Gesunde Arbeit

Arbeitsgegenstand Mensch: Die Psyche als Arbeitsmittel

Der Arbeitsgegenstand in der Dienstleistung ist immer der Mensch, der sozialen, psychischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt.
Die Psyche ist heute und in Zukunft das vorwiegende Arbeitsmittel der Beschäftigten. Emotionen spielen bei der Erfüllung der Arbeitsaufträge daher eine bedeutende Rolle.
ArbeitnehmerInnen im Dienstleistungssektor müssen häufig tatsächliche Gefühle unterdrücken und geforderte Gefühle – wie z. B. Freude – darstellen, spielen oder im Extremfall sogar vortäuschen.
Frau dreimal: neutral, lächelnd und wütend, Symbolbild Die Psyche ist heute und in Zukunft das vorwiegende Arbeitsmittel der Beschäftigten. Emotionen spielen bei der Erfüllung der Arbeitsaufträge daher eine bedeutende Rolle.
Verkäuferin in Bäckerei, lächelnd ArbeitnehmerInnen im Dienstleistungssektor müssen häufig tatsächliche Gefühle unterdrücken und geforderte Gefühle – wie z. B. Freude – darstellen, spielen oder im Extremfall sogar vortäuschen.

Im Jahr 2019 waren im Jahresdurchschnitt 2,06 Millionen Menschen (71 Prozent der Erwerbstätigen) im Dienstleistungssektor beschäftigt. Er ist der mit Abstand größte Wirtschaftssektor in Österreich.

Die überwiegende Arbeitsform wird arbeitspsychologisch als dialogisch-interaktive Dienstleistungsarbeit bezeichnet. Dialogisch betont die sprachliche Einflussnahme auf die psychische Verhaltensregulation von u. a. KundInnen, KlientInnen, PatientInnen. Der Zusatz interaktiv ergänzt die nicht-sprachlichen Anteile und das wechselseitige Aufeinanderwirken zur Verhaltensabstimmung.


Arbeitsgegenstand Mensch
Der Arbeitsgegenstand dieser Arbeitsform ist immer der Mensch, der sozialen, psychischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Damit unterscheidet sich die Dienstleistungsarbeit grundsätzlich von Arbeitstätigkeiten in der industriellen Produktion, die auf das Verändern von Objekten bzw. technologischen Prozessen gerichtet sind.

In der Regel erfolgt Dienstleistungsarbeit in einer Form der Interaktionsarbeit zwischen DienstleisterIn (AktorIn) und DienstleistungsnehmerIn (KlientIn). Diese Interaktionsarbeit ist durch das „Uno-actu-Prinzip“ gekennzeichnet. Das bedeutet, dass der Konsum einer Dienstleistung und deren Erstellung in ein und demselben Moment erfolgt. Dabei handelt es sich um eine soziale Interaktion, in der die Handlung des Dienstleisters/der Dienstleisterin eine Reaktion/Handlung des Klienten/der Klientin erzeugt, die wiederum eine Reaktion/Handlung des Dienstleisters/der Dienstleisterin hervorruft. Dabei muss er/sie entsprechend den Inhalten und Zielen der geforderten Dienstleistung die Bedürfnisse, sozialen und individuellen, gesundheitlichen, wirtschaftlichen Ressourcen sowie das mentale Modell (vereinfacht: Wirklichkeitswahrnehmung, Situationsmodell, Lösungsstrategien) des Klienten/der Klientin wahrnehmen. Das klingt einfach, ist in der Praxis jedoch oft ziemlich mühsam, zeit- und kommunikationsintensiv und in vielen Fällen emotional und psychisch sehr beanspruchend.


Die Funktion von Emotionen
Emotionen spielen bei der Erfüllung der Arbeitsaufträge eine bedeutende Rolle. So kann der/die DienstleisterIn mit seiner/ihrer erlebten bzw. gezeigten Emotionalität das mentale Modell des Klienten/der Klientin beeinflussen. Nach Hacker (2009) sind dabei zwei Arten zu unterscheiden:

  1. Emotionsarbeit: „Weil der Arbeitsgegenstand ein Mensch ist und mit ihm ein Dienstleistungsvertrag besteht, muss er tatsächliche Gefühle unterdrücken – wie Wut oder Ekel – und nicht erlebte, aber geforderte, regelgerechte Gefühle – wie Empathie und Freude – darstellen, spielen und im Extremfall vortäuschen. Das wird als Emotionsarbeit (Emotionsmanagement) bezeichnet und ist nach gesellschaftlichen organisatorischen Regeln zu leisten.“
  2. Gefühlsarbeit: „Der/die DienstleisterIn muss auf Gefühle, beispielsweise Befürchtungen, Ängste oder Langeweile, des Klienten/der Klientin Einfluss nehmen, um seine/ihre Interaktionen und Ziele gemäß seines/ihres Arbeitsauftrages zu erreichen. Er/sie muss Gefühlsarbeit leisten.“

Dienstleistungsarbeit und die Psyche als primäres Arbeitsmittel
Die Psyche ist heute und in Zukunft das vorwiegende Arbeitsmittel der Beschäftigten. Welche Anforderungen dieses Arbeitsmittel erfüllen muss, ist sehr gut aus Stellenanzeigen und bei Bewerbungsgesprächen sowie bei neu entstehenden Berufen zu sehen. Nationale und internationale Studien zeigen, dass die Anzahl der Beschäftigten in den Sozialberufen, Gesundheitsberufen und in anderen komplexen Dienstleistungsbereichen wie IT-Dienste, Unternehmens-, Rechts- und Steuerberatung drastisch ansteigen wird. Vor allem „kognitive Nicht-Routine-Tätigkeiten“ werden zunehmen. Die Digitalisierung führt dazu, dass komplexe kognitive, mentale und soziale Anforderungen steigen werden.

Dienstleistungsarbeit während der Corona-Krise
Im Verlauf der Corona-Krise wurde die Systemrelevanz vieler Dienstleistungsberufe mehr als deutlich. Vor allem in den Gesundheitsberufen und den damit korrespondierenden Berufen wurden die Beschäftigten an ihre Leistungsgrenzen gebracht, teilweise überfordert und über längere Zeit übermäßig beansprucht. Dementsprechend ist es höchste Zeit, sich mit der Komplexität dienstleistungsbezogener Tätigkeiten eingehender zu befassen, um die Arbeitsbedingungen gesundheits- und persönlichkeitsförderlich zu gestalten und adäquat zu entlohnen.

Die Beschäftigten waren mit einer Situation konfrontiert, die ein diffuses mentales Modell bezüglich der Bedrohung durch das Virus erzeugte. Die daraus entstehenden Unsicherheiten, Unklarheiten, Ängste und Sorgen erforderten ein überdurchschnittlich hohes Maß an emotionaler Arbeit und Gefühlsarbeit und strapazierten auch die eigene Emotionsregulierung überdurchschnittlich.

Weitere Probleme waren und sind die unterbrochene bzw. verminderte Interaktion durch Geschäftsschließungen, Maskentragen und Abstandsregeln sowie die intensiv genutzte digitale Kommunikation. Vor allem diese Kommunikationsform hat gezeigt, wie wichtig die Qualität der Hardware, der Software sowie die Gestaltung der Kommunikations- und Entscheidungsabläufe ist, damit die psychische Beanspruchung so gering wie möglich gehalten wird und der soziale Charakter von Arbeit nicht verloren geht (Stichwort: Isolation).


Fazit
Die Beschäftigtenzahl im Dienstleistungssektor wird weiterhin ansteigen. Körperliche (teils schwere) Arbeit wird zwar weiterhin bestehen, jedoch wird das Arbeitsmittel Psyche für die Qualität und den Erfolg ausschlaggebend sein. Die Gesetzmäßigkeiten und die Funktionsweise des Arbeitsmittels Psyche sind unabdingbar in den Mittelpunkt von ArbeitnehmerInnenschutz, Arbeitsgestaltung und Arbeitsorganisation zu stellen. Künstliche Intelligenz wird die komplexen Leistungen und Qualitäten der menschlichen Psyche nie ersetzen können.

Buchtipp:
Arbeitsgegenstand Mensch: Psychologie dialogisch-interaktiver Erwerbsarbeit

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