Gesunde Arbeit

Paket abgeliefert, Arbeitskraft ausgeliefert: Studie bringt ausbeuterische Arbeitsbedingungen ans Licht

Eine neue Studie zeigt: PaketzustellerInnen müssen unter ausbeuterischen und unmenschlichen Arbeitsbedingungen arbeiten.
Pressekonferenz: Arbeitsbedingungen der Amazon-PaketzustellerInnen
Studienautorin Judith Kohlenberger, WU Wien, und Bianca Schrittwieser, AK Wien Pressekonferenz: Arbeitsbedingungen der Amazon-PaketzustellerInnen

Wer bei Amazon bestellt, erwartet, dass die Lieferung möglichst schnell ankommt. Aber welchen Preis die Amazon-PaketzustellerInnen dafür bezahlen und unter welchen unmenschlichen und ausbeuterischen Bedingungen sie arbeiten müssen, ist den KonsumentInnen wohl nicht klar. Der aufrüttelnde Befund der heute in der Arbeiterkammer Wien präsentierten Studie des Instituts für Sozialpolitik der WU Wien dokumentiert: PaketzustellerInnen leiden unter besonders schlechten Arbeitsbedingungen.

Die von der Arbeiterkammer Wien geförderte Studie der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien „Systemrelevant, aber unsichtbar: Arbeitsbedingungen migrantischer und geflüchteter Amazon-Zusteller*innen während der COVID-19-Pandemie“ schließt eine Forschungs- und Wissenslücke über die Arbeitsverhältnisse von ZustellerInnen, die für Subunternehmerketten tätig sind, die von Amazon beauftragt wurden. Dabei wird ersichtlich, wer unter besonders schlechten Arbeitsbedingungen leidet und wessen Arbeitsleistung weder anerkannt noch angemessen bezahlt wird: Es sind häufig geflüchtete oder zugewanderte ArbeitnehmerInnen.

In der österreichweit ersten Studie zu deren Arbeitsbedingungen konnte insbesondere das System der Subunternehmen als zentral für die Ausbeutung der finanziellen und migrationsbedingten Drucksituation von PaketzustellerInnen identifiziert werden. Dieser Befund wird auch durch die arbeitsrechtliche Beratung der Arbeiterkammer Wien bestätigt. Die Anliegen der Beschäftigten aus dem Kleintransportgewerbe, die sich an die Arbeiterkammern wenden, machen deutlich: In dieser Branche liegt einiges im Argen.


Systematisch ausgebeutet
Die Aussagen der Befragten zeichnen ein Bild systematischer Ausbeutung, die seelisch und körperlich belastend ist: „Früher war es nur um die Weihnachtszeit so und jetzt ist es durchgehend so. Früher hat es immer geheißen, ein bis zwei Monate durchhalten und dann war es vorbei. Aber jetzt ist es immer so“, berichtet einer der Befragten darüber, wie sich die Arbeitslast während der Coronakrise erhöht hat. Aussagen wie „ich verbrauche meine ganze Lebensenergie in dieser Arbeit“ oder „jeden Tag machen die Zustellfirmen die Fahrer kaputt“ verdeutlichen dabei die extrem belastende Arbeitssituation.

Amazon-PaketzustellerInnen sind in den seltensten Fällen direkt für Amazon tätig. Diese Subunternehmer-Konstruktionen schaffen große Unsicherheit und wurden von einem der Befragten folgendermaßen zusammengefasst: „Amazon hat sich so der Mitarbeiter entledigt und uns stattdessen an die Zusteller ausgelagert. Amazon gibt weiterhin den Ton an und ist der ‚Chef’, aber gesetzlich nicht direkt für uns verantwortlich, da wir nicht Amazon-Mitarbeiter sind.”


Arbeitsrechte sind Menschenrechte
Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie übersichtlich zusammengefasst:

  • Amazon lagert durch die Beauftragung von Subunternehmen die arbeitsrechtliche Verantwortung für die ZustellerInnen aus. Die Organisation über diese Subunternehmen verschlechtert die ohnehin prekären Arbeitsverhältnissen noch weiter.
  • Es zeigt sich, dass es vor allem zugewanderte und geflüchtete ArbeitnehmerInnen sind, die in jenen Bereichen arbeiten, in denen es besonders oft zu Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen kommt.
  • Im Rahmen der Coronakrise verschärfte sich die Arbeitsbelastung aufgrund des enormen Anstiegs an Bestellungen – gleichzeitig waren die ZustellerInnen während der Lockdowns auch einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt.
  • Die dauerhaft hohe Arbeitsbelastung und berufsbedingte gesundheitliche Risiken gefährden die Gesundheit der ZustellerInnen. Befragte berichten von Rückenschmerzen, Muskelzerrungen, Knie- und Fußverletzungen. Gleichzeitig gaben viele Befragte an, sich nicht krankschreiben zu lassen, weil sie Angst haben, den Arbeitsplatz zu verlieren oder keinen Lohn zu bekommen. Das verdeutlicht, warum Arbeitsrechtsverletzungen bei Amazon-ZustellerInnen kein individuelles, sondern auch ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellen: Kranke ZustellerInnen gefährden (nicht nur während einer Pandemie) KollegInnen sowie KundInnen und stellen im Straßenverkehr ein Sicherheitsrisiko dar.
  • Bei der Zustellung herrscht so hoher Zeitdruck, dass die vereinbarten Pausen nicht eingehalten werden können. Den ZustellerInnen bleibt oftmals nicht einmal genug Zeit, um auf die Toilette zu gehen.
  • Es werden weder Regelungen für Arbeitszeiten noch für Überstunden eingehalten. Die Unvorhersehbarkeit der Dienstpläne ist belastend und beeinträchtigt Privat- und Familienleben.
  • Einige Befragte berichteten von nicht bezahlten Überstunden und/oder nicht einsehbaren Zeiterfassungen des Subunternehmers.
  • Der Einsatz von Apps für das Tracking der Lieferroute oder des Fahrverhaltens hat zugenommen – digitale Überwachung der ZustellerInnen ist zur Regel geworden.
  • In Österreich existiert bis dato kein Betriebsrat bei Amazon bzw. bei einem für Amazon tätigen Subunternehmen. Viele ZustellerInnen begrüßen theoretisch gewerkschaftliches Engagement bzw. die Gründung eines Betriebsrates. In der Praxis, also wenn es darum geht sich tatsächlich einzubringen, scheitert es aber oft an Sprachkenntnissen, Information oder auch an zeitlichen Ressourcen. Außerdem erschweren hohe Fluktuation und Zersplitterung der Branche die gewerkschaftliche Organisation.
  • Einige Befragte gaben an, dass sie Angst haben, sich an Institutionen wie die AK zu wenden, weil sie dann von den Subunternehmen wegen angeblich beschädigter bzw. gestohlener Pakete beschuldigt und entlassen werden könnten. Aber die AK ist unter den Befragten bekannt und glücklicherweise finden doch immer wieder Betroffene den Weg in die Arbeitsrechtsberatung, mit der sie auch durchwegs zufrieden sind.
  • Insgesamt gaben alle Befragten an, sich nicht vorstellen zu können dieser Tätigkeit längerfristig nachzugehen. Die Mehrheit hat diesen Job nur aus einer Notlage heraus angenommen.

Für die Studienautorin Judith Kohlenberger von der WU Wien ist klar: „PaketzustellerInnen haben unser Land durch die Krise getragen, dafür bis dato aber kaum Anerkennung erhalten – im Gegenteil: Oft wurden ihre Arbeits- und Menschenrechte in der Pandemie noch weiter beschnitten.“

Die AK fordert Lösungen in drei Bereichen:

  1. Die Regulierung der Subunternehmensstruktur durch die Ausdehnung der Haftung des Erstauftraggebers für die Löhne Haftung des Auftraggebers für die Sozialversicherungsbeiträge.
  2. Nachbesserungen beim Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping: Im Sommer hat die Regierung eine Novelle des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes beschlossen und vor allem die Strafen herabgesetzt. Das war leider kontraproduktiv. Dringender Reparaturbedarf besteht beim Höchstrahmen der Strafen, die Strafmilderung nur bei Nachzahlung des Entgelts, die Einführung des Prinzips der „Beugestrafe“, mehr Kontrollen und eine massive personelle Aufstockung der zuständigen Behörden (insbesondere Finanzpolizei und Arbeitsinspektorat) sowie eine EU-rechtskonforme Regelung zu nach Österreich entsandten Arbeitnehmern, weil das „Montageprivileg“ bedeutet keine österreichischen Kollektivvertragslöhne zu zahlen und eine Dumping-Konkurrenz gerichtet gegen österreichische Anlagenbau-Unternehmen darstellt.
  3. Mehr Schutz vor Scheinselbstständigkeit durch Einführung einer „Vermutungsregel für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses“.

Video der Pressekonferenz am 29.10.2021 in der AK Wien

PK: „Abgeliefert - Ausgeliefert“, über die Arbeitsbedingungen der Amazon Paketzusteller:innen from AK Österreich on Vimeo.

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