persönlichen Ebene der ArbeitnehmerInnen braucht es Unterweisungen und Ausbildungen, z. B. zum/zur ErsthelferIn. Regelmäßige Notfallübungen dienen dem Verinnerlichen. Tritt ein Notfall ein, wird reagiert: z. B. durch Evakuierung und Zusammenarbeit mit externen Stellen wie Feuerwehr und Behörden. Für besondere psychische Belastungen, z. B. nach schrecklichen Unfällen, empfiehlt sich ein Prozedere samt psychologischer Nachbetreuung. Notfallpläne müssen im Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument hinterlegt, regelmäßig überprüft und angepasst werden.
Organisation der Ersten Hilfe
In jedem Betrieb muss die Erste Hilfe klar organisiert sein. Ein Beispiel: Ein Arbeiter hat sich die Hand in der Maschine eingequetscht, verliert viel Blut und schreit vor Schmerzen. Wer alarmiert jetzt wie die ErsthelferInnen? Wer verständigt die Rettung? Sollen wir dem Portier am Eingang zum Werksgelände Bescheid geben? Wer weist die Rettung ein? Jetzt muss die Führungskraft unter Zeitdruck Entscheidungen treffen. Sie kann nicht „weiter oben“ nachfragen: „Was soll ich jetzt tun?“ Gerald Göd hat jahrelange Erfahrung im Rettungswesen. Nun teilt er als Sicherheitsfachkraft sein Fachwissen zur Notfallplanung: „Jeder Notfall ist anders. Es müssen einmal grundlegende Abläufe für die Erste Hilfe im Betrieb festgelegt werden. Was dann im Detail noch zu tun ist, ist von Situation zu Situation verschieden. Es bleibt ein Teil schneller Entscheidungen. Die Person, die in der Situation die Führung übernimmt, muss auch eigenverantwortlich entscheiden können – und auch dürfen!“ Nach Göds Erfahrung spielt die Unternehmenskultur dabei eine große Rolle. „Je eigenverantwortlicher ein Mitarbeiter sonst agiert, desto leichter tut er sich im Notfall zu entscheiden. Herrscht eine Kultur sehr strikter Vorgaben, kann es zu Überforderung kommen.“ Den Faktor Mensch darf man ohnehin nicht unterschätzen. „Bei einem Unfall ist es oft besser, wenn die unmittelbar Betroffenen nur den ersten Alarm auslösen, aber nicht weitere Entscheidungen treffen müssen. Sie sind vielleicht persönlich stark betroffen (‚Ich bin am Unfall schuld!‘) und nicht mehr voll einsatzfähig. Eine Person mit mehr Distanz tut sich leichter, den Notfall zu bewältigen“, so Göd.