Berufskrankheitenrecht ist diskriminierend
Ein Report des Europäischen Gewerkschaftsinstitutes (ETUI) aus dem Jahr 2011 hat Statistiken und die Anerkennungspraxis von Berufskrankheiten aus mehreren europäischen Ländern analysiert. Die Anerkennungszahlen bei Frauen liegen stets klar unter jenen der Männer. Selbst dann, wenn mehr weibliche Beschäftigte einen Verdacht auf eine Berufskrankheit gemeldet haben, lag deren Anerkennungsrate klar hinter jenen der Männer zurück.
Wie kann das sein?
In Österreich enthält das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) eine Liste mit 53 Krankheiten, für welche die Anerkennung als Berufskrankheit möglich ist. Hier ist der kausale Zusammenhang zwischen ausgeübter Tätigkeit und gesundheitlicher Folge für den Gesetzgeber hinreichend gegeben. Wird eine Berufskrankheit anerkannt, erhält die betroffene Person Unterstützungen im Rahmen der Heilbehandlung, der Rehabilitation und etwaiger Sozialleistungen. Im Jahr 2016 wurden laut Statistik der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) 1.181 Berufskrankheiten anerkannt. Lediglich 14 Prozent der Betroffenen waren Frauen. Dies bedeutet leider keineswegs, dass Frauen am Arbeitsplatz weniger Gesundheitsgefahren ausgesetzt sind.
Berufskrankheiten versus moderne Arbeitswelt
Das Berufskrankheitensystem ist traditionell stark am männlichen Industriearbeiter ausgerichtet. Jahrzehntelang haben Forschung, Judikatur und die Unfallversicherungsträger sich auf diese Gruppe fokussiert. Inzwischen hat sich die Arbeitswelt gewandelt, auch die Erwerbsbeteiligung der Frauen ist deutlich gestiegen. Die Belastungen der modernen Arbeitswelt, insbesondere jene der weiblichen Beschäftigten, finden jedoch im Berufskrankheitensystem kaum Berücksichtigung. Die Folgen körperlicher und psychischer Belastungen aus dem Gesundheits- und Sozialbereich, den Dienstleistungsberufen, dem Handel usw. können im bestehenden Rechtssystem nicht anerkannt werden. Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates oder der Psyche sind multikausal. Dies bedeutet, dass es mehrere Ursachen für die Erkrankung geben kann. Eine ausschließliche Rückführung auf eine bestimmte berufliche Belastung ist kaum möglich. Die Logik des Berufskrankheitenrechts baut jedoch genau darauf auf. Die Auslöser einer Erkrankung müssen eindeutig der Arbeit zuordenbar sein. Somit sind genau jene gesundheitlichen Probleme, an welchen Frauen aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit häufig leiden, von der Anerkennung grundsätzlich ausgeschlossen. Auf diese Weise wirkt das bestehende Berufskrankheitenrecht besonders für Frauen diskriminierend.