Gesunde Arbeit

"Die Evaluierung der psychischen Belastungen muss nachhaltig erfolgen."

„Gesunde Arbeit“ im Interview mit Sektionschefin Dr.in Anna Ritzberger-Moser. Sie leitet die Sektion Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat im Sozialministerium.
Anna Ritzberger-Moser
Anna Ritzberger-Moser

Bei etwa gleichbleibender Kontrolle nehmen Gesetzesverstöße enorm zu (2013: über 106.000). Trotzdem gab es nur 2.060 Strafanzeigen. Warum kommen so viele „schwarze Schafe“ ungestraft davon?
Ritzberger-Moser: „Schwarze Schafe“ kommen nicht ungestraft davon, das zeigen die mehr als 2.000 Strafanzeigen. Betonen möchte ich dazu, dass primäre Aufgabe der Arbeitsinspektion ist, mit ihrer Beratungs- und Kontrolltätigkeit Sicherheit und Gesundheitsschutz in den Betrieben zu gewährleisten. Strafen sind dabei nur ein Hilfsmittel.
Wir bemühen uns um Effizienz und Effektivität unserer Tätigkeit. Dem dient unter anderem eine höhere Treffsicherheit der Kontrollen durch eine risikobasierte Auswahl der Betriebe. Auch die branchen- oder themenbezogenen Schwerpunktaktionen leisten hier einen wesentlichen Beitrag. 2013 stieg die Zahl der Kontrollen gegenüber 2012 um 4,9 Prozent, die Zahl der festgestellten Mängel stieg um 11,9 Prozent. In vielen Fällen bewirkt bereits die Kontrolle, dass Missstände abgestellt werden – und das ist gut so.
Glaubt allerdings ein Unternehmen, auf eine Kontrolle der Arbeitsinspektion nicht reagieren zu müssen, ist ein Strafantrag die logische Konsequenz, so wie es das Arbeitsinspektionsgesetz (ArbIG) vorsieht. Ebenso, wie bei schwerwiegenden Übertretungen sofort mit Strafantrag vorzugehen ist.


Die Arbeitsinspektion kontrolliert verstärkt die Evaluierung psychischer Arbeitsbelastungen. Rund 80 Prozent der Betriebe sind trotz viel Beratung säumig. Von Strafen hört man nichts. Zwei Jahre „Schonfrist“ sind genug, oder?
Ritzberger-Moser: Auch wenn es sich bei der Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastungen nur um eine Klarstellung im Gesetz handelte, wurde sie als neue Vorschrift wahrgenommen. Und sie beinhaltet zugegebenermaßen auch neue Anforderungen im Vergleich zur bisher üblichen, auf physische Risiken bezogenen Arbeitsplatzevaluierung. Vorausgesetzt sind ausreichende Informationen und eine gute Planung. Dies bedingt einen Prozess, für den auch die notwendige Zeit eingeräumt werden muss. Wichtig ist, dass die Evaluierung der arbeitsbedingten psychischen Belastungen in den Unternehmen nachhaltig erfolgt.
Die Arbeitsinspektion reagiert aber natürlich in jenen Fällen, in denen sich ein Unternehmen mit der Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastungen überhaupt nicht befasst bzw. befassen will, mit den im ArbIG vorgesehenen Maßnahmen. Mittlerweile gibt es daher auch bereits etliche Strafanträge.


Über 1,1 Mio. Erwerbstätige klagen, dass sie mit schweren Lasten hantieren. Krankenstände sind vorprogrammiert. Wann kommt mehr Schutz durch die dringend nötige Verordnung zur manuellen Lasthandhabung?
Ritzberger-Moser: Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) enthält die entscheidenden Regelungen für manuelle Lasthandhabung. In Verbindung mit der Berücksichtigung des Standes der Technik stehen geeignete Beurteilungskriterien zur Verfügung. Zur praktischen Unterstützung wurden im Rahmen der letzten Arbeitsschutzstrategie übersichtlichere Lastbeurteilungstabellen für eine rasche Beurteilung von Heben, Halten und Tragen entwickelt.
Schwerpunktaktionen der Arbeitsinspektion haben gezeigt, dass es in bestimmten Branchen an Bewusstsein für die Gefahren durch Lasthandhabung fehlt. Dies betrifft einerseits die konsequente Umsetzung der Arbeitsplatzevaluierung, andererseits die Information und Unterweisung über ergonomisch günstige Lasthandhabung. Aus meiner Sicht sollten diese Schwachstellen im Fokus stehen und hier auf Verbesserungen hingearbeitet werden.


Kleine Betriebe haben mit „AUVAsicher“ ein Angebot für kostenfreie sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung. Etwa 40 Prozent davon sind gar nicht betreut. Was ist zu tun, um die Lücke zu schließen?
Ritzberger-Moser: Die kostenfreie Betreuung durch ein Präventionszentrum des zuständigen Unfallversicherungsträgers ist ein sinnvolles Angebot.
Es ist uns bewusst, dass es schwierig ist, kleine Betriebe gerade in ArbeitnehmerInnenschutzfragen anzusprechen. Dies gilt nicht nur für Österreich, sondern auch für andere europäische Länder.
Daher ist ein Ziel der Arbeitsschutzstrategie 2013–2020, durch Kooperationen mit Interessenvertretungen verstärkt kleine Betriebe zu erreichen. Auch der strategische Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2014–2020 definiert als Ziel die Unterstützung von Klein- und Kleinstunternehmen bei der Einhaltung der Vorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz.


Die Arbeitsinspektion als Hüterin für sichere und gesunde Arbeit wurde zuletzt gering geschätzt und beschimpft („Schikanierer“, „Monster“). Sehr scharfe Meldungen. Was sagen Sie dazu?
Ritzberger-Moser: Für mich sind diese Äußerungen keine sachliche Kritik, sondern Stimmungsmache. Auch wenn es sich nur um Einzelmeinungen handelt, verhehle ich nicht, dass diese von vielen KollegInnen in der Arbeitsinspektion, die mit großem Engagement ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen, als kränkend und arbeitserschwerend wahrgenommen werden.
Ich glaube aber nach wie vor an einen bestehenden gemeinsamen Grundkonsens mit ArbeitgeberInnen- und ArbeitnehmerInnenseite in der Frage der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit eines funktionierenden ArbeitnehmerInnenschutzes im Interesse sowohl der Beschäftigten als auch der Unternehmen. Dieser Grundkonsens zeigt sich für mich z. B. in erfolgreichen Aktivitäten im Rahmen der Arbeitsschutzstrategie.


Interview: Julia Nedjelik-Lischka, AK Wien

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