Gesunde Arbeit

Gesunde Vielfalt

Nicht nur in Großkonzernen werden die Belegschaften zunehmend bunter. Diese Vielfalt bietet Chancen, erfordert aber auch Achtsamkeit, um allen Gruppen sicheres und gesundes Arbeiten zu ermöglichen.
Nicht nur in Großkonzernen werden die Belegschaften zunehmend bunter.
Supermarktkassiererin – ein typisch weiblicher Beruf?
Gesunde Vielfalt: Belegschaften werden zunehmend bunter. Nicht nur in Großkonzernen werden die Belegschaften zunehmend bunter.
Supermarktkassiererin – ein typisch weiblicher Beruf? Supermarktkassiererin – ein typisch weiblicher Beruf?

Frauen sind harmoniebedürftig, Inder können gut programmieren und homosexuelle Männer interessieren sich für Mode – solche und ähnliche Bilder haben viele Menschen im Kopf. Derartige Stereotype können nicht nur das Arbeitsklima, sondern auch die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten gefährden. Zum Beispiel wenn Führungskräfte, BelegschaftsvertreterInnen oder Beauftragte die Ressourcen und Bedürfnisse der diversen Beschäftigungsgruppen zu wenig berücksichtigen, wenn Unterweisungen für MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund nicht ausreichend verständlich sind. Oder wenn bei der Evaluierung psychischer Belastungen etwa die AußendienstmitarbeiterInnen kaum einbezogen werden.

Diversität, also Vielfalt bzw. Unterschiedlichkeit, stellt auch für den ArbeitnehmerInnenschutz eine Herausforderung dar. Längst nicht mehr ist der typische weiße Durchschnittsmann mit deutscher Muttersprache das Maß aller Dinge. Zielgruppengerechte Maßnahmen und Methoden sind auch im ArbeitnehmerInnenschutz und in der betrieblichen Gesundheitsförderung unerlässlich. Diversity Management bedeutet die Anerkennung von unterschiedlichen Personengruppen und deren Perspektiven, Werten, Normen und Interessen. Und es gilt zu bedenken, wie Ressourcen und Belastungen zwischen den Gruppen verteilt sind.

Alter, Geschlecht (Gender), ethnische (nationale) Herkunft, Religion (Weltanschauung), sexuelle Orientierung sowie Behinderung bzw. Beeinträchtigung sind die sechs Kerndimensionen von Diversity/Diversität. Zusätzlich gibt es noch unterschiedliche sekundäre Dimensionen: Elternschaft, Wohnort, Bildung, Einkommen, Schichtarbeit, Freiwilligentätigkeit etc.


Typisch Frau, typisch Mann?
Gesetze und Vorschriften wurden im Laufe der Jahre immer geschlechtsneutraler, aktuell gibt es kaum noch frauenspezifische Schutzbestimmungen. Doch geschlechtsneutral bedeutet nicht automatisch auch geschlechtergerecht.

  • Oft thematisiert, aber nach wie vor aktuell: Für Kinderbetreuung und die Pflege von Angehörigen sind hauptsächlich Frauen verantwortlich. Das bringt in der Regel zusätzlichen Stress und Zeitdruck. Diese „unternehmensfremden“ Belastungen sollten nicht außen vor gelassen werden.
  • Lange Zeit wurde die Beanspruchung durch repetitive Tätigkeiten wie bei Supermarktkassiererinnen unterschätzt, während etwa die Arbeit am Bau allgemein als schwer und anstrengend wahrgenommen wird.
  • Häufig haben Männer und Frauen zwar dieselbe Berufsbezeichnung, doch die Tätigkeiten werden geschlechtstypisch zugeteilt. Wenn Frauen in Männerberufen arbeiten und umgekehrt, wird oft der typisch weibliche/männliche Teil dieser Tätigkeit betont, zum Beispiel sehen sich Polizistinnen dann eher als Sozialarbeiterinnen bzw. werden von den KollegInnen so gesehen.
  • Auch die Rollenbilder von KundInnen sind ein Faktor. So untersuchte Antonia Wenzl in ihrer Masterarbeit „Genderaspekte in der Gefahrenevaluierung am Arbeitsplatz nach § 4 ASchG“ die geschlechtsspezifischen Auswirkungen der geschlechtsneutral normierten Arbeitsplatzevaluierung: Es stellte sich heraus, dass etwa im Handel Männer weniger belastet sind als Frauen, weil ihnen mehr Respekt entgegengebracht wird. Dies nicht zuletzt, weil häufig vermutet wird, dass der Mann eine Führungsposition hat. Hingegen sind männliche Krankenpfleger und Kindergartenpädagogen mit dem Vorurteil konfrontiert, homosexuell oder pädophil zu sein.

Unbeachtet und unterbezahlt
Reinigungskräfte verrichten ihre Arbeit eher im Hintergrund. Ist das nicht der Fall, werden sie meist eher als störend wahrgenommen. In diesem Bereich arbeiten zu knapp 80 Prozent Frauen. Selbst hier gibt es typisch männliche und typisch weibliche Tätigkeiten: Fassadenreinigung, der Umgang mit Reinigungsmaschinen sowie die Grobreinigung (Dachböden, Keller) sind eher Männerdomänen. Frauen sind überwiegend für die tägliche Reinigung, das Nachfüllen von Handtuch- und Seifenspendern oder die Sanitärreinigung zuständig – all das meist unter erheblichem Zeitdruck. Nicht zuletzt deshalb haben weibliche Beschäftigte dann oft ganz andere Probleme als ihre Kollegen:

  • Arbeitsmittel und -vorgänge entsprechen nicht immer den ergonomischen Anforderungen. Feuchtarbeit, Schnitt- und Stichverletzungen beim Entleeren von Behältern, Einklemmen, Ausrutschen etc. sind typische Gefahren, die vor allem Frauen betreffen und wenig beachtet werden.
  • Belastungen und Erkrankungen werden oft nicht auf den Arbeitsplatz zurückgeführt, u. a. weil viele dieser Tätigkeiten auch zu Hause ausgeübt werden.
  • Allgemein haben Reinigungskräfte nur geringe Einflussmöglichkeit auf ArbeitnehmerInnenschutz-Entscheidungen im Betrieb. Die ArbeitsmedizinerInnen sind für sie meist nur schwer erreichbar. Die Unterweisung ist oft unverständlich, Nachfragen kaum möglich.

Ressourcen und Risiken
Weiblich, mit Kinderbetreuungspflichten und Migrationshintergrund, schlecht bezahlt und in Teilzeit (außerhalb der Bürozeiten) tätig – hier sind gleich mehrere „Diversity-Risikofaktoren“ vereint. Zu beachten ist dies nicht nur beim ArbeitnehmerInnenschutz, sondern auch bei Aktivitäten der betrieblichen Gesundheitsförderung. Es gilt, die richtigen Fragen zu stellen: Welche Belastungen entstehen durch Migration und Fremdsein, durch körperliche Einschränkungen u. Ä.? Welche Regelungen, Strukturen, Verfahren führen zur Benachteiligung einer bestimmten Gruppe? Wie können Stereotypisierungen und Zuschreibungen vermieden werden? Welche Maßnahmen sind möglich, um Nachteile auszugleichen? Können tatsächlich alle Beschäftigten an geplanten Maßnahmen, Workshops etc. teilnehmen?

Eigene BGF-Projekte für spezielle Zielgruppen sind naturgemäß eher für größere Unternehmen machbar, aber es ist in jedem Fall sinnvoll, die jeweils unterschiedlichen Bedürfnisse und Zugänge zu bedenken. Entscheidend sei immer auch die entsprechende Vermittlung, betont Julia Steurer, GD-Expertin im Zentral-Arbeitsinspektorat: „Eine erste wichtige Erkenntnis aus unserer GD-Schwerpunkt-Aktion ist, dass Änderungen nur gut durchzusetzen sind, wenn der Sinn dahinter allen Beteiligten klar ist.“


Gender- und Diversity-Check
Wirksam ist gender- und diversitygerechter ArbeitnehmerInnenschutz immer dann, wenn Gender- und Diversity-Aspekte systematisch in allen Phasen und allen betrieblichen Bereichen und Hierarchien einbezogen sind. Wie bei der Arbeitsplatzevaluierung sollten sämtliche Maßnahmen immer wieder auf ihre Aktualität überprüft und angepasst werden.

Um Belastungen tatsächlich für alle Teile der Belegschaft so weit wie möglich zu reduzieren und Ressourcen zu stärken, ist Kontinuität erforderlich. Es reicht nicht, die Gender-Beauftragte in einen Workshop zu schicken und danach in Diversity-Beauftragte umzubenennen. Auch in unregelmäßigen Abständen vereinzelte „Leuchtturmprojekte“ abzufeiern wird keine nachhaltigen Erfolge bringen. Vor allem sämtliche Führungskräfte müssen entsprechend geschult sein und voll hinter den Diversity-Maßnahmen stehen.


Aus der Praxis 1 – Good Practice
Alternsgerecht betrifft nicht nur Ältere: Jugendliche können sich im Körperbau stark unterscheiden. Das sollte bei der Ausstattung des Arbeitsplatzes und bei der persönlichen Schutzausrüstung berücksichtigt werden. Apropos PSA: Es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie man Lehrlinge und junge ArbeitnehmerInnen am besten anspricht, damit diese die „uncoole Schutzausrüstung“ auch tatsächlich verwenden.

Arbeitsplatzbezogene Rückenschule: Damit wird vermieden, dass Beschäftigte mit ganz unterschiedlichen Beanspruchungen, Zeitressourcen und Fitnesslevels dieselben Kurse besuchen müssen. Stattdessen werden die theoretischen Inhalte so weit als möglich einheitlich vermittelt, spezielle Themen und praktische Inhalte aber an jedem Arbeitsplatz mit den betreffenden Beschäftigten erarbeitet.

Training statt Theorie: Schriftliche Unterlagen und Vorträge sind sicher sinnvoll, aber selbst ausprobieren toppt jede Theorie und minimiert das Risiko von Verständigungsproblemen. Warum also nicht gemeinsam und vor Ort üben, welche Haltung beim Ein-und Aussteigen aus dem Lkw empfohlen wird oder wie man schwere Lasten hebt?


Aus der Praxis 2 – Wichtiger Faktor für psychische Gesundheit
Heterogene Teams sind kreativer, die Beschäftigten können voneinander lernen und profitieren. „G&D-Sensibilität als Ressource für die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz wird kaum thematisiert“, weiß die Psychologin Samira Baig. „In Einzelgesprächen taucht das Thema Diversität etwa in Form von Alltagsdiskriminierungen immer wieder auf, als Anliegen in einem Unternehmen aber kaum.“ Selbst als ausgewiesene G&D-Expertin habe sie in ihrer Funktion als Arbeits- und Organisationspsychologin noch nie einen derartigen Auftrag erhalten. „Auch in der psychologischen Gesundheitsprävention wird dieser Bereich wenig beachtet.“ Daher wäre es wichtig, so Baig, „G&D-Themen institutionell zu etablieren – in der Ausbildung von ArbeitspsychologInnen und in den Evaluationsverfahren“.

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