Schutzkonzept gegen sexuelle Belästigung in der Wiener Gastronomie: „No respect, no service!”
„Nachdem die AK Wien in ihrer Arbeitsrechtsberatung eine starke Zunahme von sexueller Belästigung in den vergangenen Jahren verzeichnet hat, finden zwischen AK Wien, Gewerkschaft vida und Fachgruppe Gastronomie in der Wirtschaftskammer Wien Gespräche über ein Schutzkonzept statt“, sagt Ludwig Dvořák, Bereichsleiter Arbeitsrechtliche Beratung und Rechtsschutz, AK Wien. „Um eine fundierte Grundlage zu haben, haben wir gemeinsam eine Online-Umfrage unter unseren Mitgliedern in der Wiener Gastro durchgeführt.
881 Arbeitnehmer:innen haben an der Umfrage teilgenommen. Unter den Arbeitnehmer:innen waren 72 Prozent Frauen, 26 Prozent Männer. Einige Personen wollten sich keinem Geschlecht zuordnen. Es ist dies die erste quantitative Erhebung zu sexueller Belästigung von Arbeitnehmer:innen in der Gastronomie im deutschsprachigen Raum.
Die Ergebnisse zeigen: 79 Prozent aller Frauen, die in der Gastro arbeiten, haben bereits sexuelle Belästigung erlebt oder beobachtet. Auch 54 Prozent der Männer in der aktuellen Online-Umfrage gaben an, sexuelle Belästigung erlebt oder beobachtet zu haben.
Insgesamt sagten 72 Prozent der Arbeitnehmer:innen, dass sie sexuelle Belästigung erlebt oder beobachtet haben, mit 62 Prozent gibt die überwiegende Mehrheit an, dass das sogar mehrfach geschehen ist.
AK-Bereichsleiter Dvořák: „Wer nichts tut, macht sich mitschuldig!“ Und leider hat sich auch hier wieder gezeigt, dass Arbeitgeber:innen ihrer gesetzlichen Verantwortung, ihre Mitarbeiter:innen vor sexueller Belästigung zu schützen, nicht nachkommen: 60 Prozent der Arbeitnehmer:innen gab an, dass die Arbeitgeber:innen bei Fällen von sexueller Belästigung nichts taten, obwohl sie ihnen gemeldet wurden. Und weil die Arbeitnehmer:innen keine Hilfe erwarten können, wurde sexuelle Belästigung in 28 Prozent der Fälle von vornherein nicht gemeldet.
Manche sind in Fällen von sexueller Belästigung vielleicht im ersten Moment ein wenig hilflos, das Thema macht sicher jeden verlegen. Aber es ist eine gesetzliche Verpflichtung, vor der man sich nicht drücken kann: Arbeitgeber:innen müssen Abhilfe schaffen, am besten, indem sie Täter und Betroffene räumlich trennen, also einen Gast des Lokals verweisen oder Lokalverbot erteilen, den Täter versetzen, oder, wenn das nicht möglich ist, zu kündigen. „All das geschieht trotz gesetzlicher Verpflichtung in einem erschreckend geringen Ausmaß“, so Dvořák.
In den Fällen, wo die sexuelle Belästigung gemeldet wurde, gaben nur 21 Prozent der Arbeitnehmer:innen an, dass der belästigende Gast des Lokals verwiesen wurde, Nur 21 Prozent sagten, dass Gespräche mit dem Belästiger geführt wurden. Nur zu 11 Prozent gab es ein Lokalverbot. Nur zu 6 Prozent wurde der Täter gekündigt, nur in zwei Prozent wurden Belästiger versetzt.
35 Prozent der Arbeitnehmer:innen gab an, dass Arbeitgeber:innen oder deren Vertreter:innen selbst Täter:in waren. In der Spitzen- und Massengastronomie, wo es mehr Hierarchien gibt, ist der Anteil noch höher. 48 Prozent gaben an, dass die Belästigung von Kolleg:innen ausging. 78 Prozent der Arbeitnehmer:innen sagten, dass Gäste die Täter:innen waren.
„Das Gesetz sagt klar: Arbeitgeber:innen müssen in jedem Fall im Rahmen ihrer gesetzlichen Fürsorgepflicht Abhilfe schaffen. Wer hier nichts tut, macht sich mitschuldig. Dass der Arbeitgeber nichts unternimmt, ist schlicht ein Gesetzesverstoß, für den wir als AK vor Gericht – im Regelfall erfolgreich – Schadenersatz einfordern“, betont Dvořák.
Vida-Frauenvorsitzende Janisch: „Das ist gegen die Menschenwürde!“ „Die Zahlen allein sind schon erschreckend“, sagt vida-Frauenvorsitzende Olivia Janisch. „Aber wir wollten von den Arbeitnehmer:innen auch in ihren eigenen Worten wissen, wie sie ihre Situation sehen. Und das hat uns einen Einblick gegeben in einen Arbeitsalltag, der von systematischer Verletzung der Menschenwürde von Frauen gekennzeichnet ist“.
Schlussfolgerungen für ein Schutzkonzept: „No respect, no service!“ „Wir sind derzeit mit der Fachgruppe Gastronomie in Gesprächen über ein Schutzkonzept für die Branche in Wien. Um die Elemente dafür zu identifizieren und Prioritäten zu setzen, haben wir bei der gemeinsamen Online-Umfrage die Menschen gefragt, was ihnen helfen würde“, so Janisch.
Vonseiten der Arbeitnehmer:innen sagen 81 Prozent, dass sie sich eine klare Haltung im Betrieb wünschen, dass sexuelle Belästigung nicht toleriert wird. Aufseiten der Arbeitgeber steht der Wunsch nach Material, das direkt vor Ort eingesetzt werden kann, ebenso an erster Stelle.
„Arbeitnehmer:innen gaben gehäuft an, dass sie sich neben einem Schutz im Betrieb auch eine Unterstützung außerhalb wünschen insbesondere wenn die Täter auf der Arbeitgeberseite ist“, sagt Janisch.
„Wir wollen mit einer Gesetzesänderung vorbeugende Maßnahmen in Betrieben verankern“, so Dvořák. „Wenn Betriebe nachweislich keine Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung gesetzt haben, soll der Schadenersatz auf mindestens 5.000 Euro im Falle einer sexuellen Belästigung steigen. Dass vorbeugende Maßnahmen machbar sind, hoffen wir gemeinsam für die Wiener Gastronomie zeigen zu können. Gesetzliche Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz brauchen die Arbeitnehmer:innen aber in allen Branchen.
Livestream der Pressekonferenz zum Nachschauen: