Sicherheit am Arbeitsplatz: Schutz vor sexueller Belästigung stärken!
27 Prozent der Frauen sagen laut Statistik Austria, sie haben sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt. Sicherheit am Arbeitsplatz heißt auch Schutz vor sexueller Belästigung.
Um sexuelle Belästigung zu bekämpfen bzw. zu beseitigen, bedarf es weiterer Anstrengungen. Arbeitgeber:innen sind besonders in die Pflicht zu nehmen. Sie müssen ihre Fürsorgepflicht stärker als bisher wahrnehmen und Arbeitnehmer:innen vor Übergriffen schützen. Es braucht in jedem Fall das klare Signal der Unternehmensleitung, dass sexuelle Belästigung nicht toleriert wird.
Doch eine aktuelle Auswertung der Beratungs- und Vertretungsfälle der Arbeiterkammer Wien deutet darauf hin, dass zu viele Arbeitgeber ihre Verpflichtung zur Schaffung einer sicheren Arbeitsumgebung nicht ausreichend nachkommen.
#MeToo in der arbeitsrechtlichen Beratung
Die #MeToo-Bewegung hat einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung und Sensibilisierung weltweit im Kampf gegen sexuelle Belästigung geleistet. Die Debatte hat viele Betroffene dazu ermutigt Vorfälle aufzuzeigen. Seit der #MeToo-Bewegung ist auch ein Anstieg der Beratungen in der Arbeiterkammer zu bemerken. Sowohl Betroffene als auch deren Kolleg:innen und Betriebsräte zogen Erkundigungen zu diesem Thema ein bzw. suchten Vertretung und Beratung in konkreten Fällen.
Ziel der Aktenanalyse in der AK Wien war es, die Vorfälle, ihre Folgen für die Betroffenen, die Branchen und die rechtlichen Durchsetzungschancen besser einordnen zu können.
Analysiert wurden abgeschlossene Beratungs- und Vertretungsfälle aus den Jahren 2017 bis 2022. Insgesamt wurden 39 abgeschlossene gerichtliche Vertretungsakten (33 zugrunde liegende Fälle; 6 Fälle mit 2 Streitgegnern) und 115 ohne Gerichtsverfahren abgeschlossene Beratungsfälle ausgewertet.
Klare Gesetzeslage bei sexuellen Übergriffen: Streng verboten!
Sexuelle Belästigung ist ein Angriff auf die Menschenwürde. Sie ist häufig ein Ausdruck der Machtverhältnisse und betrifft vorwiegend Frauen. Das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) im Arbeitsleben definiert sexuelle Belästigung als „ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten, das die Würde einer Person beeinträchtigt oder dies bezweckt und für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist (…) sexuelle Belästigung liegt vor, wenn dieses Verhalten vom Arbeitgeber, einem Kollegen oder einem Dritten (z. B. einem Kunden) an den Tag gelegt wird oder wenn der Arbeitgeber es schuldhaft unterlässt, eine angemessene Abhilfe zu schaffen.“
Damit sagt der Gesetzgeber klar: Sexuelle Belästigung ist u. a., was als solche empfunden wird und für die betroffene Person unerwünscht ist. Das kann ein „freundschaftlicher“ Klaps sein, eine zweideutige Anspielung oder eine echte handgreifliche Attacke. Arbeitgeber:innen haben im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht für Abhilfe zu sorgen, auch dann, wenn Übergriffe durch Kunden geschehen.
Ein Abschieben der Verantwortung auf die betroffenen Frauen ist klar unzulässig. Es gibt kein Verhalten, dass das Opfer setzt, das sexuelle Belästigung oder Übergriffe rechtfertigt.
Beispiele für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz:
- Poster von Pin-Ups im Arbeitsbereich (auch am Computer), pornografische Bilder am Arbeitsplatz
- anzügliche Witze, Hinterherpfeifen, anzügliche Bemerkungen über Figur oder sexuelles Verhalten im Privatleben
- eindeutige verbale sexuelle Äußerungen
- unerwünschte Einladungen mit eindeutiger (benannter) Absicht
- Telefongespräche, E-Mails, SMS- oder WhatsAPP Nachrichten mit sexuellen Anspielungen
- Versprechen von beruflichen Vorteilen bei sexuellem Entgegenkommen, Androhen von beruflichen Nachteilen bei sexueller Verweigerung
- zufällige/gezielte körperliche Berührungen
- Aufforderung zu sexuellen Handlungen
Fälle vor Gericht: meist erfolgen Belästigungen von Anfang an
- 32 von 33 Fällen betrafen Frauen
- Die Betroffenen waren unterschiedlichen Alters, von 16 bis 60 Jahre.
- 14 betrafen das Hotel- und Gastgewerbe.
- Die Belästigungen erfolgten zumeist von Anfang an.
- Nur zwei Arbeitsverhältnisse wurden nicht beendet. Die Beendigungen erfolgten zumeist durch den Arbeitgeber.
- In der Hälfte der Fälle folgte auf die Belästigung ein (längerer) Krankenstand.
- Nur vereinzelt erfolgten Abhilfemaßnahmen gegen den Belästiger.
- In 80 Prozent der Fälle wurde die Leistung eines Schadenersatzes erreicht. In 68 Prozent der erfolgreich abgeschlossenen Fälle wurde der Schadenersatz in geforderter Höhe erreicht. Allerdings: Bei Forderungen über 2.500 Euro wurde der geforderte Schadenersatz nur in 33 Prozent der Fälle erreicht
- Knapp 30 Prozent der Akten wurden durch Urteil entschieden: 75 Prozent Erfolgsquote
- Nur ein Urteil sprach Schadenersatz über 2.500 Euro zu.
Zumeist besteht das Problem von Anfang des Arbeitsverhältnisses an. Die Frauen nehmen aber aufgrund wirtschaftlichen Drucks an sich unerträgliche Arbeitsbedingungen und Übergriffe oft lange hin. Erst stieg dieser Druck infolge der Corona-Krise. Jetzt ist es die Teuerung. Eine Betroffene aus der Gastronomie gab etwa an, dass sie die Übergriffe so lange hingenommen hatte, weil sie das Weihnachtsgeld dringend gebraucht habe und dessen Auszahlung erst abwarten wollte.
Fälle in der arbeitsrechtlichen Beratung: Hälfte der Arbeitgeber tut nichts
- 91 Prozent der Fälle betrafen Frauen.
- 13 Prozent der Betroffenen waren 19 Jahre oder jünger.
- 21 Prozent der Fälle betrafen das Gastgewerbe, 10 Prozent den Handel, 5 Prozent das Metallgewerbe.
- Die Belästigungen erfolgten auch hier zumeist von Anfang an.
- Knapp die Hälfte der Beratenen befanden sich im aufrechten Arbeitsverhältnis.
- Knapp die Hälfte der Beratenen meldete Vorfälle Arbeitgeber:in oder Betriebsrat.
- In der Hälfte der Meldefälle erfolgte keine Reaktion der Arbeitgeber:innen gegenüber dem Belästiger.
- Die Hälfte der Beratenen wandte sich wegen Belästigung an die AK, ein Viertel wegen sonstiger arbeitsrechtlicher Ansprüche, ein Viertel wegen beidem.
- 71 Prozent der Arbeitsverhältnisse wurden beendet, die Hälfte der Beendigungen erfolgte im Zusammengang mit der der Belästigung.
- Knapp ein Fünftel der Beratenen befanden sich nach der Belästigung im Krankenstand.
- Bei außergerichtlichen Vergleichen vor Klagserhebung lag der Schadenersatz in 71 Prozent der Fälle über 2.400 Euro.
Gastronomie und Tourismus zeigen sich einmal mehr als Problembranche was die Arbeitsbedingungen betrifft. Die Arbeitgeber:innen verlangen von ihren Mitarbeiter:innen einerseits eine hohe Leistungsbereitschaft, sind aber selbst in diesem wie auch in anderen Bereichen wenig professionell. Auch der Handel hat Handlungsbedarf.
Arbeitgeber kommen völlig unzureichend ihrer Fürsorgepflicht nach
Viele Arbeitgeber:innen verschließen noch immer ihre Augen und wollen sich mit dem Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nicht befassen. Ihre Verantwortung für Prävention und Abhilfe nehmen sie noch immer unzureichend wahr: Sie negieren Vorfälle, kehren diese unter den Teppich und ergreifen nicht ausreichende Schutzmaßnahmen.
Beispiel: Wirtin deckt ihren Lebensgefährten
Ein Extrembeispiel dafür, dass Arbeitgeber:innen ihrer Fürsorgepflicht nicht nachkommen und stattdessen den Täter schützen ist dieser Fall: Eine Kellnerin mit Inkasso wird von ihrem Vorgesetzten, der gleichzeitig Lebensgefährte der Arbeitgeberin ist, belästigt. Die Arbeitnehmerin ist von besagtem Vorgesetzten immer wieder als „Schlampe“ beschimpft worden und er hat ihr wiederholt auf Gesäß und Oberschenkel gegriffen. Als die Arbeitnehmerin der Chefin die Belästigung meldete, meinte die Arbeitgeberin nur, dass sie noch jung sei und lernen müsse, mit diesem Verhalten umzugehen.
Beispiel: Neuer Chef bleibt, Mitarbeiterin wird versetzt
Eine Arbeitnehmerin war im Vertrieb tätig und wurde nach einem Sabbatical von einem neuen Vor-gesetzten sexuell belästigt. Unter anderem wurde die Arbeitnehmerin ständig angestarrt, folgende Kommentare fielen ebenfalls: "Leider bist du für mich nicht greifbar!", oder "Wir brauchen hier jemanden, der gut blasen kann!" Nachdem die Arbeitnehmerin sich an die Personalabteilung wandte, wurde der Belästiger für drei Tage suspendiert und die Arbeitnehmerin wurde dann in ein anderes Team versetzt. Sie arbeitete aber weiterhin im selben Großraumbüro wie der Belästiger.
Schadenersatz zu gering, aber hohe Erfolgsquote
Die Aktenanalyse zeigt, dass Belästigungen in bestimmten Branchen eher Teil der Normalität als die Ausnahme sind, und ein Teil der betroffenen Frauen hat mit erheblichen gesundheitlichen Folgewirkungen zu kämpfen. Zudem nehmen Arbeitgeber:innen ihre Verantwortung für Prävention und Abhilfe noch immer völlig unzureichend wahr. Die Gerichte sprechen nach wie vor sehr zurückhaltend Schadenersatz zu, nur in einem Fall über 2.500 Euro. Wenn Arbeitnehmer:innen Schadenersatz einfordern ist die Erfolgsquote mit 80 Prozent allerdings überraschend hoch.
AK Service: Arbeitsrechtliche Hilfe und Telefonberatung Act4Respect
Die AK berät Arbeitnehmer:innen, die von sexuellen Übergriffen im Job betroffen sind, gerne und vertritt sie im Fall des Falles auch vor Gericht.
Neben der arbeitsrechtlichen Beratung bietet die AK in Zusammenarbeit mit dem Verein sprungbrett eine Telefonberatung für Betroffene von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz an, wenn Betroffene ihre Erlebnisse erst einmal einordnen und darüber reden wollen - vertraulich, kostenlos (ortsüblicher Telefontarif) und auf Wunsch anonym.
Act4Respect, 0670 600 70 80, Montag 11 bis 14 Uhr, Donnerstag 16 bis 19 Uhr.
Die AK fordert
Um sexuelle Belästigung zu bekämpfen bzw. zu beseitigen, bedarf es weiterer Anstrengungen. Arbeitgeber:innen sind besonders in die Pflicht zu nehmen. Sie müssen ihre Fürsorgepflicht stärker als bisher wahrnehmen und Arbeitnehmer:innen vor Übergriffen schützen. Es braucht in jedem Fall das klare Signal der Unternehmensleitung, dass sexuelle Belästigung nicht toleriert wird.
Besonders wichtig ist die Präventionsarbeit: Es braucht eine klare gesetzliche Verankerung der Verantwortlichkeit von Arbeitgeber:innen für Sensibilisierungs- und Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Auf betrieblicher Ebene sollten durch Betriebsvereinbarungen oder interne Leitlinien Signale zum Umgang mit Gewalt am Arbeitsplatz gesetzt werden und ein respektvolles Arbeitsklima als Aufgabe von Führungskräften in jedem Unternehmen verankert werden.
Bei fehlendem Präventionskonzept: mindestens 5.000 Euro Schadenersatz
- Gesetzliche Sanktionen müssen dort greifen, wo die Probleme entstehen - am Arbeitsplatz. Arbeitgeber müssen daher zu vorbeugenden Maßnahmen motiviert werden. Wenn Arbeitgeber kein nachweisbares Präventionskonzept haben – je nach Betriebsgröße: verpflichtende Ausbildung von Führungskräften, Schaffung einer eigens beauftragten Person zur Prävention im Betrieb, Einrichtung einer Beschwerdestelle – fordert die AK daher im Falle einer Belästigung einen Schadenersatz vom Arbeitgeber für Betroffene in der Höhe von mindestens 5.000 Euro.
- Arbeitgeberinteressensvertretungen sind aufgefordert, entsprechende Schulungsmaßnahmen für ihre Mitglieder anzubieten und zu finanzieren. Eine erste Orientierung für Arbeitgeber bietet die Broschüre der Gleichbehandlungsanwaltschaft zu Abhilfemaßnahmen.
Verbesserungen für die Betroffenen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses und im Prozess
- Auf gesetzlicher Ebene ist außerdem ein Anspruch auf ideellen Schadenersatz bei einer Kündigungsanfechtung nach dem Gleichbehandlungsgesetz zu verankern.
- Zudem ist klarzustellen, dass auch bei einem berechtigten vorzeitigen Austritt wegen sexueller Belästigung eine Beendigungsdiskriminierung vorliegt und die Arbeitnehmer:innen Anspruch auf materiellen und immateriellen Schadenersatz haben
- Prozesskostenersatz: Anfechtungen wegen diskriminierender Beendigung müssen ebenso wie Anfechtungen wegen Sozialwidrigkeit frei von Kostenersatzpflichten sein.
- Die Frist zur Geltendmachung der geschlechtsbezogenen Belästigung sollte auf drei Jahre ausgedehnt werden.
- Die Gleichbehandlungskommission ist ein wichtiges Instrument im Bereich der Gleichbehandlung. Die Verfahren dauern allerdings noch immer viel zu lang. Eine Ausstattung der Gleichbehandlungskommission mit den notwendigen Ressourcen ist unumgänglich, damit es zu einer substanziellen Beschleunigung überhaupt kommen kann.
Mehr Geld für Gewaltschutz
- Gewalt gibt es am Arbeitsplatz, oft aber auch in der Familie. Hier braucht es einen Ausbau von Gewaltschutzeinrichtungen und Beratungsstellen aller Unterstützungsangebote für Frauen durch eine angemessene Finanzierung von Gewaltschutz und -prävention: Wir schließen uns daher der Allianz „Gewaltfrei leben“ an und fordern mindestens 228 Millionen Euro zusätzlich für Gewaltschutz!
- Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und Gewalt in Partnerschaft und Familie machen krank. Daher fordert die AK mehr Kassenplätze für Psychotherapie.
- Österreich soll das ILO-Übereinkommen zum Schutz von Arbeitnehmer:innen vor Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt umsetzen und ratifizieren. Das sieht u. a. vor, dass Arbeitgeber:innen ein Präventionskonzept gegen sexuelle Belästigung haben müssen. Im März hat AK-Präsidentin Renate Anderl Arbeitsminister Martin Kocher aufgefordert, die Lücken in der österreichischen Rechtsnorm zu schließen und das ILO-Übereinkommen zu ratifizieren. Hier ist das Arbeitsministerium nach wie vor säumig.
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