Gesunde Arbeit

In die Knie gehen oder arbeiten nach dem Goldilocks-Prinzip1

Wissenschaftlichen Quellen zufolge werden Knieprobleme in den nächsten zehn Jahren stark zunehmen. Ein Forschungsbericht aus den Niederlanden zeigt auf, dass Erkrankungen des Bewegungsapparats 2025 mit Abstand die häufigsten sein werden – ein Problem, welches nur interdisziplinär lösbar ist.
Langes Hinknien – eine nicht zu unterschätzende Belastung für das Knie.
Arbeiter pflastert Straße Langes Hinknien – eine nicht zu unterschätzende Belastung für das Knie.

In Österreich berichtet die Statistik Austria Ähnliches. 2015 gaben 19,3 Prozent der über 15-Jährigen an, aus gesundheitlichen Gründen beeinträchtigt zu sein. Rund eine Million Personen davon (entspricht 14,1 Prozent) nannten Probleme mit ihrer Beweglichkeit. Neben Erkrankungen des Rückens ist die Kniearthrose eine der häufigsten Ursachen dafür – Tendenz steigend! Im Gegensatz zu früher werden die PatientInnen immer jünger – betroffen sind also zunehmend Personen, die noch lange im Berufsleben stehen werden.

Kniearthrose ist vor allem eine Erkrankung der Knorpel und Knochen. Die Ursachen sind vielfältig, aber es lassen sich Tendenzen erkennen:

  • Unterbelastung
  • Übergewicht
  • Überbelastung
  • Sporttraumen

Was nicht benützt wird, wird abgebaut
„Wer rastet, der rostet!“ gilt für das Kniegelenk ganz besonders. Mangelnde Bewegung führt dazu, dass die Knochen poröser werden, die Knorpelschichten verknöchern und weniger elastisch werden, die Faszien verkleben, die Muskulatur verkümmert. Die Beweglichkeit nimmt insgesamt ab, wodurch sich auch der Stoffwechsel im ganzen Körper ändert. Das Immunsystem kann nicht optimal funktionieren, auch die Psyche leidet mit.

Wir Menschen sind nun mal nicht dafür gemacht, Stunden, Wochen oder gar Jahre sitzend zu verbringen. Dennoch sitzt der moderne Mensch sehr viel, angefangen vom Kindersitz über die Schulbank bis hin zum Büro- und Fernsehsessel. Was nicht benützt wird, wird langfristig abgebaut – eine Grundregel in der Natur, der wir aber bewusst durch Bewegung gegensteuern können.


Der Bauch ist im Weg
Ein weiterer wichtiger Faktor für das Entstehen der Kniearthrose ist Übergewicht, vor allem das Bauchfett spielt eine entscheidende Rolle. Einerseits entsteht durch eine Veränderung in der Statik eine höhere Druckbelastung im Kniegelenk, andererseits verursachen im Bauchfett entstandene Botenstoffe Entzündungen. Das Taille-Hüft-Verhältnis („Waist-to-Hip-Ratio“) ist ein wichtiger, aussagekräftiger Indikator, ob man zu viel Bauchfett hat.

Überbelastung – zu viel des Guten
In vielen Berufen ist das Hinknien eine Haupthaltung, die über längere Zeit eingenommen werden muss, z. B. bei FliesenlegerInnen, StraßenbauarbeiterInnen und GärtnerInnen. Dauerhafte Überlastung führt früher oder später zu Knorpelschädigungen. Laut einer Studie des University Medical Center (UMC) in Amsterdam ließ sich nach Bereinigung der Daten bezüglich Alter, Geschlecht, BMI und Trauma feststellen, dass die Wahrscheinlichkeit, Arthrose zu bekommen, durch tägliches, langes Knien (mehr als vier Stunden) auf 84 Prozent steigt (Twintig jaar op je knieën, Paul Kuijer, UMC Amsterdam, Medisch Contact, November 2019).

Was passiert beim Knien?

  • Bei maximaler Beugung wird die Kontaktfläche der beiden Gelenkfortsätze des Oberschenkelknochens an den hinteren Rand des Tibiaplateaus bewegt, welches oben auf dem Schienbein liegt. Dies geht mit einer erheblichen Instabilität einher.
  • Je stärker die Beugung ist, desto mehr entspannen die Seitenbänder, wodurch im geringen Maß Verschiebungen möglich sind. Dadurch können wiederum Band- und Knorpelverletzungen entstehen.
  • Parallel dazu gleitet die Kniescheibe während der Beugung in ihrem Gleitlager bis zu etwa sechs Zentimeter nach unten und kann sich nicht oder nur sehr schwer (gegen den Widerstand) bewegen. Außerdem wird die bessere Hebelwirkung für die Muskulatur außer Kraft gesetzt.
  • Die Gelenksschmiere (Synovialflüssigkeit) wird aus den stark belasteten Knorpelflächen gedrückt. Ähnliches passiert bei den Schleimbeuteln und dem Hoffa-Fettkörper. Sie können den Druck und die Zugbelastungen nicht mehr gut abpuffern.
  • Die Fläche, auf der gekniet wird, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Belastung des Knies. Durch das Knien auf hartem, kaltem Boden wird die Synovialflüssigkeit zähflüssiger, die Knorpelflächen können nicht mehr gut ernährt werden und Schleimbeutel und der Hoffa-Fettkörper entzünden sich schneller.

Die Wahl der Arbeitsschuhe ist bedeutend: Schutzkappen und unflexible Schuhsohlen verursachen eine noch stärkere Belastung des Kniegelenks (spitzerer Winkel beim Knien), aber auch Stöckelschuhe sind für Fuß und Knie eine enorme zusätzliche Belastung.

Der Kniearthrose den Kampf ansagen
Um das Risiko einer Kniearthrose zu minimieren, können folgende Maßnahmen getroffen werden:

  • Die ArbeitnehmerInnen durch die Arbeitsplatz- und Gebäudegestaltung zu Bewegung und Abwechslung animieren und dabei unterstützen; Setzen von „Nudges“ (Beim Nudging (engl. „nudging“ für Anstoßen oder Stupsen) bewegt man jemanden auf mehr oder weniger subtile Weise dazu, etwas Bestimmtes zu tun oder zu lassen. Ein Beispiel wären Fußabdrücke am Boden, die zur Stiege statt zum Aufzug führen).
  • In der Arbeitsorganisation: zwischen knienden und anderen Tätigkeiten abwechseln, z. B. nicht einen ganzen Tag lang nur Koffer in den Flugzeugraum laden, sondern auch den Transportwagen bedienen
  • Aufwärmen vor der Belastung, um dem Knorpel mit Synovialflüssigkeit zu versorgen
  • Hilfsmittel verwenden, keine bzw. weniger und kürzere Endpositionen im Gelenk einnehmen
  • Gut passende, stabile, dämpfende Sicherheitsschuhe, eventuell Änderung von Schutzkappen entwickeln
  • Entwicklung von wirklich ergonomischen Knie-/Schienbeinschonern
  • Kniewärmer (wie im Sport) einsetzen oder auch Arbeitshosen neu gestalten
  • Sensibilisierung für die Risikofaktoren (Bildgebung, Gespräch, BMI, HWR-Knie-Schwerpunktprogramme in der BGF)
  • Reduzierung des Übergewichtes
  • Physiotherapie/Fitness – Stabilisierung durch Trainieren der Muskulatur
  • Radfahren und Schwimmen sind ideale Sportarten, um gesund wieder eine bessere Beweglichkeit zu erlangen
  • In der Norm und Gesetzgebung Grenzwerte für Größe und Gewicht von Fliesen und Straßensteinen festlegen

Das Problem „arbeitsbezogene Kniearthrose“ kann man nur interdisziplinär lösen. Gehen wir es gemeinsam an!

1 Goldilocks ist ein Mädchen, das in einem Märchen das Haus von drei Bären besucht und nur die Sachen benutzt, die genau richtig sind: Das Bett ist nicht zu groß und nicht zu klein, der Brei ist nicht zu warm oder zu kalt usw.

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