„Gute Arbeitsbedingungen: Das ist die DNA der Gewerkschaftsbewegung!“
Die Gewerkschaft fordert ein gutes Leben für alle. Welche Rolle spielen dabei die Arbeitsbedingungen der Menschen?
Sie spielen eine wesentliche Rolle, aber nicht die wichtigste. Arbeit soll nicht Fron oder Last allein sein, sondern ein möglichst sinnstiftender, wichtiger Teil des Lebens. Wir leben nicht, um zu arbeiten, wir arbeiten, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Arbeit soll dazu beitragen, dass wir ein gutes Leben führen können. Darum geht es ja auch in den Kollektivvertragsverhandlungen, in denen die Gewerkschaften für faire Arbeitsbedingungen sorgen, für angemessene Bezahlung und für Rahmenbedingungen, damit die Arbeit nicht krank macht. Das ist in der DNA der Gewerkschaften fest verankert.
Welche Faktoren beeinflussen gute Arbeit?
Da gibt es eine ganze Menge: Es geht nicht nur um die Bezahlung, sondern um das Umfeld, um die Ausgestaltung des Arbeitsplatzes. Und natürlich um die Organisation – passen die Rahmenbedingungen, damit ich meine Arbeit gerne verrichte? Sorgt der Arbeitgeber dafür, dass ich an meinem Arbeitsplatz ausreichend geschützt bin vor Lärm, vor Kälte oder vor Hitze? Achtet mein Arbeitgeber darauf, dass ich immer alle Informationen bekomme? Habe ich ausreichend Kolleginnen und Kollegen, die mich unterstützen? Bekomme ich Anweisungen, wenn ich sie brauche, gibt es Lob und ist die Kritik, wenn etwas danebengeht, wertschätzend? Natürlich muss alles dafür getan werden, damit die körperlichen Belastungen abgefedert werden können, damit physisch anstrengende Tätigkeiten nicht krank machen. Hier sind Prävention und die ständige Evaluierung der Arbeitsbedingungen extrem wichtig. Eine nicht minder große Rolle spielt aber die psychische Gesundheit: Alle Statistiken beweisen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer stärker unter Druck geraten. Das hat nicht erst mit dem Ausbruch der Coronapandemie begonnen, sich seitdem aber noch deutlich verschärft.
Es gibt also eine ganze Reihe von Schrauben, an denen gedreht werden muss.
Welche Instrumente sieht der ÖGB als zentral an, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern?
Neben den bereits erwähnten Präventionsmaßnahmen geht es uns vor allem um Arbeitszeitverkürzung. Kaum eine Belastung, egal ob körperlich oder psychisch, die nicht gemildert werden kann durch kürzere Arbeitszeiten und damit verbunden längere Erholungsphasen. In diesem Sinne bleibt die Forderung nach einer Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich ganz oben auf unserer Agenda. Der Personalausgleich ist deswegen wichtig, weil es ja nicht sein kann, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die gleiche Arbeit in kürzerer Zeit erledigen sollen. Das wäre kontraproduktiv, weil es sowohl das Verletzungsrisiko als auch den psychischen Druck steigern würde.
Wenn man sich die Branchen ansieht, welcher Eindruck ergibt sich da hinsichtlich guter Arbeitsbedingungen?
Das lässt sich nicht so pauschal beantworten, obwohl sich eines durch alle Branchen zieht: Ausreichend Personal wäre wichtig. Am Beispiel der Gesundheits- und Krankenpflege sehen wir, wozu die Personalknappheit im Worst Case führt – die Herausforderungen werden, nicht zuletzt wegen der COVID-19-Pandemie und natürlich aufgrund der demografischen Entwicklung, immer heftiger. Viele Beschäftigte geben ihre Jobs auf, weil sie ausgebrannt sind. Die Arbeit wird aber nicht weniger, im Gegenteil, sie muss von weniger Kolleginnen und Kollegen erledigt werden, das ist ein richtiger Teufelskreis. Hier geht es nicht nur darum, mehr Menschen auszubilden, sondern auch um die entsprechenden Personalschlüssel, sprich darum, ausreichend Beschäftigte einzustellen.
Gibt es konkrete Beispiele für Unternehmen, die in dieser Hinsicht alles richtig machen?
Ich glaube, einzelne Namen zu nennen, macht nicht viel Sinn, ob alle immer alles richtig machen, ist eine schwierige Frage. Meiner langjährigen Erfahrung nach funktioniert es jedoch überall dort gut, wo die Geschäftsleitung ernsthaft an der Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter interessiert ist und sich gemeinsam mit dem Betriebsrat um die bestmöglichen Angebote und Maßnahmen im Bereich Prävention, Gesundheitsförderung und Wiedereingliederung kümmert. Die zweite Zutat beim Erfolgsrezept ist auch immer die richtige Mischung zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention. Letzteres kommt unseren Beobachtungen zufolge leider immer wieder zu kurz. Es reicht nicht, wenn ein Arbeitgeber beispielsweise einmal wöchentlich einen Obstkorb zur Verfügung stellt, gleichzeitig aber zuschaut, wie ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin ins Burn-out schlittert, weil er dessen Hilferufe vernachlässigt oder das Arbeitspensum für alle erhöht.
Was sind die Herausforderungen für gute Arbeit in der Zukunft?
Wir befinden uns gerade in multiplen Krisen, und das macht sich auch für unsere Arbeit jetzt und in Zukunft bemerkbar, ob es die Digitalisierung, die Klimakrise, die Pandemie, die Globalisierung oder die Energiekrise ist. Für eine gute Arbeit in der Zukunft müssen wir alle diese Herausforderungen im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestalten. Da gibt es auch nicht das eine Patentrezept für alle und alles. Das wird ein kontinuierlicher Prozess werden, der alle unsere Kraft braucht. Aber um einen ehemaligen Kollegen von mir zu zitieren: Wir kämpfen weiter, wir lassen nicht nach!