Gesunde Arbeit

„Eine gute Arbeitsumwelt ist entscheidend!“

Paul Jiménez ist Arbeits- und Organisationspsychologe an der Universität Graz. Gesunde Arbeit sprach mit ihm über die Ursachen und Folgen des stetig zunehmenden Arbeitsdrucks. Er sagt: „Wir müssen gemeinsam mit den Arbeitnehmer:innen Wege finden, um die Arbeitsumgebung zu verbessern.“
Paul Jiménez: „Arbeitsdruck kann zu Burn-out, einer schleichenden Erschöpfung, aber auch zu Rückzug und Motivationsverlust führen.“
„Es wäre gut, wenn ein Unternehmen rechtzeitig die Arbeitsbedingungen prüft und ein Klima aufweist, in dem alle offen sprechen können, um Lösungen zu finden.“
Paul Jiménez Paul Jiménez: „Arbeitsdruck kann zu Burn-out, einer schleichenden Erschöpfung, aber auch zu Rückzug und Motivationsverlust führen.“
Paul Jiménez „Es wäre gut, wenn ein Unternehmen rechtzeitig die Arbeitsbedingungen prüft und ein Klima aufweist, in dem alle offen sprechen können, um Lösungen zu finden.“

Arbeitsdruck ist in aller Munde – was versteht man eigentlich darunter?
Wir wissen, dass Arbeit, in der man seine Kompetenz zeigen kann, durchaus „schwierig“ sein darf, wenn sie uns viel „zurückgibt“. Aber immer dann, wenn ich schon ängstlich überlege, wo ich die Energie herbekomme, um mit den Anforderungen zurechtzukommen, dann stimmt etwas nicht. Es geht immer um Belastungen, die von außen auf den Menschen einwirken. In der modernen Arbeitspsychologie wissen wir sehr klar, dass es nicht um die Suche nach besonders belastbaren Menschen geht, sondern um eine gute Arbeitsumwelt. Daher hat die Arbeitspsychologie Wege und Methoden gefunden, diese Grenzen für die Psyche festzustellen und mit den Menschen Wege zu finden, die Arbeitsumgebung zu verbessern.

Welche arbeitsbedingten Ursachen sind hierfür verantwortlich?
Wir unterscheiden in der Arbeits- und Organisationspsychologie vier Bereiche: die Arbeitsumgebung, das Sozial- und Organisationsklima, die Arbeitsorganisation sowie die Arbeitsaufgaben und Tätigkeiten. Aus all diesen Bereichen können spezielle Anforderungen an die Arbeitnehmer:innen kommen. Das ändert sich auch in der heutigen, digitalen Zeit, nicht sehr, d. h. wir finden die Auslöser für Belastung auch im digitalen Zeitalter in diesen Bereichen. Aber es kommt zu Verschiebungen, z. B. sind die Arbeitsumgebungs-Aspekte immer mehr im Hintergrund: Also Lärm von Geräten kann meist gut eingedämmt werden, Geräte können schallisoliert werden, es gibt gute Schutzausrüstungen. Aber Themen wie das soziale Miteinander werden viel wichtiger. Die Kommunikation ist z. B. bei Online-Besprechungen immer noch nicht ideal, hier müssen wir noch lernen. Andere Themen wandeln sich stärker auch durch das psychische „Wachsen“ der Menschen. Arbeitnehmer:innen wollen ernst genommen, als mündig behandelt werden. Es ist z. B. belastend, wenn die Arbeitsschritte ganz detailliert vorgegeben werden, wenn man doch selbst denken und planen kann. Wir hören immer wieder, dass Beschäftigten sehr kurzfristig ihre Arbeitszeit mitgeteilt wird und sie z. B. nicht wissen, wann sie in der nächsten Woche arbeiten sollen. In dem Fall wird dann seitens der Arbeitgeber:innen argumentiert, dass dies aufgrund des Arbeitskräftemangels passiert. Das ist oft richtig, nur benötigt es dann andere, langfristige Lösungen. Auch wenn solche Vorgaben innerhalb des gesetzlichen Rahmens sind, kann es für die Psyche grenzwertig werden und Menschen belasten. Letztlich schadet dies dann ja auch den Betrieben.

Wer ist von Arbeitsdruck besonders betroffen?
Zunächst sind jene Menschen von Arbeitsdruck betroffen, wenn, wie gerade beschrieben, ein grundsätzlicher Mangel an Beschäftigten vorherrscht. Dann erleben viele Menschen – gerade in sehr personalintensiven Bereichen wie der Pflege –, dass jeder Handgriff wichtig ist und dass ein Ausfall sehr kritisch wäre. Wenn dann noch die Gewissenhaftigkeit und die Kollegialität unter den Kolleg:innen hoch ist, dann wird es „schwierig“. Vielfach kann man dann von diesen Arbeitnehmer:innen hören, dass es ihnen um mehr geht: Natürlich ist zunächst eine faire Entlohnung wichtig. Aber ebenso wichtig sind auch Respekt und Wertschätzung, die leider oft fehlen. Wir erleben daher gerade jetzt, dass viele Menschen dann einen solchen Arbeitsplatz verlassen. Das ist aus Sicht der Betroffenen der richtige – weil gesündere – Weg. Denn es sollte nicht dazu kommen, dass Menschen erschöpft werden.

Welche Folgen hat Arbeitsdruck für Arbeitnehmer:innen und Betriebe?
Es kann zu sehr schwerwiegenden Folgen kommen: Burn-out wird immer alltäglicher. Arbeitsdruck kann zu einer schleichenden Erschöpfung führen und auch zu Rückzug und Motivationsverlust. Auch das ist eine Strategie, die für die einzelnen Menschen Sinn ergibt, um sich zu schützen. Langfristig ist das aber weder für die Arbeitnehmer:innen noch den Betrieb gut. Es wäre gut, wenn ein Unternehmen rechtzeitig die Arbeitsbedingungen prüft und ein Klima aufweist, in dem alle offen sprechen können, um Lösungen zu finden. Oft unterschätzen Betriebe das Potenzial, den Willen und die Motivation der Beschäftigten „mitzudenken“. Das berühmte „Wir“ ist viel öfter da als vermutet. Manche Studien schreiben davon, dass immer mehr Menschen sich zurückziehen. In unseren Studien sehen wir, dass bis zu 80 Prozent und mehr der Arbeitnehmer:innen mit vollem Engagement bei der Sache sind, wenn das Umfeld sie auch wertschätzend wahrnimmt.

Welche Rolle spielen hier die Führungskräfte?
Führungskräfte sind immens wichtig. Das wissen sie auch und die allermeisten bemühen sich sehr, ihre Mittlerrolle gut auszufüllen. Wir untersuchen Führung unter dem Blick der „Gesundheitsförderlichen Führung“ schon seit sehr Langem. Wir konnten erkennen, dass es folgende acht Punkte sind, auf die Führungskräfte einen Einfluss haben:

  • Arbeitsorganisation
  • Anerkennung
  • Handlungsspielraum
  • Gerechtigkeitserleben
  • Gemeinschaft
  • Wertvorstellungen
  • Verlässlichkeit
  • Gesundheitsbewusstsein

Beschäftigte erleben sehr sensibel, wie eine Führungskraft hier die Arbeitsumgebung gestaltet, wie sehr sie von ihr unterstützt werden. Daher müssen wir auch umgekehrt gut darauf achten, dass Führungskräfte vom Unternehmen unterstützt werden und ihre Aufgaben gut und schaffbar gestaltet sind.

Wo können Arbeitgeber:innen vorbeugend ansetzen?
Die Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastung ist heutzutage die Mindestleistung, also die „Pflicht“. Es sollte aber noch mehr in Richtung Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) gehen, die immer stärker von den Unternehmen angenommen wird. Im Idealfall erweitern die Unternehmen die Gesundheitsförderung in ein Gesamtkonzept des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) und seine drei Säulen – Arbeitnehmer:innenschutz, Betriebliche Gesundheitsförderung und Betriebliches Eingliederungsmanagement – in einem gut koordinierten Management vereint. Damit dienen die Maßnahmen – immer gut individuell an die Möglichkeiten eines Betriebes angepasst – der Förderung der Gesundheit und dem ökonomischen Erfolg des Betriebes.

Interview: Johanna Klösch, AK Wien

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